SZ + Wirtschaft
Merken

Sicherheit, Entfaltung und Respekt

Der Tag der Arbeit steht 2021 im Zeichen von Corona. Die Pandemie verändert die Arbeitswelt. Was sich aus Sicht junger Menschen ändern muss - ein Gastbeitrag.

 4 Min.
Teilen
Folgen
Anne Neuendorf hat viele Vorschläge, wie sich die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für junge Menschen ändern müssen.
Anne Neuendorf hat viele Vorschläge, wie sich die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für junge Menschen ändern müssen. © DGB Sachsen

Von Anne Neuendorf

Durch die Corona-Pandemie haben sich zahlreiche Brüche in unserer Gesellschaft verschärft. Im Gesundheitssystem genauso wie im Bildungsbereich. Fast vergessen wurde die Situation von Auszubildenden.

Mit dem oft angewendeten Instrument der Kurzarbeit - 24,9 Prozent der Auszubildenden waren oder sind in Kurzarbeit – brachen beide Lernorte (Berufsschule und Betrieb) für die Auszubildenden weg. Über Wochen und Monate gab es kaum eine Chance, das verpasste nachzuholen. Die Umstellung auf digitale Lernformate hat nicht geklappt, eine digitale Ausstattung ist in den Berufsschulen Mangelware, trotz der voranschreitenden Digitalisierung aller Lebensbereiche.

Wahrscheinlich waren viele Auszubildende dennoch einfach froh, dass die Berufsschulen monatelang zu waren, da Berufsschulen selten schöne Orte sind. Baumängel, miese Toiletten, keine Computerkabinette, schlecht ausgestattete Lernwerkstätten sind keine Ausnahmen, sondern die Regel. Was also wünschen sich junge Menschen?

Wie kann man junge Menschen in Sachsen halten?

Lernorte, an denen sie gut lernen können und an denen sie für die Zukunft in ihren Berufen gut vorbereitet werden. Aber wenn wir etwas weiter vorne anfangen, stellen wir fest, viele junge Menschen würden gerne in ihren Regionen bleiben. Aber es fehlt an vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten. Berufsschulen im ländlichen Raum und die gezielte Unterstützung der Betriebe beim Entwickeln innovativer Ausbildungsangebote, auch über Verbundausbildungen mit anderen Betrieben, können hier dazu beitragen, den ländlichen Raum durch Ausbildungschancen attraktiver zu gestalten und die duale Ausbildung gleich mit.

Viele Auszubildende legen zwischen Wohnort, Betrieb und Berufsschule lange Wege zurück, zu weit für's Fahrrad, zu jung für's Auto, bleibt der ÖPNV, der meist viel zu teuer ist. Die DGB-Jugend hat deshalb auf ihrer Jugendkonferenz im April ihre Forderung nach einem kostenlosen Bildungsticket für alle erneuert, einschließlich aller Schüler und Schülerinnen, Auszubildende, Referendare, Abendschüler und Abendschülerinnen, Freiwilligendienstler und Freiwilligendienstlerinnen.

Die Bedeutung von sozialer Sicherheit steigt für junge Menschen von Jahr zu Jahr. Eine Übernahmegarantie wäre deswegen für die jungen Menschen sinnvoll und ein wichtiger Beitrag, die Fachkräftenot zu lindern und junge Menschen in Sachsen zu halten.

Jugendschutz wird missachtet

Große Sorgen machen wir uns über die stetig sinkende Zahl der Ausbildungsplätze. 2020 sank die Zahl der Auszubildenden bundesweit unter die Marke von 500.000. In Sachsen ist das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen mit 6,7 Prozent zwar nicht so stark zurückgegangen, wie im bundesweiten Schnitt (8,8 Prozent), die Alarmsignale sind aber auch hier deutlich.

Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für ein Studium. Eine wirkliche Qualitätsoffensive und Ausbildungsgarantie könnten helfen. Okay etwas genauer bitte: Qualitätsoffensive? Die Berufsschulen hatten wir eben schon, aber auch im Betrieb leidet so mancher Auszubildende. Regelmäßige Überstunden, keine Zeit, um das Berichtsheft zu führen, Arbeiten erledigen, die sonst keiner machen möchte, Ausbilder und Ausbilderinnen, die selten vor Ort sind, Missachtung des Jugendschutzgesetzes sind leider auch eher oft als selten der Fall.

Die Tarifmauer muss fallen!

Wer so mit den Auszubildenden umgeht, schadet nicht nur ihnen, er schadet dem Ruf der dualen Ausbildung insgesamt. Es fehlen betriebliche Anlaufstellen für Auszubildende und wirksame Kontrollen der rechtlichen Vorschriften. Betriebsräte, die unter anderem diese Aufgabe haben, fehlen in zu vielen sächsischen Betrieben.

Bei fünf Beschäftigten soll einer gewählt werden. Und was ist die Umlagefinanzierung? Jeder junge Mensch soll demnach eine Ausbildung wohnortnah angeboten bekommen. Finanziert wird das über einen Umlagefonds, in den alle Unternehmen einzahlen und nur jene etwas zurückerhalten, die tatsächlich ausbilden. Gute Idee, oder?

Über die Ausbildung hinaus, wollen junge Menschen Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten und sie haben genug von Ungerechtigkeit. Im 31. Jahr nach der Wiedervereinigung sehen es junge Menschen nicht mehr ein, dass sie im Osten deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen vorfinden, als in den westdeutschen Bundesländern.

So muss zum Beispiel ein Siemens-Beschäftigter in Berlin (West) oder Erlangen nur 35 Stunden in der Woche arbeiten, in Dresden, Chemnitz, Leipzig und Görlitz aber 38 Stunden. Das bedeutet, dass die Beschäftigten in Sachsen etwa einen Monat mehr im Jahr leisten müssen für das gleiche Geld. Alle Generationen der sächsischen Gewerkschaften eint ein Ziel: Die Tarifmauer muss endlich fallen!

Ich wünsche Ihnen einen kämpferischen 1. Mai.

Anne Neuendorf ist Vize-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Sachsen.