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So bleibt die Psyche im Stress stark

Während der allgemeine Krankenstand rückläufig ist, nehmen psychische Leiden zu. Immer öfter werden Menschen dadurch sogar arbeitsunfähig. Was Unternehmen tun können.

Von Annett Kschieschan
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Stress und Druck können auf Dauer krank machen. Körperlich, aber vor allem auch psychisch. Die Zahl der Krankschreibungen und Frühberentungen wegen psychischer Leiden steigt seit Jahren.
Stress und Druck können auf Dauer krank machen. Körperlich, aber vor allem auch psychisch. Die Zahl der Krankschreibungen und Frühberentungen wegen psychischer Leiden steigt seit Jahren. © AdobeStock

Frank leidet unter ADHS. Die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung wird häufig vor allem mit Kindern assoziiert. Allerdings leiden auch viele Erwachsene darunter. So wie Frank, der heute Mitte 40 ist, seine Diagnose aber erst seit knapp zehn Jahren hat. Der gebürtige Riesaer ist sich sicher: Hätte er früher gewusst, woran er leidet, wäre vieles in seinem Leben besser gelaufen. Privat, aber vor allem auch beruflich.

Frank hat in der Verwaltung gelernt, wurde auch übernommen – und nach eigener Aussage schnell aufs Abstellgleis geschoben, auf einen Job in der Poststelle, der ihn intellektuell unterforderte, aber im Alltagsstress trotzdem oft vor Probleme stellte. Frank wurde immer öfter krank – körperlich, aber zunehmend auch psychisch. Zum ADHS, das es ihm schwer macht, sich zu konzentrieren, kamen Depressionen, die ihm jeden Antrieb nahmen. Seit zwei Jahren gilt er als arbeitsunfähig. „Ich bin raus“, sagt der Mittvierziger. Mithilfe einer Psychotherapie hofft er, langsam wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Aktuell kann er sich einen regulären Job nicht vorstellen.

Ein Einzelfall ist Frank damit nicht. Im Gegenteil, während der Krankenstand in Deutschland allgemein rückläufig ist, steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen an. Sie sind nach Angaben der Betriebskrankenkassen (BKK) inzwischen die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibungen beziehungsweise diagnostizierter Arbeitsunfähigkeit. Sie sind außerdem die häufigste Ursache für krankheitsbedingte Frühberentungen. Und: wer aufgrund psychischer Leiden ausfällt, braucht in der Regel deutlich länger, um wieder auf die Beine zu kommen als bei den meisten körperlichen Erkrankungen. Das alles hat neben dem großen persönlichen Leidensdruck auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Treffen hoher und langer Krankenstand und Fachkräftemangel zusammen, können vor allem kleinere Firmen schnell an die Grenze ihrer Handlungsfähigkeit kommen. Grund genug, frühzeitig in die psychische Gesundheit der eigenen Mitarbeiter zu investieren.

Lange Krankheitsphasen

Denn die gute Nachricht ist: Arbeit ist per se nicht belastend. Im Gegenteil, passen Inhalt und Rahmenbedingungen, wird sie in der Regel als sinnstiftend und bereichernd erlebt. „Faktoren wie Entscheidungsspielraum, mitarbeiterorientierte Führung, Kollegialität sowie Möglichkeiten zur Weiterentwicklung wirken sich nachweisbar positiv aus“, heißt es etwa in der Auswertung der sogenannten Monitore zur psychischen Gesundheit, die die Initiative für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz (psyGA) herausgibt. Sie ist Bestandteil der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Aktion "Neue Qualität der Arbeit". Wenn Unternehmen also die individuelle Belastung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reduzieren und ihre Ressourcen stärken, fördern sie nicht nur die psychische Stabilität des Einzelnen, sondern sichern gleichermaßen die Produktion im eigenen Betrieb.

Flexibilität für jeden Arbeitstyp

Dabei gilt im beruflichen Umfeld, was auch privat unbestritten ist: Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Wo man ihnen die Freiheit lässt, sich gemäß der eigenen Persönlichkeit zu entwickeln, steigen Zufriedenheit und Produktivität. Die Initiative für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz hat in ihrer Untersuchung „Persönlichkeitstypen und arbeitsbezogenes Wohlbefinden“ fünf Typen ausgemacht, die sich in unterschiedlicher Team-Zusammensetzung an fast jedem Arbeitsplatz finden. „Vorangehende“, „kollegiale“, „organisiert“, „mitspielende“ und „begeisterungsfähige“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen differenzierte Möglichkeiten. Wo die einen die Herausforderung schätzen und auch gern mal neues Terrain betreten, sind andere vorsichtiger und dafür vielleicht gründlicher unterwegs. Wo kreative Einzelkämpfer gerne alleine arbeiten, fühlen sich die Kollegen im Team am wohlsten.

Das Gute daran: die Veränderungen in der Arbeitswelt machen es heute deutlich leichter, fast jedem Bedürfnis entgegenzukommen. Flexible Arbeitszeiten und -orte nehmen für viele Menschen eine Menge Druck aus dem Berufsalltag und erhöhen die Vereinbarkeit von Job, Familie und Freizeit.

Viele Unternehmen haben das bereits erkannt, sie bieten flexible Arbeitsmodelle, ermöglichen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sport- und Entspannungskurse. Wer ein Sabbatical, also eine berufliche Auszeit, nehmen will, stößt vor allem bei größeren Firmen inzwischen zunehmend auf offene Ohren.

Und die Statistik? Die wird die Auswirkungen der veränderten Arbeitskultur wohl erst in einigen Jahren abbilden. Immerhin ermöglicht die erhöhte Sensibilität für psychische Probleme auch die große Chance, es besser zu machen als die Entscheider der vergangenen Jahrzehnte. Lange Zeit wurden psychische Leiden oft erst Thema, wenn sie körperliche Spätfolgen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Magengeschwüre oder Dauer-Migräne ausgelöst hatten – mit den entsprechenden Auswirkungen auf Motivation und Krankenstand.

Frank jedenfalls hätte sich gewünscht, dass schon in seiner frühen Jugend jemand gemerkt hätte, dass er eben nicht nur „lebhaft“ war, sondern ein tatsächliches gesundheitliches Problem hatte. „Dann hätte ich vielleicht auch einen Job gefunden der zu mir gepasst hätte - und ihn behalten können“, sagt er.

Die Monitore der Initiative für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz (psyGA) wurden in Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin der Universität Heidelberg erstellt. Als Datenquelle stand das Linked Personnel Panel (LPP), ein zweiseitiger Datensatz des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur Verfügung.