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Stechuhr-Urteil: Arbeitszeiterfassung in Deutschland künftig Pflicht

Das Bundesarbeitsgericht fordert mehr Kontrolle der Unternehmen über die Arbeitszeit. Was das nun für Millionen Arbeitnehmer bedeutet, wird heftig diskutiert.

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Viele Unternehmen messen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden elektronisch.
Viele Unternehmen messen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden elektronisch. © Jan Woitas/dpa-Zentralbild (Symbolfoto, Archiv)

Erfurt. Nun ist es höchstrichterlich entschieden: Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, über die in der Ampel-Regierung, in der Wirtschaft und unter Arbeitsrechtlern derzeit noch heftig diskutiert wird. Die Präsidentin des höchsten deutschen Arbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten am Dienstag in Erfurt mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Fachleute rechnen damit, dass das BAG-Grundsatzurteil (1ABR 22/21) weitreichende Auswirkungen auf die bisher in Wirtschaft und Verwaltung tausendfach praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben wird, weil damit mehr Kontrolle besteht. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing nannte die Entscheidung der Bundesarbeitsrichter einen Paukenschlag.

Arbeitszeit-Gesetz: Regierung arbeitet an Umsetzung

Sie fiel nach Verhandlung eines Falls aus Nordrhein-Westfalen, bei dem ein Betriebsrat mit der Forderung scheiterte, ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zu bekommen. Eine betriebliche Mitbestimmung oder ein Initiativrecht sei ausgeschlossen, wenn es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gibt, begründete das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung.

Mit seinem Grundsatzurteil preschte das Bundesarbeitsgericht in der Debatte um die Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes vor. Die Bundesregierung arbeitet noch daran, die EuGH-Vorgaben von 2019 zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung in deutsches Recht umzusetzen.

Gallner, Vorsitzende Richterin des Ersten Senats, verwies auf einen Passus im Arbeitsschutzgesetz, der Arbeitgeber verpflichte, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. "Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung", sagte sie in der Verhandlung. (dpa)