Von Manfred Müller
Großenhain. Gleich zu Beginn der Pirsch mache ich den ersten Fehler. Beim Aussteigen am Feldrand werfe ich wie gewohnt mit leichtem Schwung die Autotür zu. „Damit hat man schon zum ersten Mal das Wild vergrault“, sagt Jörg Köhler und drückt seine Autotür sanft ins Schloss. Der Chef des Großenhainer Jagdverbands hat mit fünf Waidgenossen zum Ansitzen im Revier eingeladen. Jeder nimmt einen Laien mit, um ihm die Feinheiten des Jägerhandwerks nahezubringen. Die Aktion geht auf eine Initiative des Deutschen Jagdverbandes aus dem Jahr 2015 zurück. Mit ihr soll das Image der Hubertus-Jünger ein wenig aufpoliert werden. Zum Beispiel, indem sie zeigen, dass sie den größten Teil ihrer Zeit für Hegemaßnahmen aufwenden.
Dass sie auch Streuobstwiesen und Hecken anlegen und seltene Arten schützen. „Wir sind nicht nur Totschießer“, sagt Jörg Köhler. „Im Grunde haben wir mit den Naturschützern viel gemeinsam.“ Köhler ist Herr über ein 400 Hektar großes Revier am Rande seiner Heimatstadt Großenhain. Ein reines Feldrevier, erklärt er, und zeigt auf den Maisschlag nebenan. Hier drin soll eine Wildschwein-Bache mit vier Frischlingen stecken. Maisfelder sind für die Sauen eine Art Schlaraffenland - sehr zum Leidwesen der betroffenen Bauern. Sie halten fast den ganzen Sommer im Mais auf und kommen erst heraus, wenn der Schlag abgeerntet wird. In der Zwischenzeit verputzen sie zentnerweise die nahrhaften Maiskolben und walzen dabei große Flächen nieder. An manchen Abenden wechseln die Sauen auf bereits abgeerntete Felder herüber, und mit etwas Glück kommt der Jäger dann zum Schuss. „Aber die Chancen, dass wir die Tiere heute sehen, sind eher gering“, warnt Jörg Köhler vor. Wildschweine seien unglaublich clever und verschwänden beim geringsten Verdacht, dass etwas nicht stimmt, gleich wieder im Mais.
Romantik vom Hochsitz
Ab jetzt wird nur noch geflüstert. Wir pirschen an einer Feldhecke entlang. Die Hagebutten-, Ebereschen- und Holunderbüsche sind reich mit Früchten beladen. Ein Futterparadies für ganze Vogelschwärme. „Wenn meine Frau Holundersuppe kochen will, sage ich: Aber nicht aus meinem Revier!“ lächelt Jörg Köhler. Im Winter streue er dann immer ein paar Hände voll Sonnenblumenkerne oder Getreidekörner in die Hecke. Wir haben jetzt Köhlers Hochsitz südlich von Großraschütz erreicht. Der Jäger erklärt erst noch die Funktionsweise der Salzlecke nebenan, dann steigen wir die Holzsprossen zum Hochstand hinauf. Die tief stehende Altweibersommersonne taucht die abgeernteten Felder neben dem Maisschlag in ein weiches Abendlicht. Richtig idyllisch hier, und das so nahe an der Stadt. Rund um Großenhain hätten etliche Wiedereinrichter ihre Agrarflächen, erklärt Jörg Köhler leise. Durch die sich abwechselnden Fruchtfolgen finde das Wild immer etwas zum Fressen. Er müsse heute nicht unbedingt etwas erlegen, sagt der Jäger mit Rücksicht auf seine beiden Gäste. „Höchstens wenn ein krankes Tier vorbeikommt.“ Köhler hat seinem Nachbarn Peter Hilbrig (70) mitgebracht. Für den früheren Landvermesser ist es nicht der erste Ansitz. „Eine gewisse Naturverbundenheit gehörte ja schon zu meinem Beruf“, sagt er. Der Großenhainer sucht mit dem Fernglas die umliegenden Feldränder ab. Schon nach kurzer Zeit entdeckt er zwei Rehe – eine Ricke mit Kitz – die misstrauisch in unsere Richtung äugen. Aber schon bald haben sich die Tiere beruhigt und bewegen sich äsend auf uns zu. „Rehe sind richtige Feinschmecker“, erklärt Jörg Köhler flüsternd. „Sie zupfen mal hier, mal dort einen Halm – Wildschäden verursachen sie nicht.“ Aus der Senke gegenüber tauchen drei weitere Rehe auf, auch hier eine Mutter mit diesmal zwei Jungtieren.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit steigt ihre Zahl auf acht. Eine Ricke wechselt mit ihrem Nachwuchs in kaum 70 Metern Entfernung vorbei – die ideale Position für einen Blattschuss. Aber Jörg Köhlers Doppelbüchse bleibt heute ungeladen. Seine Gäste dürfen die Tiere aber mal durchs Zielfernrohr anvisieren. Sie erscheinen zum Greifen nahe, selbst ein Laie wie ich könnte auf diese Distanz einen halbwegs guten Schuss anbringen. Darf er natürlich nicht. Will er auch nicht. Gerade haben wir noch die munteren Kitze bewundert, die arglos auf der Stoppel herumhüpften. „So laufen die meisten Ansitze ab“, sagt Jörg Köhler. „Man hockt hier oben, verschafft sich einen Überblick über die Bewegungen des Wildes und freut sich an der Natur.“ Gestreckt habe er zuletzt zwei Marderhunde. Die räuberischen Einwanderer aus Fernost richten wie auch die Waschbären große Schäden unter dem Niederwild an.
Streifzüge für Nicht-Jäger
Die Sonne ist inzwischen untergegangen und die Sicht nimmt rapide ab. Käme die Sau jetzt noch aus dem Mais, würde man es wahrscheinlich gar nicht mehr mitbekommen. Wildschweine sind eben kluge Tiere, wahrscheinlich hatten sie uns schon beim Kommen bemerkt. Vielleicht war die Autotür schuld. Also steigen wir vorsichtig vom Hochstand und stiefeln langsam zu unseren Autos zurück. Der Abend ist immer noch lau, und die Feldvögel lärmen in der Hecke. Fazit: Man kann seinen Samstagabend wirklich schlechter verbringen. Der Großenhainer Jagdverband will künftig regelmäßig solche Ausflüge für Nichtjäger anbieten, das nächste Mal vielleicht zur Bockjagd oder einen gemeinsamen Fuchs-Ansitz zur Ranzzeit im Februar.