Merken

Kirst und Co. schließt

Ein Lebensmittelpunkt verschwindet. Das Geschäft ist von einer Insolvenz betroffen.

Teilen
Folgen

Von Birgit Ulbricht

Großenhain/Radeburg. Wolfgang Böhme steht sprachlos vor Kico. Da ist geschwungen mit Kreide nicht etwa ein Sonderangebot an die Tafel geschrieben, sondern die Schließung des Ladens: „Unser Geschäft bleibt ab Samstag, den 13. 10. 18 bis auf Weiteres geschlossen. Vielen Dank an unsere treue Kundschaft!“ Er schüttelt den Kopf und kann es noch gar nicht fassen. Kirst & Co. schließt. „Eine Ära geht in Großenhain zu Ende“, sagt er. „Das ist ja nicht nur ein Laden, das gehört zu Großenhain“, bekräftigt er.

Die engen Höfe, die historischen Mauern bis hin zu Türen und Fenstern – vieles ist typisch Großenhain. Aber auch ein Stück Lebensgefühl. Er erinnert sich gut an die Zeit, als Kirst & Co. noch eine bekannte Wein- und Bierstuben war. Schon die Husaren gingen hier ein und aus. Im April 1970 beendeten Herbert Heidrich und seine Frau Ursula die über hundertjährige Tradition der Gastwirtschaft, sie wurde 1799 gegründet.

Zu DDR-Zeiten 1981 wurde hier der Film „Ein Engel im Taxi“ mit Heinz Rennhack gedreht – mit Großenhainer Feuerwehrleuten als Komparsen. Nach der Wende fanden im Hof von Kirst & Co. jedes Jahr die Weinfeste der Handballer statt, die so manche Jugendfreizeit möglich machten. Kico ist eine Instanz. Der kleine Edeka-Laden am Großenhainer Hauptmarkt schließt umso überraschender. Schon diesen Sonnabend ist Schluss. Seit Kurzem verkündet das auch ein Schild den völlig verdutzten Kunden. Der Grund, dass der beliebte Eckladen zumacht, ist die Insolvenz von Eigentümerin Ute Jentzsch aus Radeburg, die mehrere kleine Märkte betreibt. Auch wenn Großenhain immer gut lief, sind die Verkäuferinnen um Birgit Wiesner nun genauso betroffen wie der kleine Gemüseladen am Radeburger Markt und die Apfelscheune in Serkowitz. Der Edeka in Radeburg hatte bereits vor einer Weile geschlossen.

Noch kein Insolvenzverwalter

Ute Jentzsch hat nach eigenen Worten am 5. Oktober Insolvenzantrag gestellt. Es kann bis zu einer Woche dauern, bis ein Insolvenzverwalter eingesetzt ist. Der entscheidet dann, ob ein Laden möglicherweise weitergeführt wird. Einen Interessenten für Großenhain gibt es dem Vernehmen nach bereits. Doch ob daraus etwas wird, das kann auch Birgit Wiesner nicht sagen. „Wir müssen abwarten und erst mal Insolvenzausfallgeld beantragen“, schildert sie das, was nun als Nächstes ansteht.

Birgit Wiesner ist die gute Seele des Geschäfts, das von Inhaberin Ute Jentzsch 1998 als Lebensmittelmarkt übernommen wurde. Trotzdem ist das Lädchen am Eck für die Großenhainer immer Kico geblieben. Seit 18 Jahren gehört Birgit Wiesner zu Kico, fing seinerzeit als Praktikantin an. Zur 20-jährigen Jubiläumsfeier des Ladens im August sagte sie noch: „Ich stehe früh auf und denke an den Laden.“ Nun schaut sie etwas traurig in die Runde, was der Stimmungskanone eigentlich gar nicht eigen ist. Doch die Regale leeren sich zusehends, niemand darf mehr Waren bestellen.

Was für ein schmerzlicher Anblick für die rührige Verkäuferin, die nicht nur für jeden ein nettes Wort hat, sondern bei jeder Gelegenheit, ob Ostern, Bauernmarkt oder Weihnachten, die Kunden unterhält. Auch Wolfgang Böhme bestätigt: „Da hat doch jeder schon gewartet, wie sich Birgit wieder anhost.“ Im Elvis-Kostüm über Cindy aus Marzahn, einem Schneemann, dem Osterhasen oder einem Bischof hat Birgit Wiesner sich zum Stadtgespräch gemacht. Rund 25 sind inzwischen hinzugekommen, alle vom Kostümverleih Golchert. „Das macht immer unendlich viel Spaß und kommt hier auch gut an“, sagt sie. Im Moment ist ihr nicht nach Lachen zumute, aber beherzt nimmt sie diese Kapriole des Lebens trotzdem. „Das nützt nüscht“, sächselt sie und setzt sich wieder an die Kasse. Bis Sonnabend.