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Arzneitests an Dementen

Soll der Schutz von Schwerkranken mehr zählen oder die Hilfe für künftige Patienten? Geplante lockerere Regeln für Arzneitests erhitzen die Gemüter. Der Politik entgleitet die Debatte erst einmal.

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© dpa

Berlin. Sollen Ärzte das dürfen? Einem schwerkranken Demenzpatienten ein noch wenig erforschtes Arzneimittel geben, um den Wirkstoff zu testen? Und zwar ohne die Hoffnung, dass es dem Betroffenen selbst noch hilft? Die Abgeordneten des Bundestags müssen sich dieser ethisch heiklen Frage stellen. Aber die Debatte darüber wurde zuletzt emotional so aufgeladen und so chaotisch, dass das Parlament erstmal die Notbremse zog.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will solche Tests auch an Menschen erlauben, „die nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen“, wie es in seinem Gesetzentwurf heißt. Das soll möglich werden, auch wenn nur andere Patienten davon einmal Nutzen erwarten dürfen. Die Kranken sollen vorher durch eine Patientenverfügung eingewilligt haben müssen.

In der Regel beziehen sich solche Verfügungen aber auf lebensverlängernde Maßnahmen. Außerdem hatte der Bundestag erst vor drei Jahren das Verbot bekräftigt: Wenn Patienten nicht selbst einwilligen können, sind Arzneistudien nur erlaubt, wenn sie ihnen selbst nutzen.

Doch angesichts von 1,6 Millionen Demenzkranken, dem Leid von Betroffenen und Angehörigen, wenn das Gedächtnis immer mehr schwindet, angesichts auch der steigenden Pflegekosten - muss nicht alles getan werden, um alle Türen für mögliche Verbesserungen zu öffnen? Oder wäre es ein Dammbruch, wenn der Schutz der wehrlosen Patienten aufgeweicht würde?

Ulla Schmidt hat dazu eine klare Meinung. „Ich bin davon überzeugt, dass die derzeitige Gesetzeslage völlig ausreichend ist“, sagt die ehemalige Gesundheitsministerin. „Wir brauchen keine darüber hinaus gehende Regelung“, sagt sie. „Selbst das Gesundheitsministerium hat keine Arzneimittelstudie nennen können, die unter der geltenden Gesetzeslage nicht durchgeführt werden konnte.“

Tatsächlich hat sich selbst die Pharmabranche nicht zum Vorkämpfer für das Gröhe-Gesetz gemacht. Andere Mediziner hingegen argumentieren, in der Hochschulmedizin warte man sehnlich auf das Gesetz - also dort, wo nicht vorwiegend Arzneimittel mit großem absehbaren Umsatzpotenzial gesucht werden.

Während Gröhe Vergleiche mit Menschenversuchen der Nazis abwehren musste, geriet die Debatte im Bundestag wegen Verfahrensfragen aus den Fugen. Die Abstimmung war den Abgeordneten bereits freigegeben worden. Sie sollten also auch ohne Fraktionszwang abstimmen können. Doch drei Tage vor der geplanten Entscheidung an diesem Freitag gab es nun drei konkurrierende Änderungsanträge für die entscheidende Stelle des Gröhe-Entwurfs, der sonst noch andere Dinge regeln soll.

So hat der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach eine Variante der Ministeriumsvorlage ausformuliert, die statt einer Patientenverfügung eine andere, eigens dafür vorgesehene schriftliche Einwilligung der Patienten im Vorfeld vorsieht. Ärztliche Beratung soll für diese „Probandenverfügung“ Pflicht sein. Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis wollte einen Antrag einbringen, nach dem die ärztliche Beratung freiwillig bleiben soll. Und Ulla Schmidt und andere fordern in ihrem Antrag, die Sache ganz bleiben zu lassen - ihr Papier läuft darauf hinaus, dass alles so bleibt, wie es ist.

Doch den Abgeordneten lief die Zeit davon. Diskutiert wurde also, die Sache schon am Mittwoch in der zweiten Lesung im Plenum zu beraten, dann zwei Tage vergehen zu lassen, um am Freitag wie geplant die abschließende dritte Lesung zu machen. Jetzt soll bis Mitte September Luft sein zur eingehenden Beratung. „Die Koalition hat die Dynamik und die Brisanz des Themas unterschätzt“, kritisiert die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagt: „Es wäre ein Fehler, wenn man sich dafür nicht ausreichend Zeit lassen würde.“ (dpa)