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Auf Draht mit dem Rad

Sie kennt Pirnas Altstadt wie das Innere ihrer Posttaschen: Dominique Janowski verteilt täglich Hunderte Briefe.

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© Norbert Millauer

Von Jörg Stock

Pirna. Hunde sollen ja die ärgsten Feinde des Postboten sein. In den acht Jahren, die Dominique Janowski jetzt Briefe austrägt, ist ihr nur einmal ein Hund zu nahe gekommen. An der Ziegelstraße sauste das Tier kläffend aus der Grundstückspforte und sprang sie an. Nur gut, dass der Besitzer zur Stelle war und eingriff. „Ich hätte sonst gar nicht gewusst, wie ich da wieder weggekommen wäre.“

So kennen viele Altstädter die Frau von der „Roten Post“: Bei Wind und Wetter ist Dominique Janowski in Pirnas Gassen unterwegs. Für gewöhnlich verteilt die 28-jährige Pirnaerin an einem Arbeitstag um die siebenhundert Sendungen.
So kennen viele Altstädter die Frau von der „Roten Post“: Bei Wind und Wetter ist Dominique Janowski in Pirnas Gassen unterwegs. Für gewöhnlich verteilt die 28-jährige Pirnaerin an einem Arbeitstag um die siebenhundert Sendungen. © Norbert Millauer

Morgengrauen über dem Gelände des MV Zustellservice in Pirna-Copitz. Ein dicker Eispanzer hat sich auf dem Hof breit gemacht, glitschig wie ein Aal. „Keine idealen Bedingungen“, befindet Dominique Janowski. Trotz der Aussicht, gleich mit dem Lastenfahrrad und drei Kisten voller Briefe Richtung Altstadt aufbrechen zu müssen, wirkt die junge Frau erstaunlich abgeklärt. Vom Wetter lässt sie sich schon lange nicht mehr verrückt machen, sagt sie. „Ich nehme es, wie es kommt.“

Der MV Zustellservice liefert für Post Modern, die „Rote Post“, Briefe und Päckchen im Altkreis Sächsische Schweiz aus, in Spitzenzeiten mehr als 26 000 Sendungen pro Tag. 42 Zustellbezirke bedienen die beinahe sechzig MV-Kollegen. Dominique Janowskis Bezirk ist die Pirnaer Altstadt. Sie mag das Flair im heimeligen Herzen Pirnas. Hier kennt man sich und hier grüßt man sich. „Für die Leute bin ich nicht bloß die Postfrau, sondern auch eine Persönlichkeit.“ Und jetzt, im Winter, bietet die Stadt noch einen Vorteil: Wenn es schneit, sind die Fußwege fast immer frei.

Halb neun. Start an der Langen Straße Ecke Dohnaische. Das wird auch Dominiques Zieleinlauf sein. Wenn alles klappt, ist sie in viereinhalb Stunden wieder hier. Sie stellt das Fahrrad auf den Ständer, langt das erste Briefbündel aus der knallroten Posttasche, streift den Schnipsgummi ab und beginnt mit dem „Stecken“.

Handschrift ist selten geworden

Ihre Briefe – im Schnitt um die siebenhundert Stück – hat Dominique am frühen Morgen schon in der Copitzer Kommissionierungshalle sortiert. Erst nach Straßen, dann jede Straße nach Hausnummern. Dann hat sie die Briefbündel entsprechend ihrer Tour in die Posttaschen geladen. Jeder Postbote läuft nach eigenem System durch seinen Zustellbezirk. Man nennt das die Gangfolge. Das hat viel mit Erfahrung zu tun, zum Beispiel damit, wann die Empfänger am ehesten anzutreffen sind. In der Regel werden Gangfolgen an neue Kollegen „vererbt“. Auch Dominique hat ihre Tour von der Vorgängerin übernommen.

Durch die Lange Straße geht es flott. Jeder Brief findet seinen Schlitz. Dominique kennt die Verhältnisse genau. Oft kann sie schon beim Sortieren falsch adressierte Briefe herausfischen oder sie dem richtigen Bündel zuordnen, weil sie weiß, dass der Empfänger umgezogen ist. Schwierigkeiten, Adressen zu entziffern, hat die junge Frau kaum, denn Handschrift auf Couverts ist selten geworden. Die meisten Anschriften stammen von Maschinen.

Ein dicker Brief. Vielleicht eine Büchersendung? Dominique klingelt. Noch mal. Keiner meldet sich. Sie steckt die Sendung wieder ein, für einen späteren Versuch. Bei Nachbarn zu klingeln vermeidet sie. Manche mögen das nicht. Klingeln kann generell Ärger verursachen. Am Sonnabendmorgen zum Beispiel klingelt sie grundsätzlich nie vor neun Uhr, um die Leute nicht in ihrer Wochenendruhe zu stören. Die Postbotin rasselt wie der Kerkermeister mit einem großen Schlüsselbund. Sie öffnet eine Haustür in der Töpfergasse. Manchmal kommt sie nur so an die Briefkästen ran. Trotz vieler Schildchen ist es nicht so einfach, bei der Schlüsselsammlung durchzublicken. Dieser Schlüssel zum Beispiel passt auch am Nachbarhaus und an einem Haus am Markt. „Das muss man wissen“, sagt Dominique lächelnd.

Sie lässt das Rad stehen, steigt die Holdergasse hoch, kommt am Fischkopfbrunnen vorbei. Im Gegensatz zu vielen Pirnaern nimmt sie hier nie einen Schluck. Sie zieht Limo, Cola oder – wenn es ganz kalt ist – heißen Tee vor. Sie könnte aber Touristen hierher zum Fisch oder rüber zum Erlpeterbrunnen schicken. Gäste der Stadt fragen sie gern nach dem Weg, nach Sehenswürdigkeiten oder nach guten Lokalen. Vor allem im Sommer ist die Postfrau in Rot auch eine Art wandelndes Auskunftsbüro. Dominique Janowski hat einmal Kinderpflegerin gelernt. Sie hätte eigentlich in einer Kita arbeiten sollen. Doch die Job-Aussichten waren damals schlecht. Noch einmal auf die Schulbank wollte sie nicht. Sie wollte arbeiten, eigenes Geld verdienen. Durch Zufall rutschte sie bei Post Modern rein. Anfangs, sagt sie, ist sie manchmal schier verzweifelt, wenn wieder einmal ein Briefkasten nicht zu finden war. Dann hat sie von der Tour aus ihre Vorgängerin angerufen, um sich Tipps zu holen.

So wie Dominique Janowski sind viele als Quereinsteiger zur roten Post gekommen. Beim Pirnaer Zustellservice zum Beispiel gibt es nur zwei gelernte Postfacharbeiter. Die große Mehrzahl hat andere Berufe – Baufacharbeiter, Lagerist, Erzieherin, Köchin, Elektriker, Technische Zeichnerin. Trotz der nicht gerade leichten Arbeit, so heißt es von der Firmenleitung, sei die Fluktuation unter den Zustellern sehr gering. „Die meisten sind von Anfang an dabei.“

Achtung, Dachlawine!

Über den Plan hinweg und dann zurück durch die Ziegelstraße. Heute kein Hund. Aus der Marienkirche orgelt es leise. In der Schlossstraße wieder eine Feinheit: Um eine Tür zu öffnen, drückt Dominique gleichzeitig zwei Knöpfe am Klingelbrett. Anderswo muss man die Knöpfe nacheinander drücken oder einen Code eingeben. Alles Dinge, die man im Kopf haben sollte, sagt sie. Wosch! Da prasselt eine Eislawine vom Dach. Zum Glück ist sie harmlos.

Pirnas alte Innenstadt bietet kein leichtes Pflaster für Postboten. Es gibt viele winkelige Ecken und es gibt Durchgangshäuser, die mehrere Adressen haben, weil sie von einer Gasse zur anderen reichen. Pirna ist eben „ein bisschen verwurschtelt“, sagt Dominique. Sie hat sich in diese Wurschtelei eingefuchst. Sie mag ihren Job sehr. Es gefällt ihr, an der frischen Luft unterwegs zu sein und Bekanntschaft zu schließen mit den Menschen in der Stadt. Wenn sie einmal krank war oder ein paar Tage Urlaub hatte, dann fragen die Leute gleich nach, was denn los gewesen sei. Dominique nimmt das als ein kleines Kompliment: „Ich bin den Leuten nicht egal.“