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Auf Umwegen zum Handwerk

Der Sörnewitzer Paul Mühlberg ist jetzt Tischlergeselle. Mit einem besonderen Gesellenstück. Und nach manch anderem Job.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Paul Mühlberg ist ein aufmerksamer Mensch. Ja, natürlich kann die Besucherin die Sandalen anbehalten, sagt der 30-Jährige, als er den fragenden Blick auf die Schuhe vor der Wohnungstür bemerkt. Und weil die Dachwohnung gut gewärmt und der Besuch etwas erhitzt ist, steht schnell ein Glas Wasser auf dem Esstisch – aber auf was für einem! Einer der absoluten Hingucker in Mühlbergs Wohnreich. Kräftige Eichenbohlen mit unregelmäßigen Außenkanten, wie ein Baumstamm. Ein Tisch zum Gern-Dransetzen. Stabil, zuverlässig, unverwechselbar, mit viel Platz.

Der Frage nach der Herkunft des Möbels kommt Paul Mühlberg zuvor. Denn ohne diese Geschichte ist auch eine andere nicht erzählt. Die Story zum Anlass des Besuchs, dem Gesellenstück des jungen Mannes. Von einer Jury für den Bundeswettbewerb „Die Gute Form“ ausgewählt und natürlich auch in der Wohnung zu finden: der Couchtisch vorm dunkelgrauen Sofa.

Seit wenigen Tagen besitzt Paul Mühlberg den Abschluss als Tischlergeselle. Das hat er sich lange nicht träumen lassen. Obwohl es gar nicht so unwahrscheinlich ist. Hat doch sein Vater in Semmelsberg im Triebischtal eine Tischlerei, auch der Großvater war Tischler. Und Klein-Paul hilft seinerzeit schon mit in der väterlichen Werkstatt. Mal ein Stück Holz halten, mal was zu reichen. Handlangerarbeiten eben. Zu wenig kreativ. Nicht unbedingt das, was sich der Junge als Zukunft vorstellt. Ihn zieht es nach dem Gymnasium zum Studium, wozu macht man sonst Abitur?

Doch eine große Liebe wird es nicht zwischen Uni und Paul. Weder eine abgespeckte Jura-Variante noch Geschichte und Germanistik können ihn richtig fesseln. Irgendwann will und muss er Geld verdienen. Deshalb die Abi-Ausbildung zum Sporthändler und Handelsfachwirt, samt Anstellung im Einzelhandel. Was ihn auch nicht rundum erfüllt, muss er doch vor den Kunden für Produkte geradestehen, auf deren Herstellung er keinen Einfluss hat.

Frust und neue Suche. Vielleicht doch ein Handwerk? In Mühlbergs Wohnung ist manche Tischlerarbeit von ihm zu finden. Mit Unterstützung des Vaters entstanden. Vor der Handwerkerlehre. Der originelle Eichenesstisch, die helle, geschickt aufgeteilte Küche, die an Fachwerk erinnernden Lindenholzbalken im Schlafzimmer, unter denen sich LED-Lampen verstecken. Seine damalige Freundin ist vom Selbstgebauten begeistert, erzählt der sportliche Mann. Und streicht über die Tischplatte. Müsste mal wieder geölt werden, sagt er. Dann kommt die Farbe des Holzes richtig hervor, wird die Oberfläche schön glatt. Den Sörnewitzer reizt es nicht nur, hinter die Geheimnisse des Holzbearbeitens zu kommen. Er wünscht sich einen Job zum Geldverdienen und Zufriedensein. Durch eine Tischlerlehre? Paul Mühlberg bewirbt sich auch bei Ligneus Inneneinrichtung und Ladenbau in Ottendorf-Okrilla, wird schließlich genommen. Büffelt drei Jahre. Muss sein räumliches Vorstellungsvermögen ebenso schulen wie den Umgang mit technischen Zeichnungen. Die in seinem Betrieb – der ihn übernommen hat – demnächst über Display erscheinen.

Die Abschlussprüfung gelingt, auch das Gesellenstück. Mit einer Überraschung: Es wird für den Wettbewerb „Die Gute Form“ nominiert. Jährlich können die Kreishandwerkerschaften bis zu fünf Gesellenstücke für den Bundesgestaltungswettbewerb auswählen. Dass sein Couchtisch in Kamenz dabei ist – mit drei anderen von 19 Arbeiten –, verblüfft Paul Mühlberg schon. Obwohl er sich sehr intensiv beschäftigt hat mit der Aufgabe.

Ein modernes Möbelstück herzustellen, in klarer Formsprache und Maserung, mit Anleihen in der Postmoderne, beim Bauhaus. Er entscheidet sich für etwas Nützliches, Beständiges, einen Couchtisch, der Alte fällt fast auseinander. Ein Extra der Neuschöpfung: Die vier Füße, nicht wie meist an den Ecken angebracht, sondern in der Seitenmitte. Eine Sisyphusarbeit. Drei Versuche braucht der junge Mann, bis sie bündig passen.

Nun hat der Esstisch noch einen Konkurrenten im Blickfang-Wettkampf. Und Paul Mühlberg eine weitere Bestätigung für seine Berufsentscheidung. Schon deshalb würde er den Couchtisch nicht verkaufen. Doch das ist derzeit auch kein Thema für ihn. Eher der Gedanke, wieder mal mit Freunden und Familie – zu der auch Bruder und Schwester gehören – gemeinsam zu kochen. Und eine neue passende Sportart zu finden, nachdem sein Kletterkumpel weggezogen ist. Vor all dem aber kommt erst mal der Urlaub. Neben der Neugier, wie es seinem Couchtisch im Form-Wettbewerb weiter ergeht.

www.tischler-sachsen.de/wettbewerbe/die-gute-form/