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Aus Paris nach Radeberg

Agathe Bruhat hilft als Seiteneinsteigerin beim Französisch-Unterricht. Aber Seiteneinsteiger allein reichen nicht aus.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche und Jana Ulbrich

Das sächsische Lehrer-Dilemma war ihre Chance: Agathe Bruhat kann nun in Radeberg Schüler in Französisch unterrichten. Als sogenannte Seiteneinsteigerin hilft die junge Französin nun, den Lehrer-Mangel an sächsischen Schulen ein wenig einzudämmen.

Aufgewachsen ist die 28-Jährige in der französischen Hauptstadt Paris; und für zwei Jahre war sie im Rahmen ihres Studiums dann als Fremdsprachen-Assistentin nach Deutschland gekommen und war am Humboldt-Gymnasium in Radeberg im Einsatz. „Das hat mir richtig viel Spaß gemacht und ich wollte unbedingt diesen Weg weitergehen, da bot sich jetzt die Chance, als Seiteneinsteigerin weiter an einer Schule mit Schülern zu arbeiten“, sagt die fröhliche junge Frau – und ist spürbar zufrieden, dass sie seit Schuljahresbeginn nun an der Pestalozzi-Oberschule in Radeberg Französisch-Unterricht anbieten kann. Agathe Bruhat hatte sich bei der Bildungsagentur beworben, „und ich hatte gebeten, in Radeberg bleiben zu können, das hat letztlich auch geklappt“, freut sie sich. Und auch die Schule ist begeistert von der Hilfe. Und wer weiß, vielleicht wird ja auch mehr daraus, sagt die junge Französin. „Ich will Lehrerin werden, und ich lerne hier jetzt sehr viel dazu“, beschreibt sie. „Ich werde wunderbar von den Kollegen unterstützt – und die Schüler hier an der Pestalozzi-Schule sind sehr motiviert.“ Vielleicht, sagt sie, „bleibe ich ja am Ende in Deutschland – ich wohne in Dresden und fühle mich in Radeberg richtig wohl“, unterstreicht sie.

2b wartet sehnsüchtig auf einen Lehrer

Auf eine ähnliche Unterstützung hofft man dabei beispielsweise auch in der Grundschule Hermsdorf. Auch hier, im Ottendorfer Ortsteil, ist noch eine Stelle frei. Die Klasse 2b wartet sehnsüchtig auf einen Lehrer. Die Stelle ist jetzt sogar „schulscharf“ ausgeschrieben. Aber bisher hat sich noch niemand beworben. „Das ist wirklich eine ziemlich schwierige Situation“, sagt Schulleiterin Carmen-Regina Brodengeier. Dabei tun sie und ihre Kolleginnen, was sie können. Sie teilen sich die Klasse auf, übernehmen zusätzlich Stunden, verteilen den Ausfall gleichmäßig auf alle Klassen. „Ich bin sehr froh, dass die Eltern so viel Verständnis haben“, sagt die Schulleiterin. Aber auch die Eltern wissen ja, dass die Schule nichts für die Lage kann.

Dabei liegt Hermsdorf noch im Speckgürtel von Dresden, dort wo die Personalsituation zwar schwierig, aber noch nicht annähernd so angespannt ist wie in den Dörfern im sogenannten flachen Land. Noch immer sind im Landkreis 50 Stellen unbesetzt. Aber auch über 100 neu eingestellte Seiteneinsteiger stehen bisher noch nicht vor den Klassen, weil sie erst einmal eine dreimonatige Schnell-Qualifizierung durchlaufen. Neben der Grundschule Hermsdorf suchen momentan auch noch 13 weitere Schulen in der Region jetzt auf direktem Wege und zum schnellstmöglichen Zeitpunkt Lehrer.

Es ist nur noch ein Zerren und Wenden, so beschreibt Petra Müller, die stellvertretende Vorsitzende des Sächsischen Lehrerverbands die Personalsituation an den Schulen. Im Moment, sagt sie, fallen im Kreis Bautzen so viele Unterrichtsstunden aus wie noch nie.

Die Situation sei noch schwieriger als im vergangenen Schuljahr mit dem bisher höchsten Stundenausfall seit der Wende. Die Zahlen für das letzte Schuljahr hat das Kultusministerium jetzt veröffentlicht. Es gibt Schulen, an denen jede zehnte Stunde ersatzlos ausgefallen ist. Noch gar nicht dazugerechnet sind da die Stunden, in denen die Schüler Vertretung in einem anderen Fach hatten oder mit Aufgaben beschäftigt worden sind.

Erstmals von vornherein gekürzt

In diesem Schuljahr, sagt Gewerkschafterin Petra Müller, ist es zum ersten Mal nicht mehr die Ausnahme, dass die Stundentafel gleich von vornherein gekürzt werden muss, dass eine Klasse zum Beispiel von vornherein eine Stunde weniger Mathe, Deutsch oder Englisch pro Woche hat, als der Lehrplan das eigentlich vorsieht. „Der Mangel wird gleichmäßig verteilt“, sagt Petra Müller. „Wir haben auch keinerlei Puffer und Reserven mehr.“ Inzwischen seien fast alle Schulen mehr oder weniger stark betroffen.

Verteilt wird der Mangel beispielsweise mit ganzen oder stundenweisen Abordnungen von Lehrern an andere Schulen. „Erstmalig sind in diesem Schuljahr selbst Gymnasiallehrer an Grundschulen abgeordnet worden“, bestätigt Petra Müller. Vermehrt würden auch Kurse und Klassen zusammengelegt, Klassenstärken überschritten und der Unterricht in A- und B-Wochen eingeteilt: In der A-Woche fällt Physik in der einen Klasse aus, in der B-Woche in der anderen. In der auch fürs Rödertal zuständigen Bautzener Bildungsagentur spricht man in solchen Fällen von „Anpassungen“. Wie viel Unterricht derzeit tatsächlich ausfällt, sagt Bildungsagentur-Sprecherin Angela Ruscher nicht. Sie erklärt, dass in ihrer Behörde dazu keine aktuelle Statistik geführt wird. „Wir arbeiten auf Hochtouren, um die offenen Stellen so schnell wie möglich besetzen zu können“, sagt die Sprecherin.

Petra Müller vom Lehrerverband hat aber noch andere Sorgen: Die ohnehin schwierige Personalsituation wird durch einen hohen Krankenstand noch zusätzlich verstärkt. „Wir haben derzeit eine rasante Zunahme an schwerbehinderten und langzeiterkrankten Kollegen“, weiß sie.