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Gefangen auf der Weihnachtsinsel

Australiens harte Flüchtlingspolitik ist in aller Welt bekannt: Doch das Schicksal einer Familie aus Sri Lanka bewegt nun zahlreiche Menschen im Land.

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Das Schicksal der tamilischen Familie Murugappan bewegt in Australien viele Menschen.
Das Schicksal der tamilischen Familie Murugappan bewegt in Australien viele Menschen. © Joel Carrett/AAP/dpa

Sydney. Tharnicaa Murugappan ist in Australien geboren - und doch hat das kleine Mädchen mit sri-lankischen Wurzeln fast ihr ganzes Leben in Abschiebehaft verbracht. Ihren vierten Geburtstag feierte sie im Juni in einem Krankenhaus in Perth, von Grenzbeamten bewacht. Nur ihre Mutter war dabei.

Der Vater und die ebenfalls in "Down Under" geborene ältere Schwester wurden 2.600 Kilometer entfernt festgehalten, auf einem Atoll im Indischen Ozean. Die Geschichte der Familie ist beispielhaft für die umstrittene Asylpolitik Australiens. Menschenrechtler kritisieren sie als "unnötig grausam".

Bisher hat Tharnicaa all ihre Geburtstage in Gefangenschaft verbracht. Angela Fredericks, eine Freundin der Familie, sagte der Zeitung "The West Australian", die Situation breche ihr das Herz. "Tharni sollte heute eigentlich in einem Park herumtoben und eine große Geburtstagstorte essen", sagte sie. Die Eltern Nades und Priya waren vor knapp zehn Jahren per Boot aus Sri Lanka geflohen, wegen der Nachwehen des dortigen Bürgerkriegs.

Ab 2014 durften sie sich in der Gemeinde Biloela in Queensland niederlassen, um den Ausgang ihres Asylverfahrens abzuwarten. Sie fanden Arbeit, bekamen zwei Kinder, waren bestens in die Gesellschaft integriert. Aber dann wurde das Asylgesuch abgelehnt und auch ein befristetes Visum lief im März 2018 aus. Für die Tamilen begann eine australische Odyssee - mit noch immer ungewissem Ausgang.

Zunächst wurden sie in Abschiebehaft nach Melbourne geflogen. Aber kurz vor der geplanten Abschiebung schafften es Anwälte - auch dank einer von 350.000 Menschen unterschriebenen Petition -, eine einstweilige Verfügung vor Gericht zu erwirken. Im August 2019 wurden die Murugappans dennoch plötzlich in ein Flugzeug verfrachtet - bevor dieses wegen eines neuen Gerichtsbeschlusses auf halber Strecke nach Sri Lanka kehrt machte und nach Australien zurückkehrte.

Demonstranten nehmen mit Plakaten an einer Kundgebung teil, um gegen die Abschiebung der tamilischen Familie Murugappan nach Sri Lanka zu protestieren.
Demonstranten nehmen mit Plakaten an einer Kundgebung teil, um gegen die Abschiebung der tamilischen Familie Murugappan nach Sri Lanka zu protestieren. © Ellen Smith/AAP/dpa

Schließlich wurden die vier in ein Haftzentrum auf der abgelegenen Weihnachtsinsel gebracht. Sie waren dort die einzigen Insassen, weil das Lager Monate zuvor eigentlich bis auf weiteres geschlossen worden war. Selbst die Inselbewohner zeigten sich geschockt. "Ich glaube nicht, dass Sie auf der Weihnachtsinsel jemanden finden werden, der der Meinung ist, dass kleine Kinder inhaftiert werden sollten", sagte Gordon Thomson von der örtlichen Labour Party der australischen ABC.

Tagein, tagaus nur die Wächter und die Familie. Ohne Freunde, nur die Angst als ständiger Begleiter. Eine angemessene Krankenversorgung? Fehlanzeige. So entwickelte Tharnicaa wegen einer unbehandelten Lungenentzündung eine Blutvergiftung. Nur wegen ihres kritischen Zustands willigten die Behörden schließlich ein, sie mit Mama Priya nach Perth ausfliegen zu lassen. Papa Nades und Schwester Kopika mussten zunächst auf der Insel zurückbleiben.

Christmas Island. Das Eiland gehört politisch zu Australien, liegt aber vor der Küste Indonesiens. Das dortige Internierungslager existiert seit 2008. Mit allen Mitteln soll verhindert werden, dass Migranten auf das australische Festland gelangen. Immer wieder gab es in dem Haftzentrum Selbstverletzungen und Todesfälle. Ende 2015 kam es nach dem Tod eines Insassen zu einem zweitägigen Aufstand.

Der Ursprung der australischen Asylpolitik liegt fast genau 20 Jahre zurück. Schon damals spielte die Weihnachtsinsel eine Rolle. Ende August 2001 hatte das norwegische Container-Frachtschiff "Tampa" nördlich des Atolls mehr als 400 zumeist afghanische Flüchtlinge von einem sinkenden Fischerboot gerettet. Obwohl Christmas Island der nächstgelegene Hafen war, wies die australische Regierung Kapitän Arne Rinnan an, nach Indonesien zu fahren.

Blick auf einige der 434 Flüchtlinge, unter ihnen schwangere Frauen, Kinder und Kranke, die im Indischen Ozean in Seenot geraten waren.
Blick auf einige der 434 Flüchtlinge, unter ihnen schwangere Frauen, Kinder und Kranke, die im Indischen Ozean in Seenot geraten waren. © epa Scanpix/epa/dpa

Aber sein Frachter war überfüllt, der Zustand der Flüchtlinge verschlechterte sich zusehends. Einige drohten, über Bord zu springen, sollte das Schiff nach Indonesien fahren. Als Rinnan trotz der Drohung, in Australien wegen Menschenhandels angeklagt zu werden, vor dem Atoll in australische Hoheitsgewässer einfuhr, stürmten Spezialeinheiten das Schiff. Die Afghanen wurden an Bord des Marinetransportschiffes "HMAS Manoora" gebracht. Erst nach mehr als drei Wochen auf See gingen die ersten 100 Bootsflüchtlinge auf der Insel Nauru an Land. Die winzige Südpazifik-Republik und Neuseeland hatten sich zur Aufnahme der Menschen bereit erklärt.

Wegen der so genannten "Tampa-Affäre" peitschte der damalige konservative Premier John Howard ein neues Grenzschutzgesetz durch das Parlament - und gewann im November des gleichen Jahres wohl vor allem wegen seiner strikten Asylpolitik die Parlamentswahl. Seither erreichen kaum noch Migrantenboote australisches Territorium. Die, die es versuchen, werden oft zurück auf das offene Meer geschickt.

Howard schuf zudem die "Pazifische Lösung": Ein Kranz von Flüchtlingsinseln nimmt seit damals jene auf, die mit schwimmenden Seelenverkäufern auf den Fünften Kontinent wollen. Mit den verarmten Staaten Nauru und Papua-Neuguinea handelte Canberra Abkommen aus, um Lager zu bauen. Wer Asyl erhält, soll dort - und nicht in Australien - ein Aufenthaltsrecht bekommen. Vor allem Kinder hätten wegen dieses Verfahrens "unermessliches Leid" durchgemacht, sagte Sophie McNeill von Human Rights Watch Australia (HRW) der Deutschen Presse-Agentur.

Das Schicksal der Murugappans - die seit kurzem wiedervereint in Perth sind - sorgt derweil weiter für Schlagzeilen. Tausende demonstrierten bereits gegen die unmenschliche Behandlung. Die Initiative "Home to Bilo" kämpft unermüdlich für ein Bleiberecht der vier. Familienfreundin Angela Fredericks ist überzeugt: "In Sri Lanka droht ihnen die sofortige Festnahme - und ihre kleinen Töchter würden in ein Waisenhaus gesteckt."

Kurz bevor die derzeitigen befristeten Visa ausliefen, verlängerte ein Gericht sie jetzt bis zum 23. Dezember. Ein weiterer Aufschub, keine Lösung. Kurz vor Weihnachten könnte die Familie erneut in Abschiebehaft landen - oder abgeschoben werden. "Tharnicaa und Kopica sind in Queensland geboren, in einem Ort, der sie zurückhaben will", sagt McNeill. Die Menschenrechtlerin ist überzeugt, dass Australiens Asylpolitik, "die Einwanderungshaft als Strafe und nicht als letztes Mittel anwendet", dem Ansehen des Landes erheblichen Schaden zufügt. (dpa)