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Backpfeifen im Braunsdorfer Spatzennest

Als ihr persönliche Probleme über den Kopf wachsen, verliert eine Erzieherin die Nerven.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Annett Heyse

Wenn Eltern am frühen Morgen ihre Kinder an der Kindergartentür verabschieden, geben sie damit das Wertvollste, was sie haben, in fremde Hände. Sie müssen sich darauf verlassen, dass ihre Kleinen gut aufgehoben sind. Nichts ist schlimmer, als ein weinendes Kind zurückzulassen. Nichts ist schlimmer, als der Gedanke, dass sich das Kind im Kindergarten nicht wohlfühlt. Erzieher, Kind und Eltern – das ist eine ganz besondere Beziehung. Eine, die auf Vertrauen basiert. Ein Vertrauen, das eine Erzieherin zerstört hat. Mit drei Backpfeifen ins Gesicht des kleinen Marius*. Dafür musste sie sich gestern vor dem Amtsgericht verantworten.

Der Vorfall geschah im Juli 2013 in der Kita Spatzennest in Braunsdorf. Die Kleinen der Schnecken-Gruppe – alle noch im Krippenalter – sitzen gegen 11.30 Uhr im Baderaum auf Töpfchen. Plötzlich, so schildert die Angeklagte vor Gericht, habe Marius einem neben ihm sitzenden Mädchen in die Hand gebissen. „Das machen manche in dem Alter, ist so eine Phase“, erklärt sie Richter Xaver Seitz. Das Mädchen jedenfalls habe losgeschrien. „Da bin ich hin, habe mit Marius geschimpft und … und ihm etwas auf den Mund geschlagen.“ Dreimal, so gibt sie zu, habe sie den Jungen gehauen, aber nicht schlimm, eher so leicht.

Einige Klapse also? Zwei ihrer Kolleginnen haben etwas anderes gesehen. Die beiden Frauen standen mit ihrer Kollegin nahe der Badezimmertür. Als das Mädchen losschrie, sei die Frau zu Marius geeilt und habe ihn am Kinn hochgezogen. Es fielen derbe Schimpfworte. „Dann hat sie mit der flachen Hand zugeschlagen. Dreimal auf die Wangen. Rechts, links, rechts“, berichtet eine Kollegin. Eine andere bestätigt dies. Richtig geklatscht habe es. Und es soll keine Affekthandlung gewesen sein. „Sie hat nicht rasch geschlagen, sondern mit kurzen Pausen dazwischen. Mir kam es so vor, als gucke sie genau, wohin sie schlägt“, berichtet eine Zeugin. Der Zweijährige hätte gewimmert und die Angeklagte habe ihn angeherrscht, er solle jetzt nur nicht weinen. Dann ging es ab zum Mittagsschlaf.

Die Angeklagte, zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt, ist eine große, kräftige Frau. Sie wirkt resolut. Der Typ, der sich nicht gern auf der Nase herumtanzen lässt. Doch sie soll im Sommer 2013 nervlich angeschlagen gewesen sein. „Mein Mann litt damals an Krebs, mein Bruder hatte sich das Leben genommen, die Arbeit war belastend“, rechtfertigt sie ihren Aussetzer. Das Verhältnis zu den Kollegen soll nicht gut gewesen sein. Sie deutet an, gemobbt worden zu sein. „Heute bin ich froh, dass ich dort nicht mehr arbeite.“ Zu Marius habe sie ein normales Verhältnis gehabt. Ob der Junge nach dem Vorfall irgendwie anders gewesen sei, will der Richter wissen. Sie verneint das. Sie hatte dann aber auch keinen Kontakt mehr zu dem Kind.

Die Familie fährt am nächsten Tag in den Urlaub. Als Marius anschließend wieder in der Krippe geht, ist die Erzieherin im Urlaub. Marius’ Eltern wissen nichts von den Schlägen. Erst Wochen später erfahren sie auf Umwegen von dem Vorfall. Auch die beiden Zeuginnen schweigen zunächst. „Normal hätte man sofort eingreifen müssen. Aber wir waren zu geschockt“, sagt eine. Ihre Kollegin saß dann am Bettchen von Marius, der immer noch wimmerte. „Ich war den ganzen Tag perplex. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.“ Die Kita-Leiterin war im Urlaub, zur Stellvertreterin habe man kein Vertrauen gehabt. Ende August aber hatte sich der Vorfall bis zum Kindergartenverein Wilsdruff, dem Betreiber des Spatzennestes, herumgesprochen. Die Angeklagte erhielt die fristlose Kündigung.

Seitdem hat sie in verschiedenen Kitas gearbeitet, ist derzeit befristet angestellt. „Es tut mir leid. Ich hätte mich rausnehmen sollen aus dem ganzen Stress. Mir sind einfach die Nerven durchgegangen“, entschuldigt sie sich vor Gericht bei den Eltern, die als Nebenkläger auftreten. Die schütteln beide den Kopf, sind immer noch empört, wie so etwas passieren konnte und dass es nie zu einer Aussprache gekommen ist.

Die Angeklagte wird wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 2 250 Euro verurteilt. Außerdem muss sie 500 Euro Schmerzensgeld an Marius zahlen und die Prozesskosten tragen. Sie kann froh sein, noch Arbeit in ihrem Beruf zu haben.

*Name von Redaktion geändert