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Bahn will Volltunnel-Variante planen

Für die Neubaustrecke nach Prag beginnt die Grobplanung. Schon jetzt zeichnen sich viele Herausforderungen ab.

Von Thomas Möckel
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Kay Müller von der DB Netz AG mit möglichen Routen für die Schnellbahntrasse: „Hinsichtlich der Streckenführung waren wir wohl etwas betriebsblind.“
Kay Müller von der DB Netz AG mit möglichen Routen für die Schnellbahntrasse: „Hinsichtlich der Streckenführung waren wir wohl etwas betriebsblind.“ © Norbert Millauer

Über 240 Züge, darunter 150 Güterzüge, rumpeln derzeit täglich durchs Elbtal zwischen Pirna und der Grenze zu Tschechien. Die Trasse ist die vom Güterverkehr am zweitstärksten frequentierte Strecke in Deutschland, ihre Kapazität ist nahezu ausgereizt. Hinzu kommt, dass der Dauer-Zugbetrieb mächtig Lärm verursacht, der Anwohner und Touristen zunehmend nervt. 

Um die Elbtalstrecke zu entlasten, den Lärm zu reduzieren und und die Fahrzeit nach Prag zu verkürzen, soll nun ein gigantisches Projekt Abhilfe schaffen: eine neue Schnellbahntrasse von Dresden nach Prag, 130 Kilometer lang, sowohl für Personen- als auch für Güterzüge geeignet, soll sie die Fahrzeit von derzeit 2,5 Stunden auf 50 Minuten verkürzen. Von Heidenau aus soll die neue Strecke größtenteils oder gar vollständig im Tunnel verlaufen und erst in Tschechien wieder auftauchen. Die ersten Schritte dafür sind getan, die SZ gibt einen Überblick über den aktuellen Stand.

Wie geht das Verfahren zu der Strecke weiter?

Derzeit befindet sich das Projekt in der Vorplanung. Anfang Mai fand die Antragskonferenz zum sogenannten Raumordnungsverfahren statt, für das die Landesdirektion Sachsen verantwortlich ist. Dabei wird geprüft, ob die mögliche Trassenführung auf sogenannte Raumwiderstände trifft – beispielsweise Rohstoff-Lagerstätten, Trinkwasser-Reservoirs, Naturschutzgebiete oder andere große Verkehrsprojekte. Am Ende dieses Verfahrens steht noch kein konkreter Streckenverlauf fest, aber mögliche Korridore, durch die die Trasse verlaufen kann. „Idealerweise gibt es nachher zwei bis drei Vorzugskorridore, auf die sich dann unsere Feinplanung erstreckt“, sagt Kay Müller, Neubaustrecken-Projektleiter bei der DB Netz AG.

Wie viele Streckenvarianten werden untersucht?

Die Deutsche Bahn geht mit sieben möglichen Streckenverläufen in das Raumordnungsverfahren. Was allen gemein ist: Alle Routen-Varianten zweigen in Heidenau von der bestehenden Bahnstrecke ab. Die von Sachsen favorisierte Variante führt zunächst durch einen kurzen Tunnel, geht dann per Brücke übers Seidewitztal und taucht dann bei Dohma wieder in einen Tunnel ab. Dagegen verlaufen zwei Alternativ-Routen – vorgeschlagen und fachlich bis ins Detail untersetzt von der Dohmaer Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“ – von Heidenau aus vollständig im Tunnel bis nach Tschechien.

Hat die Bahn eine Vorzugsvariante?

Die Bahn hat jetzt abermals betont, dass sie selbst bislang keine der möglichen Routen favorisiert. „Für uns gibt es derzeit keine Vorzugsvariante“, sagt Müller. Sämtliche Vorschläge würden im Raumordnungsverfahren gleichberechtigt untersucht, nichts werde im Vorhinein ausgeschlossen, auch nicht jene Alternativen der Bürgerinitiative. Müller hofft sogar darauf, dass es am Ende der Raumordung zumindest einen möglichen Korridor anhand der Bürgerinitiativen-Vorschläge gibt. „Denn wir wollen gern auf alle Fälle eine Volltunnel-Variante detailliert durchplanen“, sagt er. Doch woher kommt dieser Sinneswandel? Die Bahn, sagt Müller, habe sich anfangs zu sehr an den Plänen des Freistaates orientiert, der die bis Dohma offene Streckenführung bevorzugt. Daher sei die Bahn sehr dankbar, dass die Bürgerinitiative die Volltunnel-Varianten ins Spiel gebracht habe, da die DB selbst eine solche Trassenführung zunächst nicht auf dem Schirm hatte. „Wir waren in dieser Hinsicht wohl ein bisschen betriebsblind“, sagt Müller.

Welche Anforderungen gibt es an die Neubaustrecke?

Der Bau der Bahntrasse stellt die Bahn vor große Herausforderungen. Die Strecke soll zweigleisig werden, die Gleise müssen aber in zwei getrennten Tunnelröhren verlaufen, da sich Personen- und Güterzüge im Tunnel nicht unmittelbar begegnen dürfen. Die Steigung darf nicht größer sein als 12,5 Promille, damit Güterzüge, bespannt mit einer Lok, über den Berg kommen und nach einem Stopp auch wieder aus eigener Kraft anfahren können. Zudem braucht es künftig eine gemeinsame Stromschnittstelle, da die deutsche und die tschechische Bahn derzeit mit unterschiedlichen Stromsystemen unterwegs sind. Zu klären ist auch, wo es Querverbindungen zwischen den einzelnen Tunnelröhren gibt und wo ein Nothalt eingerichtet wird. Auch gibt es jetzt schon Hindernisse: Zum einen kollidiert einer der Bürgerinitiativen-Vorschläge mit einem Kalksteinvorkommen, das abgebaut werden soll. Zum anderen erstreckt sich bei Börnersdorf ein großer Kreidekeil ins Erdreich, der möglicherweise den Tunnelbau erschwert.

Wie sieht der Zeitplan für das Bahnprojekt aus?

Im vierten Quartal dieses Jahres soll das Raumordnungsverfahren beginnen, bis Oktober will die Bahn die dafür erforderlichen Unterlagen fertig haben. Die Landesdirektion will dann das Verfahren innerhalb der nächsten sechs Monate – schätzungsweise bis Mai oder Juni 2020 – abschließen. Anhand der dann feststehenden Korridore beginnt die Bahn mit der Feinplanung, die laut Müller bis 2024 oder 2025 fertig sein könnte. Erst dann gibt es eine Vorzugsvariante, für die noch Baurecht geschaffen werden muss.

Ein Baustart ist derzeit noch völlig unklar, ebenso, wie lange das Vorhaben dauern wird. Müller schätzt allein die Bauzeit für den Tunnel auf zehn bis zwölf Jahre, die Tunnelbohrmaschine schafft im Schnitt zehn bis 20 Meter am Tag, ein Meter Tunnelbau kostet etwa 35 000 Euro. Auch, ob die im Raum stehenden Baukosten von rund 1,3 Milliarden Euro schon endgültig feststehen, ist noch unklar.

Wie können sich die Bürger am weiteren Verfahren beteiligen?

Es gab bereits im Vorfeld mehrere Bürgerforen, die nach Aussage der Bahn gut besucht waren. Das Ergebnis: Viele Bürger wollen ausschließlich eine Volltunnel-Variante akzeptieren. Startet im Herbst das Raumordnungsverfahren, liegen die Unterlagen für vier Wochen öffentlich in den Kommunen aus. Jeder, der mag, kann in dieser Zeit Anregungen, Bedenken und Hinweise äußern. Ob sie berücksichtigt werden, ist aber unklar. Juristische Mittel, um beispielsweise gegen eine der Varianten vorzugehen oder eine der Varianten festzulegen, gibt es in diesem Verfahrensstadium für die Bürger nicht. Rechtliche Möglichkeiten gibt es erst beim folgenden Planfeststellungsverfahren, nachdem auch Bürger zum Beispiel gegen den Planfeststellungsbeschluss klagen können.

Wie geht die Bürgerinitiative jetzt weiter vor?

Die Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“ kämpft jetzt zunächst dafür, dass ihre Streckenvorschläge Eingang in den Regionalplan finden. „Wir haben ja die Varianten extra so gelegt, um schon möglichst viele Risiken im Vorfeld auszuschließen“, sagt Steffen Spittler von der Bürgerinitiative. Bislang wurden die Trassen im Regionalplan allerdings nicht berücksichtigt – wegen der Rohstoff-Lagerstätten, so zumindest die offizielle Lesart. Spittler vermutet dahinter jedoch politisches Kalkül, um möglicherweise die von Sachsen favorisierte Route durchzudrücken. „Wir müssen jetzt unbedingt aufpassen, dass unsere Vorschläge weiter im Rennen bleiben“, sagt Spittler, zumal er bei der Vorlage für das Raumordnungsverfahren gravierende Fehler ortete. So seien beispielsweise die von der Bürgerinitiative vorgeschlagenen Streckenverläufe nicht richtig wiedergegeben worden. Bei einem Dialogforum in dieser Woche, zu dem die Träger öffentlicher Belange geladen sind, will Spittler noch einmal für die Alternativrouten werben, auch, weil sie den bedenklichen Kreidekeil bei Börnersdorf weiträumig umgehen.

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