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Bahnlärm lauter als vorher

So scheint es jedenfalls mehreren Anwohnern, die westlich des neuen Bahndamms wohnen. Dort fehlen weitere Schallschutzwände.

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© Kristin Richter

Von Jörg Richter

Großenhain. Annemarie Gose wohnt seit 24 Jahren in dem Haus an der Ecke Großraschützer-/Merschwitzer Straße. Viele Passanten wundern sich vielleicht, warum die Witwe hinter ihrer Hecke eine Mauer errichten ließ. Sie soll den Autolärm abhalten. Gegen die Geräusche der Bahn können die etwa zwei Meter hohen Betonmauern allerdings auch nichts ausrichten. Die 82-Jährige ist, so bezeugen es viele Anwohner des benachbarten Florian-Geyer-Wegs, die wohl am meisten Betroffene des Bahnlärms an der ICE-Strecke Dresden-Berlin, die erst letztes Jahr komplett erneuert wurde.

Mit solchen Rammen sind während der Bauarbeiten an der neuen ICE-Trasse in Großenhain riesige Stahlprofile im Boden versenkt worden. Diesen Krach haben die Anwohner hingenommen.
Mit solchen Rammen sind während der Bauarbeiten an der neuen ICE-Trasse in Großenhain riesige Stahlprofile im Boden versenkt worden. Diesen Krach haben die Anwohner hingenommen. © SZ-Archiv/Kristin Richter

„Ich bin völlig mit den Nerven runter“, sagt Annemarie Gose selbst. Sie komme kaum noch zum Schlafen. Von den nächtlichen Erschütterungen vorbeifahrender Güterzüge wird sie ständig geweckt. „Ich spüre jeden Zug“, sagt die Rentnerin. Und auch am Tag könne man sich draußen kaum noch aufhalten. Eine gemütliche Kaffeerunde mit einer ungestörten Unterhaltung sei kaum mehr möglich.

Wie ein Boomerang

Zwar hat die Deutsche Bahn 1230 Meter Schallschutzwände links und rechts der neuen Gleise errichten lassen. Doch nicht durchgehend. Auf halber Höhe entlang der Merschwitzer Straße fehlen sie. Das ist die westliche Seite des Bahndamms. Dagegen führte die östliche Schallschutzwand bis zum Stadtpark. Und das hat für die Anwohner der halben Merschwitzer Straße und des dahinterliegenden Florian-Geyer-Weges Folgen. „Der Schall der Züge kommt zurück wie ein Boomerang“, beschreibt es Annemarie Gose sehr bildhaft.

Harald Kühne, der für Die Linke im Stadtrat sitzt, ist mit dem Problem vertraut. „Ich bin selber Zschieschener und höre immer wieder, dass sich Leute an der Bahnstrecke über den Lärm beschweren“, berichtet er und ergänzt, „es ist schlimmer geworden.“ Schlimmer im Vergleich vor dem Bahnbau, als es entlang der Gleise noch keine Schallschutzwände gab. Da breitete sich der Bahnlärm gleichmäßig in alle Himmelsrichtungen aus. Während des einjährigen Bahnbaus sorgten dann die Bagger, Rammen und Verdichtungsmaschinen für Krach. Meist am Tag, manchmal auch nachts. Die DB Netz AG zahlte den lärmgeplagten Anwohnern Entschädigung. 50 Euro pro Nacht soll es gegeben haben. Doch nur die Anwohner, die sich beschwert haben, erhielten das Geld.

Annemarie Gose ertrug den nächtlichen Baulärm auch ohne Entschädigung. Auch in der Hoffnung, dass es nachher ja leiser sei. Doch das Gegenteil ist der Fall. Seit der Freigabe der ICE-Strecke am 10. Dezember letzten Jahres kann die Rentnerin nachts kaum durchschlafen.

Sie und ihre Nachbarn vom Florian-Geyer-Weg drängen nun auf weitere Schallschutzwände. Die hat die Stadtverwaltung Großenhain bereits mit der DB Netz AG vereinbart. Innerhalb von drei Jahren sollen zusätzlich 370 Meter Schallschutzwände errichtet werden. Vor allem in dem sensiblen Bereich, der jetzt so viel Ärger macht. „Die Stadt hat bei den Verhandlungen mit der Bahn keinen schlechten Job gemacht“, würdigt Kühne. „Aber wir müssen jetzt dranbleiben!“ Der Linken-Stadtrat fordert eine schnellstmögliche Lärmmessung, um zu zeigen, dass sich die Anwohner die erhöhte Lärmbelastung nicht einbilden.

Mancher von ihnen ist skeptisch, ob die zusätzlichen Schallschutzwände überhaupt kommen. Denn mittlerweile ist bekanntgeworden, dass sich die Bahn möglicherweise ein Hintertürchen offen gehalten hat. Für den Fall, dass die Schallschutzwände nicht genehmigt werden oder sich die Bahn aus irgendeinem Grund nicht an den Bau zusätzlicher Lärmschutzwände hält, ist für 40 Häuser der bezahlte Einbau von Schallschutzfenstern vorgesehen. Sind bis zum 31. Dezember 2022 keine Schallschutzfenster eingebaut, leistet die Deutsche Bahn notariell beglaubigt eine Ersatzzahlung von 300 000 Euro. Von diesem Geld würde dann die Stadt die Fenster bezahlen.

Bundesamt bestätigt Bauabsicht

Auch Hans-Jürgen Schirmer befürchtet, dass die Bahn überhaupt keine zusätzlichen Schallschutzwände bauen will. „Ich glaube nicht, dass die Bahn noch mal die Gleise sperrt“, sagt er. Außerdem seien noch keine zusätzlichen Fundamente zu sehen. Die hätte die DB Netz AG ja schon vorsehen können, wenn sie sich mit der Stadt schon einig war, argumentiert er.

Doch wie die SZ vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) in Bonn erfuhr, scheinen die Zweifel an der Vereinbarung zwischen der Bahn und der Stadt unbegründet. Ein Pressesprecher des Eisenbahn-Bundesamtes bestätigt, dass die DB Netz AG beim EBA das Planrecht für zusätzliche Lärmschutzwände im Stadtgebiet Großenhain beantragt hat. Die Antragsunterlagen würden dort seit dem 7. Februar vollständig vorliegen. Noch am gleichen Tag wurde das Anhörungsverfahren bei der Landesdirektion Sachsen eingeleitet.