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Barfuß aus der Flammenhölle

Im Frühjahr 1999 sterben bei Bränden in zwei Alpen-Tunneln 51 Menschen. Ein Paar, das die Katastrophe im Tauerntunnel überlebt hat, blickt nun zurück. 

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Gespenstisch leuchtet die rote Feuersbrunst aus dem österreichischen Tauerntunnel im Frühjahr 1999. Wohl im Sekundenschlaf war der Fahrer eines Lastwagens auf ein Stauende vor der Tunnel-Baustelle gerast.
Gespenstisch leuchtet die rote Feuersbrunst aus dem österreichischen Tauerntunnel im Frühjahr 1999. Wohl im Sekundenschlaf war der Fahrer eines Lastwagens auf ein Stauende vor der Tunnel-Baustelle gerast. © epa apa/APA/dpa

Wien. Das Unglück hat bei Eva Mayer bis heute Spuren hinterlassen. "Ich habe immer noch Angst, wenn ein Lastwagen entgegenkommt", sagt die 71-jährige Rentnerin aus dem oberbayerischen Teisendorf. Und Tunnel mag sie gar nicht. 

Vor 20 Jahren war sie mit ihrem Mann, ihrem zwölfjährigen Sohn und dessem gleichaltrigen Freund auf dem Weg in der Urlaub nach Bibione an der Adria. Es habe noch Diskussionen über die passende Abfahrtszeit gegeben, erinnert sich der 77 Jahre alte Ludwig Mayer. Mit Verwandten, die ebenfalls nach Italien wollten, habe man sich auf 4 Uhr morgens geeinigt. Eine Stunde später umkurvten sie im Tauerntunnel in Österreich gerade eine Baustelle, als die Katastrophe begann. "Auf der Gegenfahrbahn, nur fünf Meter entfernt, krachte es", sagt Mayer.

Es war der 29. Mai 1999. Erst neun Wochen zuvor war der Montblanc-Tunnel bei einem verheerenden Brand für 39 Menschen zur tödlichen Falle geworden. "Ich habe gedacht, jetzt geht es uns genauso, wie denen im Montblanc-Tunnel." Eva Mayer hatte schon fast mit dem Leben abgeschlossen. Wohl im Sekundenschlaf war der Fahrer eines Lastwagens auf ein Stauende vor der Tunnel-Baustelle gerast.

Mehrere Autos werden zermalmt, 24.000 Spraylackdosen auf einem in den Unfall verwickelten anderen Transporter beginnen zu explodieren. Eine 1.200 Grad heiße Feuerwalze rollt durch die Betonröhre. Es ist ein Inferno. Erst Tage später steht die Bilanz fest: Zwölf Tote, darunter eine fünfköpfige Familie aus Reutlingen, 48 Verletzte, 67 Insassen erreichen aus eigener Kraft oder mit Hilfe der Retter den Ausgang.

Ludwig Mayer (77) hält ein Foto seines bei der Katastrophe im Tauerntunnel ausgebrannten VW-Passats in der Hand. Die 71-jährige Eva Mayer hat heute noch Angst vor Lastwagen. Sie gehörten zu den Überlebenden des Unglücks, das am 29. Mai 1999 zwölf Tote und
Ludwig Mayer (77) hält ein Foto seines bei der Katastrophe im Tauerntunnel ausgebrannten VW-Passats in der Hand. Die 71-jährige Eva Mayer hat heute noch Angst vor Lastwagen. Sie gehörten zu den Überlebenden des Unglücks, das am 29. Mai 1999 zwölf Tote und © Matthias Röder/dpa

"Es war vielleicht ein Glück, dass wir so nah am Unglücksort dran waren", meint Ludwig Mayer. Er konnte sofort ahnen, welche Folgen der Auffahrunfall noch haben würde. "Raus und nach hinten weglaufen", war sein Kommando an die Familie. Die Vier rannten um ihr Leben zum 800 Meter entfernten Nordportal des Tunnels, zuletzt eher tastend mit vorgestreckten Händen, weil alles dunkel und voller Rauch war. "Wir haben Menschen gesehen, die haben noch ihren Koffer aus dem Kofferraum geholt", erinnert sich der 77-Jährige. Er selbst hatte irgendwie automatisch seinen VW-Passat noch abgesperrt, aber das Urlaubsgeld im Handschuhfach vergessen. Andere begingen in Panik tödliche Fehler. Ein Ehepaar aus Belgien blieb im Auto sitzen, ein Grieche stieg zu ihnen in den Mercedes - in der falschen Annahme, das schwere Fahrzeug würde Schutz bieten.

Über das Verhalten von Menschen in Panik- oder Extremsituationen forscht Michael Schreckenberg an der Universität Duisburg-Essen. Das Schlimmste für die Menschen sei Dunkelheit, hat er bei seinen zahlreichen Studien über Unglücke festgestellt. "Das ist auch der Grund, warum die Betroffenen instinktiv immer nach oben wollen, oben ist das Licht", sagt der Forscher.

Das sei zum Beispiel auch beim katastrophalen Brand der Gletscherbahn in Kaprun im November 2.000 der Fall gewesen. In Panik liefen die Skifahrer nach oben in die tödliche Rauchwolke, statt wenige rettende Meter nach unten. 155 Tote waren zu beklagen. Schreckenberg hat nach zahlreichen Befragungen von Überlebenden auch festgestellt, dass selbst in Extremsituationen die meisten auch anderen helfen. "Der Mensch wird nicht zum absoluten Egoisten, der nur ans eigene Überleben denkt. Er sucht gemeinsame Lösungen."

Todesangst habe er nicht gehabt, meint Ludwig Mayer. Aber er habe gedacht: "Was machen die Kinder ohne den Vater?". Die drei Töchter waren zu Hause geblieben. Sein Sohn und dessen Freund waren barfuß aus dem Tunnel-Inferno entkommen, weil sie ihre Badelatschen im Auto nicht mehr anziehen konnten. Abgesehen von einer leichten Rauchvergiftung ging es für die Familie ohne Blessuren ab. "Wir waren nur schwarz bis zur Unterwäsche", erinnert sich Eva Mayer.

Die beiden Unglücke im Montblanc- und im Tauerntunnel waren der tragische Anlass für ein milliardenschweres Sanierungsprogramm für die Betonröhren auch und gerade in Österreich. Der Autobahnbetreiber Asfinag hat seitdem nach eigenen Angaben sechs Milliarden Euro in die Sicherheit der Tunnel investiert. Zweite Röhren, mehr Fluchtwege, bessere Beleuchtung, ausgetüftelte Warnsysteme wie Thermoscanner, die überhitzte Motore erkennen - das alles mache die 166 Tunnel in Österreich inzwischen zu den sichersten der Welt, heißt es bei der Asfinag. Zu den letzten großen Projekten gehört der Ausbau des für Urlauber, die nach Kroatien wollen, wichtigen Karawankentunnels. (dpa)