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Soll das Bargeld abgeschafft werden?

Leipzigs Wirtschaftsprofessor Gunther Schnabl warnt vor einer ultra-lockeren Geldpolitik und hat eine klare Meinung zu Schein und Münze.

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Wirtschaftswissenschaftler Gunther Schnabl hat den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig inne und leitet dort das Institut für Wirtschaftspolitik.
Wirtschaftswissenschaftler Gunther Schnabl hat den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig inne und leitet dort das Institut für Wirtschaftspolitik. © Foto: Anja Jungnickel

Herr Professor Schnabl, John Cryan, Ex-Chef der Deutschen Bank, hat 2016 in Davos gesagt: „In zehn Jahren wird Bargeld nicht mehr existieren. Es ist einfach schrecklich ineffizient?“ Teilen Sie diese Diagnose?

Nein! Bargeld ist zwar ineffizient, wenn es um große Summen geht, wie etwa beim Autokauf. Das geht per Überweisung leichter. Aber an der Kasse im Laden geht das Zahlen mit Bargeld immer noch schneller als mit Karte. Ich bin eher Bargeldtyp.

Warum?

Erstens aus prinzipiellen Gründen. Bargeld bedeutet Freiheit. Es ist wichtig, noch die Wahl zu haben. Das Portemonnaie voller Münzen ist lästig. Aber elektronische Bezahlverfahren und Buchgeld lassen sich leicht überwachen. Zweitens ist nicht auszuschließen, dass in Zukunft Spareinlagen mit negativen Zinsen entwertet werden. Ich möchte dann die Ersparnisse in Bargeld tauschen können. Mit der Abschaffung der 500-Euro-Scheine wurde das Bargeld deshalb bereits unattraktiver gemacht.

Die Europäische Zentralbank, die den Druck der Scheine eingestellt hat, sagt, dass so Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Korruption eingedämmt werden könnten.

Das halte ich für vorgeschoben. Diese Delikte können auch mit kleineren Scheinen begangen werden. Aus meiner Sicht sollen die Lagerkosten erhöht werden. Die Einlagen der Banken bei der EZB sind derzeit mit Strafzinsen von 0,4 Prozent versehen. Die Banken müssen laut Bankenverband dafür rund 7,5 Milliarden Euro im Jahr bezahlen. Diese Kosten ließen sich sparen, wenn die Banken das Geld bei der EZB abheben und in ihren eigenen Tresoren lagern würden. Dafür braucht man allerdings mit kleineren Scheinen viel mehr Platz und das hat höhere Kosten.

Was ist das Ziel der EZB?

Die EZB finanziert inzwischen nicht mehr nachhaltige Staatsausgaben und stabilisiert den Euro sowie ein labiles Finanzsystem. Das ist teuer. Spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat durch die sehr expansive Geldpolitik deshalb eine bewusste Entwertung des Bargeldes und der Spareinlagen eingesetzt. Die Notenpresse läuft.

Das hat aus Ihrer Sicht fatale Folgen.

Ja. Wenn Finanz- und Schuldenkrisen durch noch mehr billiges Geld therapiert werden, führt das zu neuen Übertreibungen. Niedrige Zinsen lähmen wirtschaftliche Anreize, weil nicht überlebensfähige Banken und Unternehmen ohne Restrukturierung am Leben erhalten werden. Die Produktivitätsgewinne und das Wachstum sinken.

Gleichzeitig sehen Sie einen Vertrauensverlust in die Kaufkraft des Geldes.

Früher stiegen bei lockerer Geldpolitik die Preise an den Ladenkassen. Heute haben Sie Nullzinsen und eine Inflation von unter zwei Prozent – also negative Realzinsen. Zudem hat eine Flucht in Sachwerte eingesetzt: die Bürger kaufen Gold, Immobilien und Aktien, sodass die Vermögenspreise nach oben schießen. Das ist eine andere Art der Inflation.

Dieser Prozess, sagen Sie, hat negative Umverteilungseffekte. Inwiefern?

Reichere und ältere Bevölkerungsschichten, die die meisten Vermögenswerte halten, gewinnen. Junge Menschen können sich zwar heute noch ein Smartphone und vielleicht eine Flugreise leisten, aber meist keine Immobilie mehr. Die Generation meiner Eltern konnte in jungen Jahren in der Wirtschaftswunderzeit noch Grundstück und Haus kaufen. Das zeigt einen Verlust von Kaufkraft, der vor allem die junge Generation trifft. Die wiederum erhält ihren Lebensstandard dadurch aufrecht, dass sie die Anzahl der Kinder reduziert. Das ist fatal für das Renten- und Sozialsystem.

Die Umverteilungseffekte gibt es aber nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch zwischen Ost und West.

Das billige Geld erzeugt dort die meisten positiven Effekte, wo sich die wirtschaftliche Macht ballt. Es treibt zum Beispiel die Immobilienpreise in Frankfurt am Main, München und Berlin nach oben. In Hoyerswerda, Görlitz und den kleinen Dörfern in Sachsen-Anhalt kommt wenig von dem neu geschaffenen Geld an. Insbesondere die exportorientierten Großunternehmen, die allesamt im Westen sitzen, profitieren, weil der niedrige Zins Kapitalexporte anheizt und damit im Ausland die Nachfrage nach deutschen Gütern ankurbelt. Auch die Besitzer von Aktien und Immobilien, deren Werte rasant ansteigen, leben überwiegend im Westen. Die werden jeden Tag reicher, weil die EZB kräftig Geld druckt.

Und der Osten zahlt die Zeche?

Es gibt nach wie vor große Lohnunterschiede. Die haben mit dem billigen Geld zu tun, weil sich die Unternehmen lieber auf niedrige Zinsen verlassen als die Effizienz zu erhöhen. Damit sind unter dem weichen Euro die Produktivitätsgewinne stark zurückgegangen, weshalb der Spielraum für Lohnerhöhungen sehr eng geworden ist. Die Menschen im Osten haben das früher zu spüren bekommen, weil infolge des Zusammenbruchs der DDR die Arbeitslosigkeit viel höher und die Verhandlungsmacht damit geringer war.

Die Entwicklung, sagen Sie, fördere auch einen Legitimationsverlust des Staates. Warum?

Der Staat hat sehr hohe Ausgabenverpflichtungen, die offensichtlich nicht mehr allein über Steuern, sondern auch über die Notenpresse finanziert werden. Das ist eine unlautere Besteuerung durch die Hintertür.

Was wäre der bessere Weg?

Man kann Staatsausgaben tätigen, muss aber ehrlich die Finanzierung kommunizieren. Das ist eine Frage der demokratischen Legitimation: Eine Steuererhöhung muss durch den Bundestag. Wenn hingegen die EZB in großem Umfang Staatsanleihen kauft und negative Zinsen setzt, dann entscheidet eine kleine Elite in Frankfurt ganz ohne die Bürger Europas.

Es ist für Sie nachvollziehbar, wenn eine wachsende Zahl von Bürgern Bargeld lieber wieder unter Kopfkissen legt, als es zur Bank zu tragen?

Ja. Das billige Geld begünstigt Übertreibungen auf den Finanzmärkten und damit Krisen, die das Vertrauen in das Finanz- und Geldsystem unterminieren. Seit Einführung des Euro hat sich die Menge des umlaufenden Bargeldes mehr als verdreifacht. Das ist ein Zeichen für Misstrauen. Unter dem Kopfkissen kann das Geld nicht mit negativen Zinsen belegt werden und im Ernstfall schnell ausgegeben werden.

Das Interview führt Lars Radau.