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Baustoffwunder Sauerkrautplatte

Spezialleichtbauten aus Löbau waren in der DDR sehr gefragt. Mit Kaufhallen wurde die ganze Republik versorgt.

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© Peter Pruggmayer

Von Bernd Dreßler

Löbau. Was für ein Baumaterial, diese Sauerkrautplatte! Damit ließen sich Geräteschuppen, Garagen, Hühnerställe, Kioske, Wochenendhäuser, Unterkunfts- und Verwaltungsbaracken, ja sogar Kaufhallen und Eigenheime bauen. Der Volksmund hatte der Platte den passenden Namen gegeben, weil ihre Struktur dem Sauerkraut ähnelte. Zementgebundene und deshalb schwer entflammbare Holzwolle wurde nicht nur zu Platten verarbeitet, sondern auch in Holzrahmen für Wandelemente gepresst, außen verputzt und innen mit Gipskartonplatten verkleidet.

Die Brigade „1.Mai“ bei der Fertigung von Innenwandplatten.
Die Brigade „1.Mai“ bei der Fertigung von Innenwandplatten. © Gottfried Wünsche
Peter Pruggmayer gehörte 36 Jahre dem Bauelemente-Betrieb in Löbau an und war von 1972 bis 1988 Betriebsteilleiter Spezialleichtbau.
Peter Pruggmayer gehörte 36 Jahre dem Bauelemente-Betrieb in Löbau an und war von 1972 bis 1988 Betriebsteilleiter Spezialleichtbau. © Bernd Dreßler

Produziert wurden diese Bauelemente in Löbau. Die alteingesessene Firma Huste & Liebe unweit der damaligen Tonhalle entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum Hersteller von sogenannten Leichten Bauten. Neben Betonwaren, wie Essenschieber für Häuselbesitzer, kompletten Frühbeetkästen für Gärtner, Betonsockel für Fundamente wurden in Zeiten permanenter Holzknappheit zunächst Kleinbauten gefertigt, zum Beispiel tragbare Kükenheime. Der Löbauer Fertigteilhersteller arbeitete Hand in Hand mit den Bauern, denn die ließen Holz aus ihren Wäldern im betriebseigenen, damals noch mit Wasserkraft betriebenen Sägegatter in der ehemaligen Walkmühle zuschneiden. Damit war der begehrte Rohstoff Holz für die Wandelemente-Rahmen in den Nachkriegsjahren gesichert. Im Gegenzug konnten sich die Landwirte über einen Stall oder einen Schuppen aus Fertigteilen freuen.

Auch der Produktionsbetrieb Huka (genannt nach Alwin Liebes Gründungsgesellschafter Huste Karl) auf der Weißenberger Straße gehörte zur Firma. Hier wurden die Holzwolle-Leichtbauplatten (HWL) zunächst von Hand, später am Fließband hergestellt. Da Not bekanntlich erfinderisch macht, entwickelte man mit primitiven Mitteln eine Presse zum Herstellen von doppeltverleimten, kunstharzgebundenen Holzspanplatten. Der Rohstoff war ein Abfallprodukt – Sägespäne, die waggonweise aus St. Egidien angeliefert wurden. Diese Platten eigneten sich nicht nur für Decken, sondern es wurde damit auch Kunstparkett mit aufgeklebten Mosaiken aus Holzfurnieren entwickelt. Als Alternative zum Holz wurden sogar Särge aus diesen Platten gefertigt.

„Die Produktion von Leichten Bauten gewann immer mehr an Bedeutung“, erinnert sich Peter Pruggmayer aus Löbau. Der heute 80-Jährige gehörte dem Betrieb 36 Jahre an und weiß eine Menge aus dieser Zeit zu erzählen.Die Bauten seien immer größer geworden. So wurden für viele LPG Hühnerställe für 250, 500 und 1000 Hühner samt Legeboxen und Sitzstangen geliefert. „Bald wurde die Konsumgenossenschaft Magdeburg auf unsere Fertigteilbauweise aufmerksam und entwickelte Typenprojekte für Kaufhallen mit 130 bis 240 Quadratmeter Verkaufsfläche für den ländlichen Raum“, erzählt Peter Pruggmayer. Die Löbauer ersannen hierfür ein ausgetüfteltes Kassettendeckensystem. Bereits 1977 hatte der Betrieb an die 250 solcher Kaufhallen vom Typ Löbau in allen Bezirken der DDR montiert. Aber auch Sonderbauten, wie Pass- und Zollabfertigungsgebäude an der Grenze zu Westberlin stammen aus diesem Betrieb. Als in den 1970er Jahren das Eigenheim-Programm aufgelegt wurde, war man ebenfalls mit dabei. Der entwickelte Typ „Löbau-76“ eignete sich für Reihenhäuser, aber auch für Einzelstandorte.

Die ständig zunehmende Produktion erforderte auch mehr Transportkapazität. Genügte in den 1950er Jahren noch ein Traktor vom Typ „Pionier“, wurden später in einem ausgeklügelten Verladesystem komplette Bauten mit einem schweren polnischen Lkw vom Typ Jelcz in die ganze DDR geliefert.

So wie sich die Produktion bei Huste & Liebe wandelte, so veränderte sich auch die Betriebsstruktur, DDR-typisch weg vom Privat- hin zum Volkseigentum. 1966 wurde daraus ein Betrieb mit staatlicher Beteiligung, einer der ersten in der DDR überhaupt, dem Beispiel der Löbauer Firma Günter Jähne folgend. 1972 schließlich kam es zur vollen Verstaatlichung. Der bezirksgeleitete Betrieb hieß nun VEB (B) Spezialleichtbau Löbau. Doch auch diese Eigentumsform hatte nur drei Jahre Bestand. Der VEB (B) Astikwerk Baruth, der Gipsplatten mit hoher Schalldämmung für den Rundfunk und andere Fachgebiete fertigte, bot sich durch sein ähnliches Produktionsprofil 1975 für eine Zusammenlegung an. Von nun an firmierte das Unternehmen unter dem Namen VEB (B) Bauelemente Löbau und hatte vier Betriebsteile (s. Kasten).

Der Niedergang der einst so erfolgreichen Firma kam nach der Wende. Nur wenig erinnert noch an die ehemaligen Produktionsstandorte. Selbst das vor jedem Funken gehütete Sägewerk in reiner Holzkonstruktion brannte bald danach nieder. Doch wer zum Beispiel die Gener-Kaufhalle in Obercunnersdorf betritt, der spürt es noch, das Handwerk der einfallsreichen Zimmerleute aus Löbau.