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Bautzen: Ein Klangexperiment hinter Gittern

Fünf Musiker beschäftigen sich eine Woche lang mit den Biografien jüdischer Häftlinge. Das Ergebnis ist am Freitag zu erleben - an einem düsteren Ort.

Von Miriam Schönbach
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Zu einem besonderen Kunstprojekt treffen sich Reka Szabo, Wenzel Konjen, Daniel Dorsch, David Brand und Julian Pešek (v.l.) in der Gedenkstätte Bautzen. Ihr Klangexperiment ist am 20. August zu erleben.
Zu einem besonderen Kunstprojekt treffen sich Reka Szabo, Wenzel Konjen, Daniel Dorsch, David Brand und Julian Pešek (v.l.) in der Gedenkstätte Bautzen. Ihr Klangexperiment ist am 20. August zu erleben. © Steffen Unger

Bautzen. Die stählerne Tür zum ehemaligen Arbeitstrakt im Bautzener Stasigefängnis steht nur einen Spalt weit offen. Den Raum dahinter erhellt Neonlicht. Die vergitterten Fenster ohne Aussicht enden in Mannshöhe. Das Glas ist milchig, die Jahreszeit nur zu fühlen.

Im Rund sitzen Reka Szabo, Wenzel Konjen, David Brand, Daniel Dorsch und Julian Pešek. Zusammengeführt hat die Musikerin und die vier Musiker das Projekt „Widerstand und Persönlichkeit“ innerhalb des Festivals „Kommen und Gehen“. Ihre künstlerische Annäherung an jüdische Haftbiografien ist am 20. August zu erleben.

Julian Pešek zählt für die Probe der nächsten Komposition ein. Jeder sitzt konzentriert an seinem Instrument. Ihr Spiel macht die ehemalige Werkstatt, wo einst durch Häftlinge Schaltschütze montiert wurden, etwas freundlicher. Die Musiker haben sich erst vor einigen Tagen kennengelernt. Normalerweise spielen sie in anderen Orchestern, Bands, studieren, komponieren oder arrangieren Musik oder bringen Schülern den richtigen Takt bei. Während des Sechsstädtebund-Festivals sind sie selbst Lernende. Im Gepäck haben sie ihre Professionen auf den Instrumenten; völlig frei sind sie indessen darin, wie sie Hafterlebnisse in Töne, Klänge und Geräusche übersetzen.

Klangcollage steht für wochenlange Einsamkeit

Ausgangspunkt für die künstlerisch Forschenden sind im Themenjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ die Haftschicksale von Walter Rosenheim und Julius Bändel. Sie wurden als Juden von den Nationalsozialisten verfolgt, in Bautzen inhaftiert und später ermordet. „Wir wollen aber das Thema nicht nur sachlich betrachten, sondern unsere Ideen so kanalisieren, dass beim Publikum eine Botschaft abseits des Gebäudes ankommt“, sagt Sounddesigner, Theater- und Bühnenmusiker Daniel Dorsch. Zu hören bekommen die Premierengäste ein Mischung aus Improvisationen, neu entstandenen wie mitgebrachten Kompositionen und Klanginstallationen.

Auch für die Künstler ist die Konzertperformance ein Experiment. So wird zum Beispiel David Brand mit seinem Auftritt am nach seinen Worten „schlimmsten Ort des Gefängnisses“, dem Arrestzellentrakt, zu erleben sein. „Ich habe von Besuchern Textpassagen einlesen lassen, arbeite mit Loops und Samples“, sagt der Saxophonist, Komponist und Sounddesigner. Die Klangcollage stehe für das Verlassensein, für Düsternis und wochenlange Einsamkeit.

Mitmachen des Publikums ist erwünscht

Die Zuhörer erwartet also kein klassisches Konzert, stattdessen ist sogar gewünscht, dass Mutige aus dem Publikum mitmachen. „Wir bewegen uns zwischen dem Überthema ,Widerstand und Persönlichkeit‘. In diesen Raum dazwischen passen Verzweiflung, Herrschaft und Beherrschtsein, Monotonie, Schock, Eingesperrtsein oder Klage“, sagt der Leipziger Filmkomponist Julian Pešek.

Schlagzeuger Wenzel Konjen bezeichnet die Gestaltungsfreiheit bei diesem etwas anderen Kunstprojekt hinter Gittern als „große emotionale Unwucht“. Der Bautzener, der an der Musikhochschule studiert, kannte als Einziger im Vorfeld des Kunstprojekts die Gedenkstätte. Die freiberufliche Orchestermusikerin Reka Szabo an der Viola nennt die Begegnung mit ihren vier Kollegen schon nach vier Tagen Probe eine „große Inspiration“.

Seit 2018 kooperieren das „Kommen und Gehen“-Festival und Bautzen II für ein solches Kunstexperiment. Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen wie Musik, Film, Tanz oder Performance erschließen dabei in einer einwöchigen Projektphase eine Thematik oder eine Persönlichkeit, die in Zusammenhang mit der Gedenkstätte steht.

Das Aufeinandertreffen der fünf so verschiedenen Musiker ist am 20. August um 19 Uhr in der Gedenkstätte zu erleben. Der Eintritt ist frei. Im Ticketshop können Zählkarten gebucht werden, dadurch entfällt die Kontaktdokumentation am Veranstaltungsort.