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13 Leben in einem Buch

Christian Schneider war 20 Jahre mit dem Tonbandgerät in der Lausitz unterwegs. Die so entstandenen Geschichten zeichnen ein besonderes Porträt der Sorben.

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Grubschütz ist die Heimat des sorbischen Autors Christian Schneider. Von dem Dorf machte er sich in den vergangenen 20 Jahren mit dem Tonbandgerät auf, um für ein Buch ein Porträt des Sorbischen zum Beginn dieses 21. Jahrhunderts aufzuzeichnen.
Grubschütz ist die Heimat des sorbischen Autors Christian Schneider. Von dem Dorf machte er sich in den vergangenen 20 Jahren mit dem Tonbandgerät auf, um für ein Buch ein Porträt des Sorbischen zum Beginn dieses 21. Jahrhunderts aufzuzeichnen. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen/Grubschütz. Christian Schneider hat sich auf den Weg gemacht. Mit dem Tonbandgerät ist der Schriftsteller in den vergangenen 20 Jahren immer wieder durch die Nieder- und Oberlausitz für ein Porträt des Sorbischen zum Beginn dieses 21. Jahrhunderts gereist. „Ich wollte ein realistisches Bild über den Stand des Sorbischen aufzeichnen, damit für heute und für später nachgeschlagen werden kann: Wie steht es, wie stand es um die Jahrtausendwende um die Sorben“, sagt der Autor. Sein Buch „Was wir in uns tragen. Sorbische Lebenswege“ erscheint jetzt im Domowina-Verlag.

Christian Schneider, sorbisch Křesćan Krawc, selbst steht für einen solchen sorbischen Lebensweg. Der heute 82-Jährige wird 1938 in Lömmischau geboren. Das Gehöft liegt etwas ab vom Dorf. Einheimische nennen den Platz Ziegenfauze. „Als kleiner Junge bin ich aus der Laune heraus laut Sorbisch singend über die Felder gelaufen, und die Nachbarn sagten auf Sorbisch: ,Da geht er nun nach Hause‘“, erinnert sich der Grubschützer. Jahre später habe es nur noch einen Sorben im Dorf gegeben, der die Sprache mit allen sieben Fällen gesprochen habe. „Ich habe erlebt, wie das Sorbische aus den Lausitzer Dörfern verschwand“, sagt der Chronist von Tradition und Umbrüchen.

Tierarzt und Solosängerin geben Auskunft

Seine Dokumentation führt nun zu 13 Lebensgeschichten, darunter zum dienstältesten Osterreiter und Tierarzt Dr. Peter Brězan, zum Crostwitzer Uhrmachermeister Jürgen Neck, zum Nebelschützer Bürgermeister Thomas Zschornack oder der langjährigen Solosängerin Leńka Šołćina-Winarjec am heutigen Sorbischen National-Ensemble.

„Ich habe die Auswahl der Porträtierten in der Hoffnung getroffen, aus jeder Generation und jeder Region, wo heute Sorben leben, jemanden zu finden – vom Oberen Spreewald bis in den Bautzener Raum“, sagt der Autor zahlreicher Erzählungen, Romane, Reportagen und Kinderbücher. Sein Bestseller ist der Familienroman „Das Ende vom Paradies“.

Eine Armlänge Aufzeichnungen auf Kassette ist so entstanden und bündelt Lebenserinnerungen aus einem bewegten sorbischen Dreivierteljahrhundert zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Heute.

Spektrum reicht von Zuversicht bis Wut

„Bei den Interviews habe ich versucht, meine Gesprächspartner ohne Unterbrechung erzählen zu lassen“, sagt der Absolvent des Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“. Authentisch geben die Protagonisten ihr Aufwachsen, ihre beruflichen wie familiären Wege, Hürden wie Glücksmomente wieder.

Ganz optimistisch resümiert zum Beispiel Peter Brězan „Was unser Sorbentum angeht, so denke ich, ist für die Zukunft ein Weiterleben gesichert.“ In vielen der Erzählungen klingt Zuversicht durch. Andere Berichte tragen Wehmut in sich, vielleicht sogar Wut, so wie der Abstecher zum Crostwitzer Schulstreik vor 20 Jahren.

2001 macht die damalige Mittelschule deutschlandweit Schlagzeilen, als die Gemeinde wegen sinkender Schülerzahlen durch das Kultusministerium aufgefordert wird, keine neue 5. Klasse zu bilden. Die Kommune geht in Widerspruch und klagt. Gegen die drohende Schließung bildet sich ein breites Bündnis – zu Beginn des neuen Schuljahrs unterrichten 22 Tage lang pensionierte Lehrer die Schüler der neu gebildeten 5. Klasse in Crostwitz. Mit einem Verwaltungsgerichtsurteil wird die Schließung 2003 rechtskräftig. Die Bestürzung über das Aus wirkt bis heute nach.

Die Sprache weiterzugeben, ist Gemeinschaftsaufgabe

Die Vertreterin der damaligen Schulinitiative, Dr. Jana Markowa, sagt im Rückblick in der neuen Publikation aus dem Domowina-Verlag: „Ich werde die bittere Erfahrung der Niederlage nicht los: Differenzen, Streitereien, Zank unter uns Sorben. Das hat uns geschadet und beschädigt uns weiter. Wenn wir als Volk weiter bestehen wollen, muss in erster Linie den Eltern bewusst sein, dass sie unsere Sprache und Kultur an die Kinder weitergeben. Das ist nicht die Aufgabe von Politikern, Lehrern, Abgeordneten, sondern unser aller Auftrag.“ Dieses Resümee zeigt deutlich, wie wichtig es ist, „was wir in uns tragen“.

Buchpremiere „Was wir in uns tragen. Sorbische Lebenswege“, 5. August, 19 Uhr, Smolersche Verlagsbuchhandlung in Bautzen