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Die sorbische Hoffnung auf Versailles

Vom Traum der Unabhängigkeit der Minderheit aus der Lausitz erzählt die neue Ausstellung des Sorbischen Instituts. Die Fragen von damals sind bis heute aktuell.

Von Miriam Schönbach
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In der sorbischen Lausitz gründeten sich 1920 die ersten Sokol-Bewegungen nach dem Vorbild der nationalen und patriotischen Turnbewegung in Prag. Das Bild von 1926 zeigt Turnerinnen auf dem sorbischen Volkstreffen.
In der sorbischen Lausitz gründeten sich 1920 die ersten Sokol-Bewegungen nach dem Vorbild der nationalen und patriotischen Turnbewegung in Prag. Das Bild von 1926 zeigt Turnerinnen auf dem sorbischen Volkstreffen. © Archivverbund Bautzen/Staatsfilialarchiv

Bautzen. „Die Freiheit winkt!“ („Swoboda kiwa“) – heißt es Anfang 1919 in einem Beitrag der Serbske Nowiny hoffnungsvoll. Nach dem ersten Weltkrieg und der Neuordnung der europäischen Landkarte schien eine selbstbestimmte Zukunft für die Sorben möglich. Unter der Leitung des sorbischen Kaufmanns Arnošt Bart reist eine Delegation zu den Friedensverhandlungen nach Paris, um auf diplomatischem Parkett für die Interessen der Minderheit zu kämpfen. Der Mann aus der Lausitz weilt sogar bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags im Versailler Schloss – und verkündet nach seiner Rückkehr aus Frankreich das bevorstehende Ende der deutschen Fremdbestimmung – „Swoboda kiwa“.

Diesem historischen Schlüsselmoment widmet sich eine gemeinsame Wanderausstellung des Sorbischen Instituts und des Sorbischen Museums. „Wir fragen nach den langfristigen Auswirkungen dieses Umbruchs von 1918/19 auf die Geschichte der Lausitz und die Geschichte des deutsch-sorbischen Verhältnisses. Die sorbische Autonomiebewegung wirft eine Frage auf, mit der sich deutsche Politik bis dahin nie beschäftigte: die Minderheitenfrage“, sagt Friedrich Pollack vom Projektteam. Die Vertreter aus Lausitz träumen damals für einen Moment, Geschichte mit einem unabhängigen Sorben-Staat zu schreiben.

Zuerst einmal geht es ihnen aber damals um kulturelle Autonomie, besonders im Schulwesen. Sie fordern Minderheitenschutz, Mitsprache, einen Interessenausgleich zwischen Deutschen und Sorben und dem Verhältnis zu den Nachbarn in der neuentstandenen Tschechoslowakei. „Viele diese Fragen bleiben das gesamte 20. Jahrhundert und bis heute aktuell“, sagt Friedrich Pollack.

Das Sorbische Museum Bautzen zeigt vom 20. April bis 28. Mai 2021 die Wanderausstellung "Die Freiheit winkt! Die Sorben und die Minderheitenfrage nach 1918".
Das Sorbische Museum Bautzen zeigt vom 20. April bis 28. Mai 2021 die Wanderausstellung "Die Freiheit winkt! Die Sorben und die Minderheitenfrage nach 1918". © dpa-Zentralbild

Ein Blick zurück: In der Lausitz gründet sich unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse im Land Ende 1918 der sorbische Nationalausschuss, Arnošt Bart reklamiert für das sorbische Volk das Recht auf Selbstbestimmung. „Weil er damit bei der deutschen Politik nur auf taube Ohren stößt, macht er sich Anfang 1919 auf den Weg nach Paris“, sagt der Leiter der kulturgeschichtlichen Abteilung am Sorbischen Institut. Für die Wanderausstellung haben er und seine Kollegen in rund 40 Archiven recherchiert, darunter auch in Washington D.C. und Prag.

Aus dem Archiv in Tschechien kam zum Beispiel die personalisierte Eintrittskarte für Arnošt Bart als offizieller Gast im Versailler Spiegelsaal. „Dieses Billett weist Bart als besonderen Gast aus, mit dem Eintritt durch die Ehrenpforte. Die deutsche Delegation betrat das Schloss durch den Nebeneingang“, weiß Pollack. Nach Hause zurückgekehrt, erwartet den sorbischen Patrioten übrigens ein Prozess wegen schweren Landesverrats. „Sowas konnte sich der deutsche Staat nicht bieten lassen, dass ein deutscher Staatsbürger – und das war Bart immer noch – eigenmächtige Verhandlungen mit ausländischen Mächten aufnahm“, sagt der Wissenschaftler.

Die Wanderausstellung beschäftigt sich mit den Bemühungen der Sorben nach nationaler Unabhängigkeit vom 19. Jahrhundert an.
Die Wanderausstellung beschäftigt sich mit den Bemühungen der Sorben nach nationaler Unabhängigkeit vom 19. Jahrhundert an. © dpa-Zentralbild

Die Ausstellung soll zuerst im Sorbischen Museum in Bautzen gezeigt werden, sobald das Haus auf der Ortenburg wieder geöffnet wird. Aufgrund der Corona-Pandemie bleibt das Museum vorerst geschlossen. Nach Premiere dort steht sie interessierten Institutionen zur Ausleihe zur Verfügung und soll auf Wanderschaft durch die Lausitz, Sachsen und Brandenburg sowie Tschechien und Polen gehen. „Es gibt schon Interessenten aus dem deutsch-dänischen Grenzgebiet. Wir möchten eine Geschichte erzählen, die nicht nur Sorben, sondern viele Menschen erreichen soll“, sagt Friedrich Pollack. Die 15 Ausstellungstafeln sind durchgängig zweisprachig auf Deutsch und Obersorbisch, dazu gibt es Material in vier weiteren Sprachen.

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