Bautzen. Eine Situation wie diese habe er in seinen 30 Jahren als Bestatter noch nicht erlebt. Das sagte der Bautzener Dirk Jurschik Anfang Januar gegenüber Sächsische.de. Drei- bis viermal täglich fahre sein Bestattungsunternehmen derzeit nach Meißen zum Krematorium. Dass die Corona-Pandemie Auswirkungen hat, merken Bestatter wie er ganz deutlich. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die das Ganze leugnen, die behaupten, eine Übersterblichkeit gibt es nicht – und wenn, dann habe sie andere Ursachen als Corona. Sächsische.de hat sich die Zahlen genauer angeschaut.
Wie viele Sterbefälle gab es 2020 im Kreis Bautzen?
Zunächst einmal: Es sind viele Tote. Sächsische.de liegen die Zahlen seit 2010 vor – und in keinem Jahr sind im Kreis Bautzen so viele Menschen gestorben wie 2020. In den Jahren 2010 bis 2019 schwankte die Zahl der Sterbefälle zwischen 3.591 und 4.190. Im vergangenen Jahr waren es laut Landratsamt 4.632 Todesfälle. Das ist eine Übersterblichkeit von knapp 20 Prozent.
Besonders viele Leute sind im Dezember gestorben, aber auch im November lag die Zahl bereits deutlich höher als sonst. Konkret waren es im Landkreis Bautzen im Dezember 844 Todesfälle. Im November starben 475 Menschen. Zur Einordnung: In den Jahren 2010 bis 2019 lag die Durchschnittszahl bei den Sterbefällen im Dezember bei 344 und im November bei 302.
Im vergangenen Dezember starben im Kreis Bautzen also 500 Leute mehr als sonst üblich. Und im November 173. Das ist eine Übersterblichkeit von etwa 57 Prozent und im Dezember sogar von 145 Prozent.
Ist diese Übersterblichkeit auf Corona zurückzuführen?
Wie viele der Todesfälle auf das Coronavirus zurückzuführen sind, erfasst das Bautzener Landratsamt auf zwei Wegen. Es gibt Daten, bei denen Covid-19 definitiv nachgewiesen worden ist – und solche, wo die Erkrankung als Todesursache vermutet wird, aber nicht getestet worden ist. Definitiv nachgewiesen worden ist Corona laut Landratsamt bei 81 der Gestorbenen im November und bei 268 im Dezember. Dazu kommen weitere Fälle jeweils im einstelligen Bereich aus den Vormonaten.
In der Kreisverwaltung geht man davon aus, dass im Dezember 322 der Gestorbenen an oder mit Corona gestorben sind, im November 99. „Die Übersterblichkeit im November und Dezember 2020 ist durch die Zahlen belegt“, stellt das Landratsamt fest. „Die nachgewiesenen Corona-Todesfälle machen dabei im November mehr als die Hälfte und im Dezember etwa zwei Drittel der Mehrfälle aus.“
Werden mehr Corona-Tote gezählt, als es wirklich gibt?
Inwiefern die Corona-Todesfälle „eher dem Umfang der durchschnittlichen Mortalität oder der Corona-Mortalität zuzurechnen sind, kann aus der Statistik nicht abgelesen werden“, erklärt das Landratsamt. Gemeint ist: Ob die Verstorbenen „ohnehin zeitnah gestorben“ wären oder ob sie ohne Corona deutlich länger gelebt hätten, lässt sich aus der Statistik nicht herauslesen. Dennoch gebe es Fallbeispiele für beides. „Aus konkreten Einzelfällen kann gesagt werden, dass beide Szenarien vorkommen: Der gesunde 57-Jährige ohne Vorerkrankungen ist ebenso ein Corona-Todesfall wie ein 95-Jähriger mit sehr vielen schweren Vorerkrankungen.“
Dennoch werden die veröffentlichten Todeszahlen immer wieder angezweifelt. So heißt es in etwa: „Wer einen Autounfall hat und Corona, der geht als Corona-Toter in die Statistik ein.“ Das Landratsamt weist das zurück. „Hier muss klar gesagt werden, dass derartige Fälle in der Praxis kaum vorkommen“, erklärt Mandy Noack von der Pressestelle. Am Ende sei vielmehr das Gegenteil der Fall. „Es sind auch lange nicht alle Auswirkungen einer Infektion auf das Immunsystem bekannt“ – solche Todesfälle würden herausfallen.
Gibt es noch andere Gründe für die hohen Todeszahlen?
Das Landratsamt geht für den Dezember 2020 von 268 Corona-Todesfällen im engeren und 322 Corona-Todesfällen im weiteren Sinne aus. Gestorben sind im Dezember aber 844 Menschen. Selbst wenn die Corona-Fälle abgezogen werden, liegt die Zahl noch bei über 500 Todesfällen – also immer noch über dem Durchschnitt der Vorjahre. Warum? „Das ist tatsächlich eine Frage, auf die wir keine Antwort haben und die inzwischen auch andere Landkreise beziehungsweise den gesamten Freistaat Sachsen betrifft“, heißt es vonseiten des Landratsamtes.
Die Verwaltung hat nach Erklärungen gesucht. Die Differenz lasse sich aber nicht mit der Altersstruktur, also einen besonders hohen Altersdurchschnitt der Landkreis-Bewohner, begründen. Auch durch möglicherweise wegen der Corona-Maßnahmen verschobene Behandlungstermine lasse sich das nicht erklären.
Im Landratsamt geht man aber zum Beispiel davon aus, dass es eine Dunkelziffer gibt – also mehr Corona-Todesfälle als Nachweise des Virus. „Generell vertreten wir die Auffassung, dass die Corona-Todesfälle eher unterschätzt als überschätzt werden“, erklärt die Pressestelle. Ob sich die Differenz durch solche Fälle tatsächlich erklären lässt, ist aber unklar. Mit verwertbaren statistischen Daten zu den Todesursachen im Kreis Bautzen für 2020 rechnet das Statistische Landesamt erst im September 2021.
Steigt die Zahl der Suizide angesichts des Lockdowns?
Von Leugnern der Pandemie wird auch behauptet, dass die hohen Todeszahlen auf Suizide angesichts des Lockdowns zurückzuführen seien. Das widerlegt die Polizeidirektion Görlitz. Sicher – viele leiden unter den Corona-Maßnahmen, auch psychisch. Dennoch: „Eine Zunahme von Suiziden angesichts Corona kann im Kreis Bautzen nicht beobachtet werden“, teilt Polizeisprecher Kai Siebenäuger mit.
Die Polizei geht derzeit für 2020 von 42 Suiziden im Landkreis Bautzen aus. Die Zahl sei jedoch insofern vage, da sich manchmal im Nachhinein noch andere Todesursachen herausstellen würden. Sicher ist aber: Die Zahl ist 2020 nicht unüblich hoch gewesen. Das zeigt ein Blick in die Statistik. So gab es in den beiden vorherigen Jahren sogar etwas mehr Fälle.
Was ist mit Grippetoten?
In diesem Jahr gab es im Kreis Bautzen noch keine Grippetoten. Auch im Vorjahr habe es nur einen Todesfall, der auf die Grippe zurückzuführen war, gegeben, teilt das Landratsamt mit. In diesem Jahr sind bislang auch nur wenige Menschen an Influenza erkrankt. „Die geringere Grippe-Fallzahl kann auf die Kontaktbeschränkungen, die Hygienemaßnahmen und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz zurückgeführt werden“, so das Landratsamt.
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