Bischofswerda. So einige Fahrgäste im Trilex von Görlitz nach Dresden drücken sich am Sonntagnachmittag die Nasen an der Scheibe platt, als ihr Zug gemächlichen Tempos und ohne anzuhalten durch den Bahnhof Bischofswerda rollt. Da ist sie, diese riesige Stahlbrücke, die momentan den gesamten Zugverkehr in Ostsachsen durcheinanderbringt und dazu führt, dass Züge aus Richtung Görlitz und Zittau am Bahnhof Bischofswerda nicht mehr halten.
Bahnsteig nur über Riesentreppe erreichbar
Über 40 Stahlstufen auf jeder Seite sollten künftig, so zumindest der ursprüngliche Plan des Deutsche Bahn-Tochterunternehmens DB InfraGO, die Fahrgäste auf den Bahnsteig mit den Gleisen 2 und 3 gelangen, solange der Bahnhofstunnel wegen dem Bau eines lange geforderten Aufzugs noch gesperrt ist. Die Brücke sollte die bisherige Übergangs-Lösung, die Fahrgäste provisorisch ebenerdig über die Gleise zu schicken, ersetzen.
Denn den Übertritt über die Gleise musste bislang ein Mitarbeiter mittels eigens installierter Fußgängerschranke und Ampelanlage steuern. Laut DB-Sprecher Jörg Bönisch keine dauerhafte Lösung, weil Reisende immer wieder trotz geschlossener Schranke über die Gleise gelaufen seien und der Betriebsablauf zu Verspätungen bei den Zügen geführt habe. Der Mitarbeiter wurde am Freitagabend, 16. August 2024, abgezogen, Schranke und Ampel abgebaut. Die Fahrgäste sollten von nun an über die Riesenbrücke gehen - aller Kritik zum Trotz, dass das Bauwerk für Rollstuhlfahrer, Familien mit Kinderwagen oder schweren Reisetaschen ein teils unüberwindbares Hindernis darstellt.
Treppe besteht Bauabnahme nicht - Zugverkehr lahmgelegt
Doch es kam alles ganz anders: Anstatt die Riesenbrücke am Freitagabend einzuweihen, fiel das Bauwerk kurz vor der geplanten Inbetriebnahme durch die bauliche Abnahme, wie die Länderbahn am späten Freitagabend mitteilte. Laut Deutscher Bahn hätte die Brücke während der Woche bereits fünf Abnahmeprüfungen erfolgreich absolviert, bei der letzten sei sie aber durchgefallen. Der Grund: Die Brücke hätte die erwartete Schneelast im Winter nicht tragen können. Für Reisende bestand damit von Freitagabend bis Montagmittag keine Möglichkeit mehr, auf die Gleise 2 und 3 zu kommen. Die Folgen daraus waren gravierend:
- Bischofswerda wurde aus Richtung Görlitz und Zittau nicht mehr angefahren, die Züge passierten den Bahnhof ohne Halt. Reisende mit Ziel Bischofswerda fuhren eine Station weiter bis Weickersdorf und nahmen von dort einen Ersatzbus zurück nach Bischofswerda. Auch der Regionalexpress hielt vorübergehend in Weickersdorf.
- Reisende aus Görlitz und Zittau in Richtung Dresden hatten weniger Verbindungen zur Auswahl, da die Verbindungen mit Umstieg in Bischofswerda wegfielen.
- Die Trilex-Züge fuhren nur mit einem Zugteil. An einigen Bahnhöfen wurden - besonders am Sonnabend, an dem in Dresden das Canaletto-Stadtfest stieg - Fahrgäste wegen Überfüllung stehengelassen. Auch am Montagmorgen war das Gedränge in den Zügen erneut groß.
- Auf den beiden Strecken Dresden-Görlitz und Dresden-Zittau kam es zu erheblichen Verspätungen und teils zu Zugausfällen.
Katerina Hagen, Sprecherin der Länderbahn, die den Trilex betreibt, erklärt den Hintergrund für das Bahnchaos am Wochenende: In Bischofswerda fehlt auf Gleis 1 eine Weiche, weshalb dort - im Gegensatz zu den Gleisen 2 und 3, die aus beiden Seiten anfahrbar sind - normalerweise nur Züge in Richtung Dresden abfahren können. Da wegen der unbenutzbaren Brücke aber nur noch Gleis 1 nutzbar war und der Strom an Reisenden aus Richtung Dresden größer als aus der Gegenrichtung war, entschied die Länderbahn, die Züge aus Dresden über das Gegengleis auf das Gleis 1 zu leiten und Bischofswerda stattdessen von Zügen aus Richtung Ostsachsen (Görlitz/Zittau) abzukoppeln.
Heftige Kritik an Planung und Kommunikation der DB
Kritik an der Deutschen Bahn kommt von allen Seiten, auch von der Länderbahn selber: "Die Kommunikation der DB war suboptimal, wir wurden am Freitagabend einfach vergessen zu informieren", sagt Katerina Hagen. Die Züge hätten bei der Einfahrt nach Bischofswerda zunächst einige Minuten orientierungslos herumgestanden, bevor geklärt werden konnte, was der Grund für die Sperrung der Gleise 2 und 3 war. Die DB habe keinerlei Plan B gehabt und den bisherigen beschrankten Bahnübergang viel zu früh abgebaut. Es ist nicht das erste Mal, dass die Länderbahn, die die Züge in der Oberlausitz betreibt, scharfe Kritik an der Kommunikation der DB übt.
Der Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (Zvon) schreibt in einer Pressemitteilung, der Bau der Aufzüge in Bischofswerda werde "immer mehr zu einem erheblichen Ärgernis." Der Bauzeitraum werde immer länger und solle nun erst Mitte 2025 beendet werden. Die fehlgeschlagene Brücke setze dem schlecht laufenden Bauvorhaben nun "die Krone auf." "Bei den vermutlich überbordenden Sicherheitsinteressen innerhalb des Unternehmens DB InfraGO bleibt der Fahrgast auf der Strecke."
Fahrgastverband: "Brücke mutete schon beim Anblick gefährlich an"
Der Fahrgastverband Pro Bahn nennt die gescheiterte Brücke "ein weiteres Stück aus dem Tollhaus eines gescheiterten Infrastrukturbetreibers". Die Behelfsbrücke habe "schon beim Anblick gefährlich angemutet", schreibt Moritz Filter von der ostsächsischen Regionalgruppe des Fahrgastverbands. "Es ist für uns nicht nachvollziehbar, weshalb der bisherige höhengleiche Überweg überhaupt durch eine luftige Konstruktion ersetzt werden musste. Dass diese Zumutung dann die Abnahmevoraussetzungen nicht erfüllt, man bei DB InfraGO aber keinen Plan B hat, ist ein Zeichen von Managementinkompetenz."
Sein Kollege Ingo Koschenz zieht den Vergleich mit Tschechien: Dort dürften die Reisende die Gleise "wie eh und je" überschreiten, solange keine Züge mit hoher Geschwindigkeit durchfahren. Ein örtlicher Zugabfertiger achte darauf, dass dabei niemand zu Schaden kommt. Dass die DB ihre Bahnhöfe weitgehend ohne Personal betreibe, halte er für den schlechteren Weg.
Übergangslösung gefunden: Bahnübergang reaktiviert
Ein wenig wie in Tschechien geht es in Bischofswerda nun seit Montagmittag, 19. August 2024, zu. Nach Informationen der Länderbahn sei die Deutsche Bahn nun auf ein Lösungsangebot eingegangen, dass sie am Wochenende noch abgelehnt habe: Statt auf Gleis 1 halten die Züge in Bischofswerda nun auf Gleis 3. Das hat den Vorteil, dass dort Züge aus beiden Richtungen stoppen können.
Damit die Fahrgäste das Gleis erreichen können, wird der bisherige Bahnübergang wieder reaktiviert - allerdings ohne Schrankenwärter und Ampel, die Bahn stellt dagegen Reisendenlenker zur Verfügung. Damit die Überquerung der Gleise 1 und 2 sicher funktioniert, werden sie vorläufig gesperrt. Der gesamte planmäßige Fahrplan werde von nun an also über Gleis 3 bedient, erklärt Länderbahn-Sprecherin Katerina Hagen. Mit Verspätungen und Überfüllungen sei jedoch noch bis zum Ende der Woche zu rechnen, da die meisten Züge weiterhin nur mit einem Wagen fahren können.
Der Beitrag wurde am 19. August 2024, um 13 Uhr, mit Aussagen der Bahn ergänzt.