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Wie unabhängig ist die SZ?

75 Jahre Sächsische Zeitung sind Anlass für ein Interview mit vertauschten Rollen: Bautzens Landrat Michael Harig befragt Redaktionsleiter Ulli Schönbach.

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Normalerweise sind die Rollen klar verteilt: Der Journalist stellt die Fragen, Verantwortungsträger wie Bautzens Landrat Michael Harig (r.) antworten. Zum Jubiläum läuft es anders. Der Landrat fragt - und und Redaktionsleiter Ulli Schönbach antwortet.
Normalerweise sind die Rollen klar verteilt: Der Journalist stellt die Fragen, Verantwortungsträger wie Bautzens Landrat Michael Harig (r.) antworten. Zum Jubiläum läuft es anders. Der Landrat fragt - und und Redaktionsleiter Ulli Schönbach antwortet. © SZ/Uwe Soeder

Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag der SZ! Wie geht es denn dem Jubilar, Herr Schönbach?

Der Jubilar ist in einer spannenden Lebensphase. Wir feiern ja doppelt: 75 Jahre Sächsische Zeitung und 25 Jahre Sächsische.de. Wir sehen also auf der einen Seite, woher wir kommen. Auf der anderen Seite richtet sich der Blick klar auf die digitalen Angebote, die für die Zukunft von Redaktion und Verlag entscheidend sind.

Große Tradition schön und gut – aber ist eine gedruckte Tageszeitung aus heutiger Sicht nicht altbacken?

Natürlich nutzen Menschen die Medien heute anders als vor 20 oder 30 Jahren. Deshalb werden die Zeitungsauflagen weiter sinken, und es sind auch eher die Älteren, die eine gedruckte SZ abonniert haben. Aber sind diese Leser deshalb altbacken? Als Redaktion haben wir das Ziel, Menschen zu erreichen. Das heißt: Wir schätzen jeden Leser auf jedem Kanal.

Dennoch, Sie sagen es selbst, die Printauflage sinkt. Wie lange kann das gut gehen?

Die Zeit der gedruckten Tageszeitung ist endlich, und wir sprechen hier eher von Jahren als von Jahrzehnten, bis dieser Punkt erreicht ist. Deshalb sind wir als Redaktion schon seit einigen Jahren in einem Umbruch. Wir arbeiten hart daran, dass es auch in Zukunft in Bautzen, Kamenz und Bischofswerda Lokaljournalismus geben wird – und zwar in digitaler Form.

Der Bautzener Regionalverlag der SZ ist Teil einer Mediengruppe, die neben der Tageszeitung in vielen anderen Geschäftsfeldern tätig ist: Bücher, Reisen, Post. Ist man da als Redaktion noch unabhängig?

Das ist eine Frage, über die wir auch in der Redaktion hin und wieder diskutieren. Die Geschäftsfelder, die Sie nennen, sind wichtige Bausteine für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Verlags. Andererseits handeln wir mit einem wertvollen Gut: Journalismus hat mit Vertrauen zu tun, mit Glaubwürdigkeit. Deshalb sind wir gut beraten, hier auf klare Grenzen zu achten, gerade wenn es um die Berichterstattung über die eigenen Verlagsaktivitäten geht.

Bleiben wir bei der Glaubwürdigkeit. Die SPD ist als Gesellschafter zu 40 Prozent an der DDV Mediengruppe beteiligt. Besteht hier nicht die Gefahr der parteipolitischen Einflussnahme?

Der Vorwurf wird häufig erhoben, aber er geht ins Leere. Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem die SPD auf unsere Berichterstattung Einfluss genommen hat. Wir müssen uns ja nur hier in Bautzen umschauen. Da haben wir einen SPD-Oberbürgermeister. Und ich habe nicht den Eindruck, dass er besonders glücklich über die Berichterstattung der Lokalredaktion ist.

Dennoch sind Sie als Journalisten in einer ähnlichen Situation wie die Politik. Teile der Gesellschaft stellen Ihre Arbeit sehr harsch infrage, Stichwort: Lügenpresse.

Ich sehe hier zwei gegenläufige Entwicklungen: Auf der einen Seite haben Menschen heute mehr Möglichkeiten als früher, sich zu informieren und ihre Meinung kundzutun, zum Beispiel durch die Sozialen Medien. Das führt zunächst einmal zu etwas Positivem: Leser sind kritisch und nehmen nicht alles hin. Auf der anderen Seite ist es nicht so leicht, all diese Informationen richtig zu bewerten und zu gewichten. Diese Unsicherheit nutzen bestimmte Gruppen aus, und das ist nicht nur ein Problem für uns Journalisten, sondern für die Gesellschaft insgesamt.

Inwiefern?

Weil hier faktisch allen Institutionen – von der Politik bis zur Wissenschaft – pauschal jede Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Aber woran wollen wir uns als Gesellschaft orientieren, wenn niemand mehr vertrauenswürdig ist? Wenn es keine Fakten mehr gibt, sondern nur noch Meinungen? Wenn sich selbst der Arzt im Krankenhaus anhören muss, dass sein Wissen über Corona nicht zählt, weil er ja auch nur Teil des „Systems“ ist?

Hat Corona diese Tendenzen eher noch verstärkt?

Das sehe ich nicht so, die Stimmung ist zwar sehr angeheizt. Aber unsere Rolle als Regionalzeitung vor Ort ist in den vergangenen Monaten eher gestärkt worden. Das sehen wir an den Zugriffszahlen auf Sächsische.de und auch beim Zuwachs der Digital-Abos. Trotzdem muss sich der Journalismus weiter verändern.

Vor 30 Jahren hat man im Osten wie im Westen zu 80 Prozent Tageszeitung gelesen und ebenfalls zu 80 Prozent die Tagesschau gesehen. Diese Grundinteressiertheit und Grundinformiertheit ist so heute nicht mehr da.

Das ist so, und auch unsere Autorität als Journalisten ist nicht mehr dieselbe wie vor 20 oder 30 Jahren. Das gefällt uns vielleicht nicht, aber das müssen wir nüchtern zur Kenntnis nehmen. Es genügt heute nicht, dem Leser ein Thema vorzusetzen. Wir müssen viel mehr erklären, was wir tun: Warum wir bestimmte Schwerpunkte setzen, wie wir recherchieren. Wir müssen auf die kritischen Fragen der Leser eingehen, so wie wir das jede Woche auf der zentralen Leserbriefseite der SZ tun.

Transparenz ist das eine, aber es herrscht ja mittlerweile auch eine schwer zu überschauende Vielfalt an Kanälen. Ich stelle es mir schwierig vor, die unterschiedlichen Zielgruppen zu erreichen.

Das ist eine der zentralen Herausforderungen für Lokalredaktionen: Denn jeder Kanal hat sein eigenes Publikum mit eigenen Interessen, und auch die Form der Präsentation unterscheidet sich. Unsere Redaktion in Bautzen, Kamenz und Bischofswerda arbeitet deshalb nicht nur für die Sächsische.de und die gedruckte SZ. Wir haben 28.000 Facebook-Fans, wir sind bei Instagram und Twitter. Wir senden Push-Nachrichten aufs Smartphone und verschicken täglich einen Newsletter mit Nachrichten aus dem Landkreis an 5.000 Abonnenten.

Die Sächsische Zeitung hat in den vergangenen Jahren oft sehr kritisch über Bautzen berichtet und damit auch überregional Aufmerksamkeit erregt. Viele Menschen meinen: Damit schädigen Sie den Ruf der Region.

Dieser Vorwurf kommt häufig, ich wünsche mir da allerdings etwas mehr Gelassenheit. Medienberichterstattung ist etwas Anderes als Marketing. Es geht hier nicht darum, ob man in der Oberlausitz gut Urlaub machen kann, sondern um die Beschreibung der Wirklichkeit in all ihren Facetten. Dazu zählt auch, dass wir die Probleme vor Ort klar ansprechen, und das nicht anderen überlassen: Bautzen ist eine Hochburg der AfD, wir haben hier viele Corona-Leugner, und es gibt eine breite antidemokratische Strömung in der Region. Das sind Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.

Nun sind Sie aber nicht nur Journalist, sondern auch Bürger von Bautzen, also Teil der Stadtgesellschaft, über die Sie berichten. Wie sehr hilft das, und wie sehr behindert Sie diese Nähe?

Als Lokaljournalisten haben wir einen Vorteil. Viele Themen, mit denen wir uns befassen, kennen wir aus eigener Anschauung und können sie deshalb gut beurteilen. Meine Frau arbeitet ebenfalls als Journalistin. Daher war für uns vor 20 Jahren schnell klar, dass wir nicht nur über Bautzen berichten wollen, sondern auch selbst in die Stadt ziehen. Natürlich entsteht dadurch auch eine Nähe, die für unseren Beruf problematisch sein kann. Kein Mensch ist 20 Jahre lang in allen Fragen objektiv, und wie jeder andere habe auch ich blinde Flecken. Deshalb ist es gut, dass wir in unserer Redaktion eine gute Mischung aus Einheimischen, Zugezogenen und Pendlern haben. Dadurch kommen immer wieder neue Sichtweisen in die Diskussion und alte Gewissheiten auf den Prüfstand.

Meine Aufgabe als Landrat endet 2022. Sie sind ebenfalls lange im Beruf. Spüren Sie so etwas wie Amtsmüdigkeit?

Nein, im Gegenteil. Ich habe gerade eine neue Aufgabe übernommen und bin neben meiner Funktion als Redaktionsleiter jetzt auch Geschäftsführer des Bautzener Regionalverlags der SZ. Außerdem habe ich das Privileg, in einem Beruf zu arbeiten, in dem kein Tag wie der andere ist. Deshalb bleibt es für mich weiter spannend.

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