Neutralität verletzt? Wirbel um Weber-Interview

Bautzen. Das Video ist 50 Minuten lang und trägt den harmlosen Titel „Hausbesuch“. Doch der Inhalt ist brisant. So brisant, dass es zwischen Bautzens Landrat Michael Harig (CDU) und seiner Stellvertreterin Birgit Weber jetzt zum offenen Konflikt gekommen ist. In einem internen Schreiben, das Sächsische.de vorliegt, wirft Harig der parteilosen Beigeordneten vor, sie habe mit ihren Äußerungen im Lokalsender Oberlausitz TV die Neutralitätspflicht vor der Landratswahl am 12. Juni verletzt.
Für den Fall der Wiederholung droht Harig mit disziplinarischen Konsequenzen. Das ist bemerkenswert: Denn auch der Landrat selbst hält sich im Wahlkampf nicht zurück. Offen wirbt er für seinen anderen Stellvertreter, den CDU-Beigeordneten Udo Witschas. Am 26. März wurde dieser zum Landratskandidaten seiner Partei gewählt.
Keine gemeinsame Linie mit Vize-Landrat Witschas
Einen Tag zuvor treffen sich Oberlausitz-TV-Geschäftsführer Uwe Tschirner und die Beigeordnete in deren Haus in Wuischke bei Bautzen. Anlass des Gesprächs ist der vorzeitige Abschied der 56-Jährigen. Birgit Weber, die seit 2013 im Bautzener Landratsamt tätigt ist, verlässt die Kreisverwaltung Ende Juli. Eigentlich ist sie noch für fünf weitere Jahre gewählt.
Doch bevor es darum geht, plaudern der Journalist und die Beigeordnete erst einmal über dies und jenes: Webers Liebe zum Fußballclub St. Pauli, ihre Faszination für Seeadler und über die Senioren-Leichtathletik-EM in Zittau, die sie 2012 organisierte.
Nach einer Viertelstunde wird die Vize-Landrätin dann allerdings deutlich. Auf der heimischen Couch sitzend erklärt sie: Ihr Rückzug aus der Kreisverwaltung sei als klare Absage an Udo Witschas zu verstehen. Eine Zusammenarbeit mit ihm als Landrat könne sie sich nicht vorstellen: „Ich glaube, dass wir in Bezug auf Fragen der künftigen Entwicklung des Landkreises keine gemeinsame Sprache sprechen“, stellt Weber fest.
Anders als sie agiere Witschas „stark nach außen“. Konkret spricht sie dessen Auftritt vor Corona-Demonstranten Ende Januar an. In einem kurzen Redebeitrag auf den Stufen des Landratsamtes hatte Witschas damals den Eindruck erweckt, der Landkreis Bautzen werde die Impfpflicht in den Gesundheitsberufen faktisch nicht umsetzen. Eine Aufforderung zur Rechtsbeugung, nennt die Beigeordnete das und erklärt: „Das sind Wege, die wir als Verwaltungsleiter nicht beschreiten dürfen.“
Wahlempfehlung: ein überparteilicher Landrat
Neu ist das alles nicht. Schon in der Vergangenheit hatte Birgit Weber mehrfach durchblicken lassen, dass es zwischen ihr und Udo Witschas keine Vertrauensbasis gibt. Auch eine eigene Kandidatur als Landrätin zog sie zwischenzeitlich in Betracht.
Die Beigeordnete belässt es diesmal aber nicht bei der Kritik an ihrem Vize-Kollegen, sondern spricht eine Wahlempfehlung für den 12. Juni aus: Da es im Bautzener Kreistag keine klaren Mehrheitsverhältnisse gebe, tue aus ihrer Sicht ein überparteilicher Kandidat dem Landkreis gut, sagt sie im Interview auf Oberlausitz TV. Gemeint ist offenkundig der Kamenzer Unternehmer Tobias Jantsch, der als Parteiloser zur Wahl antreten will und das Video über seine Internetseite verbreitet.
All dies stellt aus Sicht von Landrat Harig einen Eingriff in den Wahlkampf dar – und damit einen Verstoß gegen das Gebot der Neutralität, zu der Weber als kommunale Wahlbeamtin verpflichtet sei. Mit Schreiben vom 1. April fordert er sie daher auf, „Einlassungen dieser Art“ zu unterlassen und „dokumentierte Aussagen, die dem entgegenstehen, zu beseitigen“. Anderenfalls müsse Weber mit disziplinarischen Schritten rechnen.
Harig selbst im CDU-Wahlkampf aktiv
Birgit Weber äußert sich aktuell nicht zu ihrem Interview mit Oberlausitz TV. Die Kreisverwaltung wiederum verweist auf Nachfrage von Sächsische.de vor allem auf jene Passagen des Interviews, in denen sich die Beigeordnete wertend zu einzelnen Kandidaten äußert. Dabei gehe es nicht darum, was Birgit Weber konkret gesagt habe, sondern dass sie in ihrer Eigenschaft als Vize-Landrätin auftrete.
Damit verstößt sie nach Auffassung des Landkreises gegen die Hinweise des sächsischen Innenministeriums zu den Bürgermeister- und Landratswahlen. In diesen heißt es: „Greifen Organe oder Bedienstete zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder eines Bewerbers ein, kann die Chancengleichheit verletzt werden. Dies kann einen Grund für die Ungültigkeit der Wahl darstellen.“
Diese Begründung wirft allerdings Fragen auf, denn auch Landrat Harig mischt aktiv im Wahlkampf mit. Für die Internetseite von Udo Witschas hat er einen Gastbeitrag verfasst. Überschrift: „Warum Udo Witschas der Mann der Stunde ist“. In einem Wahlkampfvideo wirbt er für den CDU-Kandidaten. Zitat: „Meine Stimme hat er.“
Die Kreisverwaltung sieht hierhin jedoch keinen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Der Landrat nutze für seine Aussagen keine dienstlichen Plattformen oder Anlässe. "Seine Aussagen sind generell als die des CDU-Kreisvorsitzenden und damit als Privatperson zu verstehen", so die Pressestelle. Tatsächlich nennt Harig in beiden Fällen nur seinen Namen, aber nicht seine Funktion.
Oberlausitz-TV-Chef über Reaktionen erstaunt
Nicht ganz so klar ist die Trennung bei Udo Witschas, der sich auf seiner Facebookseite als Vize-Landrat bezeichnet - und über diese Plattform sowohl Informationen zu seiner Arbeit in der Kreisverwaltung verbreitet, als auch Wahlkampf betreibt.
Das Landratsamt will dies nicht kommentieren, da es sich um die private Facebookseite des Beigeordneten handelt. Es stellt daher nur allgemein fest: "Würde Herr Witschas in Ausübung seiner Dienstgeschäfte Bewertungen von Kandidaten vornehmen, erginge gleichfalls eine Aufforderung zur Wiederherstellung der Neutralität."
Oberlausitz-TV-Geschäftsführer Uwe Tschirner reagiert auf Anfrage von Sächsische.de verwundert. Er sei schon überrascht über die Aufregung, die sein Gespräch im Landratsamt ausgelöst habe - und ebenso über die Forderung des Landrats, bestimmte Aussagen "zu beseitigen". „In meiner über 24-jährigen Zeit als Redaktionsleiter von Oberlausitz TV kann ich mich nicht an einen derartigen Versuch der politischen Einflussnahme auf unsere Berichterstattung erinnern. Das wäre schon eine neue Dimension.“