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So soll Theater trotz Corona möglich sein

In Bautzen laufen Proben für ein Ein-Personen-Stück. Es braucht weder Bühne noch Licht- und Tontechnik - nur interessierte Schüler.

Von Miriam Schönbach
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Im Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen laufen die Proben für das Stück "Deine Helden - Meine Träume". Schauspieler Julian Laybourne steht dabei ganz allein auf der Bühne.
Im Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen laufen die Proben für das Stück "Deine Helden - Meine Träume". Schauspieler Julian Laybourne steht dabei ganz allein auf der Bühne. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Jonas Brandt kommt in sein altes Klassenzimmer. Er ist aufgelöst, die halbe Nacht steckt ihm in den Knochen – und scheinbar noch viel mehr. „Es hat sich nichts verändert“, sagt er und stolpert durch die Sitzreihen. Bei jedem Schritt durch die Bänke werden mehr Erinnerungen wach. Er sucht einen Brief, den er vor sieben Jahren selbst unter die Bank geklebt hat - „wegen Mo und der Scheiße, die dann passiert ist“. Die Erinnerungen bestürmen ihn – und dann erzählt er, wie ein Traum zum Alptraum wurde.

Das Klassenzimmer ist auf der großen Bühne des Bautzener Theaters eingerichtet. Statt der Schüler sitzen bei der abendlichen Probe Regisseur Alexander Höchst und Intendant Lutz Hillmann in den Schulbänken aus Sprelacart. Vorn an der Tafel ist Schauspieler Julian Laybourne. Er spielt im Ein-Personen-Stück den ehemaligen Schüler Jonas Brandt. Aufgeführt werden soll es in Klassenzimmern. Für dieses Format hat die Hamburger Autorin Karen Köhler den Monolog „Deine Helden – meine Träume“ über die Vorbilder, die wir uns wählen, über die Kreise, in die wir uns begeben und über die Konsequenzen, die unsere Wahl haben kann, geschrieben.

Unterwegs mit einer Aussteiger-Organisation

Für Julian Laybourne ist es eine Rückkehr auf die Bühne nach drei Monaten. „Es fühlt sich gut an“, sagt er. Seit Mitte Januar probt Julian Laybourne mit dem Regisseur für das Klassenzimmerstück. „Wir sind zurzeit mit dem Kultusministerium im Gespräch, wie es wieder möglich gemacht wird, vor Schülern Theater zu spielen – auch ohne geöffnete Häuser“, erklärt Intendant Lutz Hillmann. Er hofft auf eine große Nachfrage der Schulen zum Stück. Denn das Thema sei topaktuell.

Autorin Karen Köhler hat das Stück zum Thema Rechtsextremismus im Auftrag des Deutschen Nationaltheaters Weimar entwickelt. Um den Jugendlichen aus Thüringen näher zu kommen, hat sie Mädchen und Jungen zu Träumen, Sehnsüchten und ihren Helden befragt. Für die Recherche ging sie in einen Boxclub und war mit der Organisation „Exit Deutschland“, einer Initiative für Personen, die aus der rechtsextremen Szene aussteigen wollen, unterwegs. Entstanden ist so ein realitätsnahes Stück, das eine Geschichte erzählt, die genau so hätte in einem solchen Klassenzimmer stattfinden können.

Dort bestreitet Julian Laybourne gerade „Runde 5“. Wie ein Boxkampf setzt sich der Monolog zusammen. Jonas erzählt vom Ärger und Stress mit einem prügelnden und trinkenden Stiefvater zu Hause und wie er im Boxclub Aufmerksamkeit und Hilfe erfährt. Dort findet er auch einen echten Freund: Mo. Dessen Familie ist das genaue Gegenteil. Der Vater ist als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und hat ein Handwerksunternehmen aufgebaut, die Mutter kocht wunderbare Gerichte, und die Geschwister sind liebevoll füreinander da.

Aufführung in echten Klassenzimmern

Die Freundschaft und das Training lassen Jonas sicherer werden, er traut sich sogar, seine Traumfrau Jessica in der ersten Reihe anzusprechen. Während das Mädchen kaum Notiz von ihrem Verehrer nimmt, kümmert sich ihr Bruder Heiko umso mehr um den suchenden Jugendlichen. Er nimmt ihn mit zu heimlichen Konzerten, Lagerfeuer-Kameradschaftsabenden und füttert ihn mit Hass gegen Ausländer. Ein Kuss zwischen Mo und der von Jonas Angebeteten ist Auslöser für einen schrecklichen Fehler. Es gibt Dinge, die kann man nicht mehr rückgängig machen. Dämonen muss man sich stellen.

Nach seiner Uraufführung 2013 an einer Weimarer Schule ist „Deine Helden – Meine Träume“ inzwischen bundesweit in mehr als zehn Theatern im Repertoire. „Theater muss sich einbringen. Durch das Stück bekommen Jugendliche eine Distanz zu Dingen, die um sie herum passieren“, sagt Regisseur Alexander Höchst.

Die besondere Herausforderung für den Schauspieler bei einer solchen Inszenierung für das Klassenzimmer ist der hautnahe Kontakt zum Publikum - ohne große Bühne, ohne Licht und ohne Ton, aber mit einem besonderen Draht zu den Schülern. Zum Stück wird zudem theaterpädagogisches Material zur Nachbereitung erarbeitet. Doch jetzt freut sich Julian Laybourne erst einmal auf seine Premiere im Klassenzimmer.

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