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Wie sich Sachsen zu Chefs machen

Tausende Unternehmer in Sachsen brauchen bald Nachfolger. Ein Banker, ein Handwerkersohn und ein Tischlermeister haben diese Chance genutzt.

Von Georg Moeritz
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Vom Banker zum Textil-Unternehmer: Uwe Kunath hat geholfen, eines von Tausenden Nachfolge-Problemen in Sachsen zu lösen. Er übernahm gemeinsam mit einem Kollegen einen Produktionsbetrieb.
Vom Banker zum Textil-Unternehmer: Uwe Kunath hat geholfen, eines von Tausenden Nachfolge-Problemen in Sachsen zu lösen. Er übernahm gemeinsam mit einem Kollegen einen Produktionsbetrieb. © dpa/Robert Michael

Dresden. Wenn ein sächsischer Bankangestellter einen Betrieb kaufen will, braucht er erst mal Geld. Uwe Kunath war Volksbank-Angestellter in Pulsnitz, als er von der Chance zur Selbstständigkeit erfuhr: Batex in Großröhrsdorf stand zum Verkauf, einer der letzten sächsischen Textilbetriebe mit eigenen Näherinnen. Der damalige Besitzer Horst Bräuer hatte mit fast 80 Jahren noch keinen passenden Käufer für seinen Betrieb mit 20 Beschäftigten gefunden.

Interessenten gab es schon, wie meistens bei sächsischen Industriebetrieben, und mit einem war Bräuer auch schon fast einig – doch die Verhandlung platzte doch noch. Das war die Chance für Uwe Kunath und seinen Kollegen Sven Nicolaus. Die beiden Bankangestellten fragten sich schon länger, ob sie im Leben etwas Neues anfangen sollten. „Mein Chef sagte mir, er würde mich nicht gehen lassen“, sagt Kunath. Er hatte damals sieben Monate Kündigungsfrist.

Doch der Handel kam zustande: Die beiden Banker wurden mit Batex-Besitzer Bräuer einig, verließen die Volksbank und fragten bei mehreren Banken nach einem Kredit. Nun sind sie Schuldner der Kreissparkasse. Die Bürgschaftsbank Sachsen (BBS) unterstützte das Geschäft, indem sie einen Teil des Risikos übernahm. Bei 70 Firmennachfolgen in Sachsen halfen solche Bürgschaften im vorigen Jahr, sagt BBS-Geschäftsführer Markus H. Michalow.

Wirtschaftsminister Martin Dulig probiert bei Batex mit Geschäftsführer Uwe Kunath eine Schutzweste aus sächsischer Produktion. Darauf steht auch seine Parteizugehörigkeit in Rot.
Wirtschaftsminister Martin Dulig probiert bei Batex mit Geschäftsführer Uwe Kunath eine Schutzweste aus sächsischer Produktion. Darauf steht auch seine Parteizugehörigkeit in Rot. © Foto: SMWA/Ronald Bonß

Sachsens Firmengründer kommen ins Rentenalter

Nun sind Kunath und Nicolaus seit anderthalb Jahren Chefs des Unternehmens Batex Technische Textilien GmbH und kennen sich aus mit Geweben, Nähten und Reißverschlusslängen. Der Betrieb ist erhalten geblieben, die 20 Beschäftigten und zwei Auszubildende gibt es weiterhin. Beim Gang durch die Halle scherzt Kunath mit einer der acht Frauen an Nähmaschinen, ob sie nicht doch ein paar Jahre länger arbeiten wolle.

In dieser Woche besuchte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) den Betrieb, um auf gelungene Beispiele für Unternehmensnachfolgen aufmerksam zu machen. In Sachsen stehen nämlich Tausende Handwerker und andere Firmenchefs in den nächsten Jahren vor der Aufgabe, Nachfolger oder Käufer zu finden. Die Gründer der Wendezeit kommen ins Rentenalter. Mehr als 7.600 sächsische Unternehmer stehen bis 2026 nach Berechnungen des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung vor der Übergabe – oder drehen zum letzten Mal den Schlüssel um.

Laut Minister Dulig ist es „eine Illusion“, dass alle Betriebe übernommen werden. Sachsen habe die höchste Handwerkerdichte. Viele Betriebe seien zu klein, er wünsche sich Übernahmen „mit Wachstumsperspektive“. Doch etwa jeder fünfte Inhaber plant fest die Stilllegung – die meisten von ihnen haben allerdings keine Angestellten.

Iris Klemm stellt mit der Nähmaschine Schutzkleidung bei Batex in Großröhrsdorf her.
Iris Klemm stellt mit der Nähmaschine Schutzkleidung bei Batex in Großröhrsdorf her. © Foto: SMWA/Ronald Bonß

Sachsen liefert Schutzkleidung an PCK-Raffinerie Schwedt

Neu-Unternehmer Uwe Kunath will kein großes Wachstum versprechen. Er nutzt das Gespräch mit dem Minister, um über die nächste Ausschreibung des Landes zu sprechen – Batex beliefert unter anderem Polizeibehörden mit Schutzwesten. Alles sei maßgeschneidert, betont der Chef und zeigt Stichschutz-Material und Lieferzettel. Fertig zum Ausliefern liegt Berufsbekleidung für die Staatsanwaltschaft Leipzig bereit, für die Vollstreckungsbehörde in Pirna und für die Polizei in Offenbach. Auch BASF ordert Overalls in Sachsen.

Einen Teil der Aufträge lässt Batex allerdings in Polen und Bulgarien erledigen. Dem Minister sagt Kunath, dass er den Näherinnen gerne mehr als Mindestlohnniveau zahlen würde, doch das sei nicht möglich. Da er sie nicht mit finanziellen Anreizen halten könne, bemühe er sich, „dass die Arbeit Spaß macht“.

Kunath hat gerade eine Fachmesse besucht und berichtet von einem Neukunden in den USA. Er erwägt, eine Produktionsmaschine mit Laser und eine Solaranlage anzuschaffen, doch dafür wären Umbauten nötig. Ob er einen vorhandenen Kunden behalten wird, weiß er noch nicht: Die PCK-Raffinerie in Schwedt hat vor wenigen Tagen Schutzkleidung aus Großröhrsdorf bekommen, also der Betrieb in russischem Besitz, dem das Öl auszugehen droht.

Hans Lehmann (links) kommt aus einer Handwerkerfamilie und wollte schon als Kind Unternehmer werden. Nach Stationen bei mehreren Firmen fand er einen passenden Betrieb im Internet und mit IHK-Beratung: Elnic in Dresden GmbH.
Hans Lehmann (links) kommt aus einer Handwerkerfamilie und wollte schon als Kind Unternehmer werden. Nach Stationen bei mehreren Firmen fand er einen passenden Betrieb im Internet und mit IHK-Beratung: Elnic in Dresden GmbH. © Foto: SMWA/Ronald Bonß

Dulig: Sachsen fehlt gründungswilliger Nachwuchs

Schlaflose Nächte hat Kunath in seiner neuen Rolle als Unternehmer nach eigenen Angaben noch nicht gehabt. Es habe auch kein Mitarbeiter gekündigt, sagt er. Mit seinem Firmenkauf scheint er zufrieden zu sein. Allerdings betont Kunath auch: „Alleine hätte ich es nicht gemacht.“

Minister Dulig weiß, dass nicht jeder sich die Chef-Rolle zutraut. In Sachsen fehle es „grundsätzlich an gründungswilligem Nachwuchs“. Das sei auch eine kulturelle Frage: „Wir erziehen Kinder nicht dazu, ins Risiko zu gehen.“ Oft werde ein sicherer Job bevorzugt. Dabei gebe es geförderte Beratungen, Bürgschaften, Förderkredite und Investitionszuschüsse.

Bei der Nachfolgersuche haben es produzierende Unternehmer leichter als Händler oder Gastwirte, sagt Grit Fischer, Leiterin des Referats Wirtschaftsförderung in der Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK). Ein Modegeschäft mit einer 60-jährigen Inhaberin habe meistens Stammkundinnen im gleichen Alter – ein solcher Kundenstamm sei für eine junge Nachfolgerin nicht viel wert. Erstes Abschätzen eines Firmenkaufs ermöglichen die Kammern über Chiffre-Anzeigen und mit der Internetplattform nexxt-change.org.

Gerd Grunert (Mitte) hängt immer noch an seiner Tischlerei, die jetzt Robert Palowsky (links) gehört.
Gerd Grunert (Mitte) hängt immer noch an seiner Tischlerei, die jetzt Robert Palowsky (links) gehört. © Foto: SMWA/Ronald Bonß

"Am Anfang denkt man, der Nachfolger macht alles falsch"

Darüber hat auch Hans Lehmann seine Firma gefunden. Der 33-Jährige aus Burkau wusste schon als Kind, dass er Unternehmer werden möchte. Die Eltern sind selbstständige Töpfer in der Oberlausitz und haben ihm „die Selbstständigkeit vorgelebt“. Er machte allerdings sein Hobby Elektrotechnik zum Beruf, wurde Ingenieur an der FH und holte den Betriebswirt nach.

Nun fühlt er sich gerüstet, für 30 Mitarbeiter Verantwortung zu übernehmen: Lehmann hat die Mehrheitsanteile am Unternehmen Elnic in Dresden GmbH erworben, das Energie- und Automatisierungstechnik herstellt. Beim vorherigen Geschäftsführer hat er im Vergleich mit anderen Bewerbern die meisten Punkte gemacht.

Während Kunath und Lehmann Firmen übernahmen, die sie zuvor kaum kannten, erlebte Robert Palowsky eine jahrelange Einarbeitung in einem Handwerksbetrieb. Denn Tischlermeister Gerd Grunert im Bannewitzer Ortsteil Rippien wollte die Übergabe seines Betriebes in gute Hände gründlich vorbereiten – und begann sicherheitshalber schon fünf Jahre zuvor. So lange führte Grunert Gespräche mit Robert Palowsky, der als Tischlermeister und Verkäufer bei einer Fensterbaufirma arbeitet und dessen Familie er lange kannte.

Drei Jahre vor der Übergabe kam der Nachfolger in die Tischlerei, die kaum Werbung nötig hat und viele Fensterläden für Villen herstellt. Palowsky habe „alle Stationen durchlaufen“, berichtet der Ex-Chef und bekennt trotzdem, dass ihm die Übergabe schwergefallen sei. „Das erste Jahr war für mich ein bissel schlimm.“ Schließlich habe er seinen Betrieb 1988 gegründet und länger als 30 Jahre geführt. „Am Anfang denkt man immer, der Nachfolger macht alles falsch.“ Doch der kann damit umgehen, ist nun Chef eines Handwerksbetriebs mit sechs Mitarbeitern und zwei Auszubildenden und sagt beruhigt über seinen Vorgänger: „Ich frage ihn gerne um Rat, aber er hat mir nichts mehr zu sagen.“