Bautzen. Hunderte Bautzener verfolgten am 8. Februar das Bürgerforum in der Maria-und-Martha-Kirche. Bloggerin Annalena Schmitdt und Bauunternehmer Jörg Drews wollten hier miteinander, aber auch mit Bautzenern sprechen. Und nach wie vor diskutieren Leser auf Facebook oder teilen uns ihre Meinungen per E-Mail mit.
Demokratie lebt vom Kompromiss
Cornelia Böttner, Bautzen. Vieles wurde schon geschrieben, doch eine Reflexion einer zugezogenen Bautzenerin, die in der Maria-Martha-Kirche war, möge noch erlaubt sein. Zunächst war viel Hoffnung auf einen Abend des Dialogs beim Anblick der vielen Mitmenschen. Doch die Reaktionen beim Zitat des Grundgesetzes zu Meinungs- und Pressefreiheit machten sichtbar, was auch im Laufe des Abends bei einigen „Dialogsuchenden“ am Tisch und in den Sitzreihen deutlich wurde. Empathie und Wertschätzung dem Andersdenkenden gegenüber sind augenscheinlich für einige Mitmenschen Fremdwörter. Sie sind weder bereit noch willens, dem Gegenüber zumindest diese beiden Grundvoraussetzungen für einen vernünftigen Dialog entgegenzubringen.
Zurück zur Sachlichkeit: Es waren Tatsachen, die zur „braunen“, problematischen Außenwahrnehmung von Bautzen geführt haben. Menschen anderer kultureller oder örtlicher Herkunft oder mit einer anderen Meinung wurden zu Adressaten von Herabwürdigungen. Eigentum und körperliche Unversehrtheit wurden in Mitleidenschaft gezogen. Erinnert sei an den Dachstuhlbrand am Husarenhof, die Molotow-Cocktails auf das Spreehotel, die Hetzjagd vom Kornmarkt. Es waren Bautzener Bürger, die in großer Mehrheit dagegen aufstanden unter dem Motto: „Vielfalt statt Einfalt“ oder „Bautzen bleibt bunt!“
Ich lebe erst oder schon seit über 25 Jahren in Bautzen, habe zwei Kinder groß gezogen und bin seit meinem Zuzug für das Gemeinwesen aktiv. Aber ist das von irgendeiner Bedeutung für irgendwelche Tatsachen oder Meinungen? Sein Gegenüber auf seine Leistung für die Gesellschaft zu reduzieren, zeugt von einem, für mich jedenfalls, einseitigen und oberflächlichen Menschenbild. Jeder Mensch ist wertvoll und wichtig, und jeder hat das Recht und die Pflicht, sich in die Gemeinschaft einzubringen.
Annalena Schmidt war mutiger als viele der Zwischenrufer aus der anonymen Masse. Sie hielt den Bautzenern an diesem Abend einen Spiegel vor: Die Sicht von Bautzen wird geprägt von uns allen! Können wir nicht einfach dankbar sein für das mitunter unterschätzte Glück, in einem auf die Würde eines jeden einzelnen Menschen gegründeten, freiheitlich demokratischen, sozialen Rechtsstaat in Frieden zu leben und dafür etwas tun zu dürfen?
Ohne den Einfluss von außen ist eine Gesellschaft auf Dauer nicht überlebensfähig. Wir haben es in der Hand, jeder Einzelne. Die Welt verändert sich auch ohne uns. Lassen Sie uns doch bitte daran positiv mitarbeiten, dass jeder in ihr leben kann! Das sind wir unseren Kindern schuldig. Demokratie lebt vom größtmöglichen gemeinsamen Nenner, das heißt vom Kompromiss. Das gelingt nur im Dialog, dazu brauchen wir gegenseitige Wertschätzung und Empathie.
Wer sich nicht an Regeln hält, kann nicht mitspielen
Bernd Ringhof, per Mail: Ja, selbstverständlich sollen in einem Diskurs verschiedene Meinungen vertreten werden – sonst ist es ja keiner. Aber für diesen Diskurs gibt’s eben auch Regeln. Sachlichkeit ist eine davon. Und da gehören eben Pöbeleien, Schreierei und das beliebte „Dann geh’ doch wieder dahin, wo Du her gekommen bist!“ einfach nicht dazu. Denn wer von uns die Weisheit mit dem Löffel gefressen hat, wissen wir frühestens in Jahrzehnten. Und das gilt für alle Beteiligten. Sicher fällt es manchmal schwer, in einer Diskussion sachlich zu bleiben – unbeschadet des politischen Standpunktes. Aber wer sich an die Regeln nicht halten kann oder das nicht will, kann eben nicht weiter mitspielen. Beim Fußball gibt’s dafür den Schiedsrichter.
Hass, Neid und Geld – nein danke
Thomas Fiebiger, Bautzen: Für den Beitrag „Alles braun oder was?“ möchte ich Anna Veronika Wendland ganz besonders danken. Sie schrieb mir aus meinem tiefsten Herzen. Die Zeitschrift „Denkste mit“ ist in jeder Form hinterhältig, von Herrn Drews finanziert und hat eine sehr AfD-freundliche Redaktion. Als Inhaber des Kontrapunkt Satzstudios möchte ich hiermit einem Gerücht entgegentreten: Ich habe nichts mit der Printausgabe von „Denkste mit“ zu tun. Darin geht es um Neid, Hass und Geld. Nein danke! Herrn Karsten Vogt danke ich für seine besonnenen Worte in der Maria-und-Martha-Kirche.
Ist das Eintreten für Demokratie Besser-Wessi-Propaganda?
Birgit Kieschnick, Bautzen: Annalena Schmidt ist Aktivistin. Für sie ist das Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung eine normale und logische Sache. Auch das Anmelden von Demonstrationen gehört dazu. Dies wird von denen, die das „Volk“ vertreten als Besser-Wessi-Propaganda angeprangert, obwohl sie das Recht auf Meinungsfreiheit in Form von Demonstrationen für sich auch nutzen. Ja, gerade wir im Osten sind da leicht empfindlich und fallen auf diese Art des Madigmachens der Demokratie herein, weil wir damals gezwungen wurden, an Demos teilzunehmen, sonst stand das nämlich im Zeugnis. Zwei Seiten stehen sich gegenüber, und jede beschuldigt die Gegenseite der „Propaganda“. Für mich ist aber klar, dass die Seite, welche die „jüdische Weltverschwörung“ in die Welt posaunt, die für unsere Stadt gefährlichere ist. Dieses Gedankengut führte einst zum Zivilisationsbruch, in den Holocaust.
Im Artikel von Frau Wendland steht auch dieser Satz: „Mutig ist es, als Oberbürgermeister entgegen einer bizarren Frieden-mit-Russland-Stimmung (als ob wir 2014 in Russland einmarschiert wären, und nicht Russland in der Ukraine) zu entscheiden, den Verschwörungs-Schwurbler Wimmer nicht noch durch amtliche Anwesenheit bei einer Preisverleihung aufzuwerten.“ Doch da fehlt einfach Hintergrundwissen. Und auch der Aussage von SPD-Stadtrat Roland Fleischer, dass der OB den Finger in die Wunde gelegt hat, seit er im Amt ist, kann ich keinesfalls zustimmen. Der OB selbst war durch seine zurückliegenden Auftritte Teil der Veranstaltungen der Initiative „Bautzner Frieden“. Er hat die Szene, welche antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet, also selbst aufgewertet und über Jahre erstarken lassen.
Ein Hoffnungszeichen in der Maria-und-Martha-Kirche
Steffi Hoffmann, Bautzen: Maria Montessori denkt das Kleine groß. Für sie steht und fällt die Geschichte der Menschheit damit, wie es uns gelingt, in Frieden miteinander zu leben. Als bischöfliche Schule, die nicht nur Montessoris Namen trägt, sondern auch in ihrem Sinne lehren und handeln möchte, sehen wir uns in der Verantwortung, dass unsere Schule ein „Haus des Friedens“ ist. Wer von klein auf lernt, Konflikte miteinander zu lösen, dem fällt es auch als Erwachsenem leichter, anderen mit Respekt zu begegnen und ihre Würde zu achten.
So war es für uns ein besonderer Moment, als wir vergangenen Freitag in der Maria-und-Martha-Kirche traditionell unseren Halbjahresgottesdienst gefeiert haben. Genau an dem Ort, an dem es eine Woche zuvor so schwierig war, „zurück zur Sachlichkeit“ zu kommen, ein Abend, der für viele in unserer Stadt aufwühlend und auch verstörend war. Nun also kamen 200 Schüler, Lehrer und einige Eltern zusammen, um „den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen“, wie es die evangelische Jahreslosung weist. Die Streitschlichter unserer Schule haben diese Feier wesentlich mitgestaltet. Das war ein Hoffnungszeichen: Seit 20 Jahren können Kleine an unserer Schule lernen, und wir setzen darauf, dass diese Arbeit Frucht trägt und sie auch als Große fähig sind, unser gesellschaftliches Miteinander positiv zu gestalten und eine würdige, konstruktive Streit- und Debattenkultur zu pflegen.
Diskussionskultur ist erlernbar
Wilfried Rosenberg, Bautzen: Ja, dieses Forum war ein weiterer Baustein zum Negativimage von Bautzen. Das ist auch für mittelständische Unternehmer im gesamten Umland verheerend. Ich meine: Eine Gesellschaft ist immer inhomogen – nur, dass das heute über die sozialen Medien an die Öffentlichkeit tritt, was früher an den Stammtischen stattfand. Das kann schon erschrecken und löst auch Betroffenheit aus. Wirkliche Demokratie hält das aus! Aber vielleicht braucht es diese Betroffenheit, braucht es das Luftablassen, worauf jetzt endlich ein wirklicher Dialog bauen kann, den ich schon seit Jahren anmahne! Die Fish-Bowl-Methode ist eigentlich geeignet, nur die am Abend vorgegebenen Spielregeln konnten nicht funktionieren, wenn da nicht wirklich die Diskutanten zusammen kommen. Aber das ist erlernbar! Wir dürfen auch nicht die Augen vor den wirklichen Ursachen verschließen und diese liegen nicht bei Frau Schmidt und Herrn Drews. Das „Wie miteinander umgehen“, muss an konkreten Themen festgemacht werden; von: Was heißt Rechtsstaat? Aber auch bei den Themen Krone, Spreebrücke oder Leitbild? Oder: Warum sind in unserer heutigen Gesellschaft die Gewinne der Unternehmer verantwortlich für den Wohlstand der Gesellschaft, der Region? Es braucht einen vorparlamentarischen Dialog, der verschiedenste gesellschaftliche Gruppen, ohne Ausschluss der Öffentlichkeit, an den Tisch bringt, die sich aber nicht an den Parteien festmachen darf, sonst sind wir wieder im Rechts-Links-Schema. Aus großen Debatten (Kornmarktcenter/Westtangente ) ist Bautzen immer gestärkt herausgekommen. Wir müssen den Mut haben zügig weiterzumachen! Dann entsteht ein Prozess zum Guten und das wird unseren Stolz auf Bautzen entwickeln, uns Lorbeeren einbringen und zeigen, wir haben gelernt; unsere Leistungsfähigkeit ist besser als unser Ruf!
Keiner weiß Bescheid, aber alle haben Recht
Edith von Wolffersdorff, Bautzen: Ich wollte Frau Schmidt und Herrn Drews kennenlernen. Das Interesse war nicht nur bei mir groß, deshalb vielen Dank, dass die Kirche zur Verfügung gestellt wurde. Der Moderator und OB Ahrens haben es erreicht, dass die Veranstaltung mehr und mehr geordnet verlaufen konnte und viele zu Wort kommen konnten. Solche Diskussionen sollten in Vorbereitung der Wahlen öfter stattfinden. Bautzen ist keine Ausnahme, die Stimmung entspricht dem Motto des Kabaretts „Herkuleskeule“: „Allen geht es gut, aber allen geht es schlecht, keiner weiß Bescheid, aber alle haben Recht!“
Meinung der Bevölkerung zählt sowieso nicht
Wolfgang Hentschel, per E-Mail: Dem Beitrag von Manuela Kiupel (weiter unten) kann ich in vollem Umfang zustimmen, und er spricht wohl einem sehr großen Teil der Bevölkerung aus dem Herzen. Jetzt, kurz vor einigen Wahlen, werden große Änderungen in Aussicht gestellt, um sich in den Vordergrund zu schieben. Und die Herren Schilling und Fleischer sollten sich erst mal für die Politiker schämen, die bei Fernsehgesprächsrunden anderen ins Wort fallen und deren Ausführungen damit beenden. Aber lieber soll ja die Bevölkerung ausgeschlossen werden, denn ihre Meinung zählt ja sowieso nicht! In dem Zusammenhang muss ich sogar den Aussagen der AfD auf der gleichen Seite der SZ zustimmen.
Mehr inhaltlicher Austausch über Gräben hinweg
Reinhard Schade, Bautzen: Zurück zur Sachlichkeit bedeutet für mich, dass jemand offen und ehrlich seine Positionen darstellt und erläutert und darüber diskutiert wird. Damit meine ich nicht mitzuteilen, wie man über jemand anderen denkt und was man von ihm hält, sondern die argumentative Auseinandersetzung über ein Thema ohne gegenseitige Schuldzuweisungen. Wie schwer das ist, konnte man am 8. Februar erleben. Dadurch sollten sich die Bautzener nicht entmutigen lassen. Mir erscheint es sinnvoll, wie angekündigt, weitere Diskussionsveranstaltungen durchzuführen, und zwar - wie vorgesehen - zu verschiedenen Themen. Fronten auflösen und Gräben überwinden ist nur möglich, wenn man sich inhaltlich austauscht über die gegenseitigen Positionen, ohne sein Gegenüber für seine andere Vorstellung zu schelten. Ein Versuch ist es wert.
Ein richtiges Gespräch braucht Mut und Disziplin
Jonas Weiß, Bautzen: Ich finde es wichtig, dass unser Oberbürgermeister die Veranstaltung initiiert und dass die Kirche einen Raum dafür zur Verfügung gestellt hat. Freilich ist das Ergebnis eher ernüchternd. Zumindest war das keine Diskussion. Es wurden Statements abgegeben, die allesamt das Auditorium in der Kirche nutzten und entsprechend emotionale Wirkung erzielten. Ein Gespräch geht anders. Warum fällt es so schwer, Fragen zu stellen, auf Antworten zu hören, sich selbst infrage stellen zu lassen? Die Veranstaltung hatte das Potenzial dafür. Aber gerade bei undisziplinierten Rednern braucht es eine feinfühlige, aber stringente Gesprächsführung. Es ist zwar nicht sportlich fair, auf den Schiedsrichter zu schimpfen, aber der hat eben doch einen großen Anteil am Spielverlauf. Bei der Rolle des Moderators war viel Luft nach oben. Vielleicht muss man auch die Regeln überdenken. Jedenfalls wird ein Gespräch unmöglich gemacht, wenn Teilnehmer das Mikrofon nehmen, Frust ablassen und sich danach gleich wieder zurückziehen. Mein Fazit: Die Veranstaltung war gut und richtig. Aber für ein wirkliches Gespräch braucht es bei allen Beteiligten noch mehr Mut und Disziplin.
Einer zivilisierten Gesellschaft einfach unwürdig
Hans-Eberhard Kaulfürst, Sohland: Als ehemaligem Bautzener ist es mir Leid um meine Stadt. Ein Teil der Leute in der Kirche wähnte sich, scheint´s, bei einem Gladiatorenkampf. Entsprechend war das Verhalten: einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig. „Miteinander reden“ hört sich anders an. Die Betroffenheit derer, die nahezu ohnmächtig den offenkundigen Beweis für den Verfall der Sitten miterlebten und darüber schreiben oder erzählen, verstehe ich absolut. Gegen Respekt- und Herzlosigkeit, verbunden mit einer Heckenschützenmentalität, ist auch Bautzen nicht immun. Zeigt sich hier schon jenes alternative Deutschland, das wir sein oder werden sollen – oder gar wollen? Aber: Wer kennt die Therapie? Reflexartig dem politischen Gegner die Schuld zu geben, ist irrig. Für den Wahlkampf taugt das Thema hervorragend – als Gift! Mein Appell an uns, die christlichen Abendländer und an die, die sich an Häme und Johlen nicht stören: Ein Grundsatz unseres Zusammenlebens lautet: Was du nicht willst, das man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu!
Von Meinungsaustausch und Offenheit keine Spur
Bernd Jänichen, per E-Mail: Ich bin entsetzt, was sich in meiner Geburtsstadt, in der ich auch aufgewachsen bin, abspielt. Der Hass, die Unerzogenheit, das mangelnde Benehmen, der mangelnde Anstand sind schier grenzenlos. Was ist da nur los? Auf den Hinweis auf Pressefreiheit wird johlend gegrölt. Welchen Verschwörungstheorien sind die Sachsen da nur aufgesessen? Abweichende Meinungen werden niedergebrüllt. Von Offenheit, Meinungsaustausch mit Andersdenkenden, ja nur Respektieren anderer Meinungen keine Spur. Es ist entsetzlich, auch wenn es - hoffentlich! - keine repräsentative Mehrheit der Bautzener war. Das kann nichts damit zu tun haben, dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen Stadtrat und Stadtspitze gibt. Das gibt es deutschlandweit. Das gehört zur demokratischen Meinungsbildung. Besonders schlimm empfinde ich die Aufforderung „Geh weg!“ Haben nur Alteingesessene oder am besten nur in Bautzen Geborene das Recht zu diskutieren? Schon vor 60 Jahren hat mein Vater darüber geschimpft, dass eigentlich nur in Bautzen Geborene angesehen und anerkannt werden. Hat sich da nichts geändert? Sind diese Jahre an den Ewiggestrigen spurlos vorbeigegangen? In kleinen abgeschiedenen Dörfern in Niedersachsen oder Bayern mag das vielleicht angehen, aber doch nicht in einer Stadt wie Bautzen! Wie provinziell ist das denn? Dieses völlig anstandslose Benehmen kann auch nicht mit DDR-Zeit erklärt werden. In DDR-Zeiten wurde mir schon in der Schule Anstand und Benehmen beigebracht. Das Grölen, Ausbuhen, Niederbrüllen hat nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun. Es ist einfach nur primitiv und niveaulos und ohne Achtung vor dem Gegenüber. Dem Renommee von Bautzen kann auch durch „westliche“ Medien nicht mehr geschadet werden angesichts dieser Haltung und dieses Verhaltens Bautzener Bürger.
Primitives Schwarz-Weiß-Bild von Bautzen
Jens Reime, Bautzen: In der Kirche am 8.2. wurde überdeutlich, welche Wut und welcher Hass sich seit Jahren gegen die Wissenschaftlerin aus vielen Gründen aufgestaut haben müssen! Liest man ihre Tweets, wird deutlich, warum: Aus der ehemaligen Stasihochburg nach 40 Jahren DDR ist anscheinend ein braunes Nest geworden. Nazis und Rechtsextreme an jeder Ecke und die SED-Linken jubeln. Mit ihren beliebten Floskeln wie „stabile Menschen“ oder „schweigende Mitte“ zeichnen sie ein primitives Schwarz-Weiß-Bild von ihren Mitbürgern. Wer all das ignoriert, legt eine unfassbare Arroganz an den Tag und hat natürlich erst recht im Stadtrat nichts zu suchen.
Und noch etwas: Geradezu bösartig und verächtlich machend ist der mediale Versuch zu unterstellen, es wurde von allen über Art. 5 Grundgesetz gelacht und gepfiffen. Vereinzelt und nicht durch alle ab der Lesung des Zensurverbotes wurde über ihr Zitat gelacht. Mit Sicherheit fühlten sich Einzelne von ihr seit Jahren zensiert und bevormundet. Offenbar hat sie Herrn Drews am Anfang auch nicht zugehört, als er kritisierte, dass sie bestimmte Personen aus Bautzen als „gesellschaftlich nicht anerkannt“ betitelte. Solch anmaßende gesellschaftliche Werturteile provozieren selbstverständlich Reaktionen.
Was bleibt nach diesem Abend ist die Erkenntnis, dass es für die Protagonisten in den sozialen Medien offenbar leichter ist, Kommentare abzusetzen, als im direkten Kontakt konkrete Themen anzusprechen und sich mit Argumenten inhaltlich auseinanderzusetzen. Mutig war es von Frau Schmidt, die aus ihrer Sicht wichtigen Dinge anzusprechen und vorzutragen. Leider kam hierüber aber kein Dialog zustande.
Ich bin der Überzeugung, dass man örtliche Probleme im direkten Gespräch mit bzw. nur mit den Bürgern von Bautzen lösen kann – gern auch mit Frau Schmidt und Herrn Drews. Lediglich ein untauglicher Versuch ist es aber, diese allein für sich überregional zu publizieren, undifferenziert zu bewerten, sich dafür Beifall von den Falschen abzuholen, ohne das Problem zu lösen und so eine ganze Stadtgesellschaft außen vor zu lassen, zu brüskieren und in Einzelfällen zu diffamieren.
Untersuchen, woher die große Unzufriedenheit kommt
Rolf Scheibe, Bautzen: Beschämend – für wen ? Als ich am Freitagabend an der Maria-und-Martha-Kirche ankam, erinnerte ich mich sofort an die im Herbst 89 am gleichen Ort stattgefundene erste Veranstaltung des 'Neuen Forums'. Unzufriedene, empörte Bürger drängten zum Einlass, die Veranstaltung wurde Stunden später wiederholt, das gleiche Bild wie damals. Statt sich in gegenseitigen Vorwürfen zu verunglimpfen, hätten der oder die Veranstalter sich fragen müssen, wie es zu so einer Situation kommen konnte. Mit Beschimpfungen von Bürgern, die in drei Monaten einen neuen Stadtrat wählen sollen, treibt man sie dahin, wo sie bis heute mehrheitlich nicht sind. Sollte nicht endlich einmal untersucht werden, wodurch diese Unzufriedenheit entstanden ist? Sind die Sorgen der Bürger angesichts der im letzten Jahrzehnt entstandenen chaotischen Zustände zwischen Stadtspitze und Stadtrat nicht berechtigt, angesichts der Zerstrittenheit bei der Gestaltung der Zukunft?
Mein Vorschlag wäre deshalb, jeder Stadtratsfraktion die Möglichkeit zu geben, ihr Wahlprogramm nach Veröffentlichung im Amtsblatt zu diskutieren und Meinungen und Vorschläge zu hören. Um seitens der Stadtführung den Bürgern Bereitschaft zu Veränderungen anzuzeigen, wäre mein Vorschlag, diese Veranstaltungen in der 'Krone' zu ermöglichen. Die Kosten dafür sollten die städtischen Unternehmen tragen, das Wohl der Stadt und der Bürgerfrieden sind wichtiger als der Profifußball.
„Waffenstillstand“ bis zur Stadtratswahl?
Diethold Tietz, Bautzen: Das Format der Veranstaltung ließ befürchten, dass die Sachlichkeit auf der Strecke bleibt, so geschah es auch zeitweise. Sehr zur Freude einiger zumeist westlicher Medien, die ohnehin mehr auf Krawall gebürstet sind, zumal wenn es gegen Bautzen geht. Als besonders schlimm empfinde ich derzeit die oft primitive Unsachlichkeit, die sich bei Facebook ausbreitet. Das begann bereits mit der Verleihung des Bautzener Friedenspreises.
Inzwischen wissen wir, dass die beiden „Hauptverursacher“ für unseren Stadtrat kandidieren werden. Wäre es da nicht angebracht, zwischen den beiden Lagern „Waffenstillstand“ zu schließen und das Wahlergebnis abzuwarten? Danach wissen wir, wem die Bautzener Bürgerschaft mehr Vertrauen bzw. Sympathie zollt, Frau Schmidt oder Herrn Drews. Zahlen lügen nicht, momentan wird hinreichend beschimpft und gelogen - Schluss damit!
Verbal weit von Sachlichkeit entfernt
Jürben Lublow, Bautzen: Ich gebe Herrn Schilling insofern recht, dass diese Veranstaltung des offenen Dialogs leider sein Ziel verfehlt hat. Dies lag aber in erster Linie daran, dass man zwei Hauptpersonen, Frau Annalena Schmidt und Herrn Jörg Drews, mit ihren Statements die Eröffnung der „Dialogrunde“ überließ. Es war nicht anders zu erwarten, dass ein Großteil der Anwesenden das zum Anlass nahm, ihr Ventil abzulassen, unüberhörbar, verbal von Sachlichkeit mitunter weit entfernt.
Ich bezweifle auch, dass die Anwesenden in Gänze einen repräsentativen Querschnitt unserer stolzen und besorgten Bautzener Bürger darstellten. Vielmehr war es für einen Großteil ein willkommener Anlass, ihren über Monate oder Jahre angestauten Frust abzulassen, insbesondere gegenüber Frau Schmidt. Einer hoch gebildeten, jungen Frau, die es vor 3,5 Jahren beruflich nach Bautzen verschlug. Zweifelsohne hat sie mit ihren Kommentaren im Netz in der Vergangenheit nicht immer die richtigen Worte gefunden, aber genau das hat sie in ihrer Erklärung dem Publikum rüberbringen wollen, dass sie daraus gelernt hat – leider ohne mehrheitlichem Verständnis der anwesenden Zuhörerschaft. Geradezu peinlich mit zuzusehen, wie die Reaktion auf das Zitat aus dem Grundgesetz in der Kirche ablief! Dass gerade die Aufforderung der Reiseleiterin „Gehen Sie wieder!“ zur Aufhänger-Überschrift eines Artikels über diesen Abend in einer großen Zeitschrift gewählt wurde verdeutlicht mir leider wieder aufs Neue, dass die Medien geradezu lauern auf derartige Entgleisungen.
Nein, diese Veranstaltung tat der Image-Verbesserung unserer Stadt keinen guten Dienst, im Gegenteil. Auch ich liebe meine Stadt, auch ich bin es leid, wenn ich beispielsweise in Köln bei meiner Schwester zu Besuch bin, mich halb dafür entschuldigen zu müssen, woher ich stamme. Doch dieses schräge, verzerrte Bild unserer alten, ehrwürdigen Stadt nach außen habe nicht ich zu verantworten, dafür will und muss ich mich nicht rechtfertigen. Mein Wunsch, meine Hoffnung zielt dahin, dass diese Veranstaltung ein Anfang war, ein erster Versuch, dem Bedürfnis nach einem „Miteinander Reden“ im großen Stil gerecht zu werden. Wir sollten zu einer konstruktiven Sachlichkeit zurückfinden, um uns gemeinsam Schritt für Schritt aus dem Sumpf zu befreien, in dem wir uns alle noch immer befinden.
Verfehlte Politik als Ursache der Zuspitzung
Doritz Hübner, per E-Mail: Es ist nicht zielführend, das Publikum, Herrn Drews, Herrn Ahrens, Frau Schmidt für ihre jeweiligen Haltungen zu kritisieren. Sie sind nur die Folgen von völlig verfehlter Politik im Osten und in der Migrationspolitik, von Meinungsmanipulation und der entsprechenden Gegenwehr unter dem Erleben der Realität, derer sich einige verweigern.
Das führt unweigerlich zu Zuspitzung, bei weiterer Verschärfung erfahrungsgemäß zu Bürgerkrieg. Hier hilft nur ganz pragmatische detaillierte Differenzierung, wo für die einzelnen Beteiligten das Problem liegt. Ich persönlich vermute es in integrationsunwilligen Personen, welche die ganzen edlen Ziele von Flüchtlingshilfe und Migration ad absurdum führen. Solange es da politische Wahrnehmungsverweigerung und Handlungsunfähigkeit gibt, werden Haltungen extremer und feindlicher werden.
Die Chance vertan, ein Stigma zu entkräften
Anja Hennersdorf, per E-Mail: Die Veranstaltung am Freitag hat bei vielen, auch bei mir, Eindruck hinterlassen. Vor allem aber hat sie erneut das Außenbild der Stadt beeinflusst.
Dieser Abend sollte die Menschen wieder dazu bringen, miteinander, statt übereinander zu sprechen. Eine gute Intention. Einkalkuliert und bei dem Setting vorausschaubar war dabei offensichtlich aber auch, dass sich Emotionen entladen würden, die sich über Monate aufgestaut haben. Dass dieser Abend daher nun ein realistisches Abbild des Meinungsbildes der Stadtgesellschaft sein soll, halte ich eher für fragwürdig.
Dennoch, Bautzen ist in seiner Außenwahrnehmung seit einiger Zeit stigmatisiert. Der Oberbürgermeister Alexander Ahrens und viele Bürgerinnen und Bürger haben in beachtlicher Art und Weise versucht zu verhindern, dass sich dieses negative Bild über Bautzen festsetzt, aber es ist in der Welt und wir müssen damit umgehen. Am vergangenen Freitag waren die Augen und Ohren wieder auf Bautzen gerichtet und zwar nicht, weil etwas passiert war, auf das man reagieren muss, sondern weil etwas passieren sollte, worauf die Stadtgesellschaft Einfluss hätte nehmen können, nämlich ein Stigma zu entkräften. Wir haben eine Chance vertan. Wir hatten die Möglichkeit Menschen einzuladen, ihnen zu zeigen, dass Bautzen mehr ist, als das Bild, das viele außerhalb von Bautzen und Sachsen haben. Stattdessen wird zum Hauptthema des Abends, wer überhaupt dazugehören, mitreden und mitgestalten darf. Es ist wenig einladend, wenn suggeriert wird, dass Andersdenkende hier nicht willkommen sind.
Noch weniger trägt es zum positiven Bild einer Stadt bei, wenn das alleinige Zitieren des Grundgesetzes für Empörung sorgt, im Übrigen, für mich der schockierendste und nachhaltigste Moment des Abends. Ich hätte lieber mit Herrn Drews darüber diskutiert, was er meint, wenn er in seinem Eingangsstatement meint, dass für ihn eine multikulturelle Gesellschaft problematisch sei, statt nachdenken zu müssen, ob ich als Zugezogene ein Recht habe, mich zu äußern. Vielleicht sollte man bei der Planung weiterer Veranstaltungen, die ja angekündigt sind und die ich für erforderlich halte, mit mehr Blick auf ein Ergebnis themenbezogener agieren und sich die Frage stellen: Was wollen wir für die Stadt konkret erreichen?
Sächsisches Bildungssystem hat jämmerlich versagt
Siegfried Kühn, Grubschütz: Das was an jenem Freitag offenbar wurde, ist kein spezifisch Bautzener Problem. Es ist mindestens ein sächsisches, vielleicht auch ein ostdeutsches. Dass die über das Grundgesetzzitat lachenden Bürger in einer Diktatur aufgewachsenen sind und daher keine Erfahrungen mit Demokratie und Meinungsfreiheit machen konnten, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Nicht akzeptabel ist aber, dass ein offenbar großer Teil von ihnen nach fast dreißig Jahren immer noch nicht weiß, wie Rechtsprechung in unserem Land funktioniert und wozu es bei der Landtagswahl zwei Stimmen gibt.
Besonders beängstigend ist es, wenn sich in die Demokratiegegner junge Leute einreihen, die die DDR bestenfalls als Kind erlebt haben. Dort bleibt nur die Schlussfolgerung, dass das sächsische Bildungssystem unter der CDU-Führung jämmerlich versagt hat. Die Parole, Politik habe nichts in der Schule zu suchen, ist dumm und rächt sich jetzt bitterlich. Gerade weil die Elterngeneration keine Erfahrungen mit Demokratie weitergeben konnte, ist eine umfassende politische Bildung in den Schulen unerlässlich. Die neue sächsische Regierung hatte bei ihrem Amtsantritt einen neuen Ansatz versprochen. Seither ist es sehr still geworden um dieses Thema.
Mehr Respekt vor der Arbeit des Oberbürgermeisters
Karin Laue, Bautzen: Als Leserin der SZ verfolge ich seit Jahren den negativen Umgang einiger Vertreter des Stadtrates mit dem Oberbürgermeister der Stadt Bautzen, und ich frage mich, ob diese Querelen wirklich in die Öffentlichkeit gehören. Viele dieser Fragen sollten meiner Meinung nach in den Sitzungen des Stadtrates mit dem Oberbürgermeister besprochen werden, und wenn es Unstimmigkeiten gibt, wissen die Abgeordneten doch, wo der Oberbürgermeister sein Büro hat und können diese dort mit ihm klären. Was den Oberbürgermeister Bautzens betrifft, lese ich in der Regel: Klagen und Anklagen, selten Anerkennung, kaum Lob für die Bemühungen, sein Amt gut zu führen – und ich glaube, darum bemüht er sich in ehrlicher Weise.
Aber Auseinandersetzungen, die auf Anklagen und Rechtfertigungen basieren, bringen keine Lösung, sondern erzeugen Frust auf beiden Seiten – und in diesem Falle auch beim Leser. Der Oberbürgermeister Ahrens ist von einer Bürgermehrheit dieser Stadt gewählt, und das sollte man respektieren und ihm in guter Weise und nur mit berechtigter und sachlicher Kritik und an Stellen und Orten, wohin es gehört, zur Seite stehen. Das dient auch dem guten Ruf der Stadt, um den man so besorgt ist.
Was nun konkret den Artikel von Herrn Schilling über den Abend in der Maria-und-Martha-Kirche betrifft: Auch in diesem wird leider wieder polarisiert. Dass der Abend so gelaufen ist, wie er gelaufen ist, liegt an dem ganzen angestauten Frust auf allen Seiten. Und wo Emotionen hochkommen, kann man nicht sachlich diskutieren.
Aber der Abend bot ein Stimmungsbild! Darauf basierend sollte man nach neuen Gesprächsmöglichkeiten suchen, in denen - so meine Hoffnung - in gegenseitiger Bereitschaft jeder den anderen in seinem So-Sein akzeptieren und hören kann – um dann Kompromisse zu finden und somit den Bürgern dieser Stadt eine Basis des guten Miteinanders zu ermöglichen. So verstehe ich Demokratie.
Wir brauchen keine klugen Ratschläge von oben herab
Manuela Kiupel, per E-Mail: Zum Artikel von Tobias Schilling möchte ich Folgendes sagen. Ich persönlich bin stolz auf alle Bautzener und Sachsen, die nach der Wende in ihrer Heimat geblieben sind. Ich bin Jahrgang 1970, hatte gerade ausgelernt, als die Wende kam. Viele meiner Schulfreunde und Familienangehörigen gingen in die alten Bundesländer. Wir wurden in der DDR als „Tal der Ahnungslosen bezeichnet“, damit konnten wir leben. Aber nach der Wende kamen Niedriglöhne, von denen man kaum Leben kann, prekäre Arbeitsverhältnisse, die es schwierig machen, eine Familie zu gründen und zu ernähren. Nach 30 Jahren Wiedervereinigung haben wir immer noch keine gleichen Löhne und Renten. Über 20 Jahre hat es gedauert, bevor es einen Mindestlohn gab. Tariflohn kennt kaum einer von uns.
Wir alle sind aus Liebe zu unserer Heimat und unseren Familien hiergeblieben. Das haben wir auch an unsere Kinder weiter gegeben Alle Politiker der CDU, SPD und FDP sollten sich in Grund und Boden schämen, wenn sie sich jetzt kurz vor wichtigen Wahlen plötzlich wieder an uns hier erinnern. Viele von uns fühlen sich seit Jahren von der Politik vergessen, verraten und im wahrsten Sinne des Wortes verkauft. Aber wir haben still gehalten. Die Zustände und Diskussionen der letzten drei Jahre haben die Hutschnur hochgehen lassen, wie man bei uns so schön sagt. Das spiegelte sich auch in den Reaktionen in der Kirche wieder.
Wir hatten auch zu DDR Zeiten ausländische Gastarbeiter hier in der Region. Menschen aus Angola, Cuba, Vietnam. Trotz der schlechten Versorgungslage in den 80ern, war es ruhig und friedlich. Wir sind Grenzgebiet zu Polen und Tschechien, Leben in Frieden und Freundschaft nebeneinander. Uns fremdenfeindlich zu nennen, finde ich in hohem Maße unverschämt. Wer sich dafür interessiert, wie es zu den Reaktionen und der Wut vieler Sachsen kommt, dem empfehle ich das Buch von Petra Köpping „Integriert doch erstmal uns!“. Es ist ein Ansatz zu dem, was hier viele umtreibt, von dem Frau Annalena Schmidt und Herr Schilling wissen könnten, wenn sie richtig zuhören würden und nicht von oben herab kluge Ratschläge verteilen würden.
Genau das Podium, auf dem sich Populisten wohlfühlen
Elke Lorenz, Wuischke: Ich schäme mich dafür, dass Hunderte Bautzener Bürger in hämisches Johlen ausbrechen, wenn man ihnen das Grundgesetz vorliest. Zu Recht fordern wir, dass Flüchtlinge, die zu uns kommen, eben dieses Grundgesetz achten. Für manche Bautzener scheint das nicht so wichtig zu sein.
Ich schäme mich dafür, dass eine junge Frau, deren Ansichten und manchmal wenig differenzierenden Aussagen ich nicht immer teile – auch sie selbst relativiert ja inzwischen wohl einiges – verletzt und beleidigt wird. Es gipfelt in der wieder von Hunderten bejubelten Aufforderung an sie, die Stadt zu verlassen, denn, so meinen sie: Sie sind Deutschland. Wie weit entfernt sind wir noch davon, dass diese Leute auch andere auffordern werden, zu gehen, wenn die sich ihnen nicht anpassen wollen? Unsere Kinder zum Beispiel, wenn sie tatsächlich zurückkommen wollen aus der weiten, offenen Welt.
Nicht Annalena Schmidt hat Bautzen zum Ort mit einer inzwischen deutschlandweit bekannten rechten Szene gemacht – das waren Bürger der Stadt und der Umgebung selbst. Die Veranstaltung wird wohl diesen Ruf Bautzens eher noch verstärkt haben.
Ein Wort noch an Herrn Drews. Von jemandem, der sich als Stadtrat zur Wahl stellen will, hätte ich in der anfangs bedrohlich aufgeheizten Stimmung erwartet, dass er im Sinne des Mottos der Veranstaltung seine Anhänger zur Mäßigung und zu demokratischem Verhalten auffordert. Das hat er nicht getan. Wenn dies der Stil sein sollte, der künftig den Stadtrat beherrscht, wird mir Angst um die Zukunft von Bautzen. Wie findet Bautzen wieder heraus aus dieser Spirale von Hass und Häme? Ob so große Gesprächsformate wie diese dafür geeignet sind, bezweifle ich. Sie sind genau das Podium, auf dem sich vor allem Populisten wohlfühlen und gegenseitig antreiben. Es war kaum Platz für Argumente, ein „Gespräch“ kam nie zustande, weil die um Sachlichkeit bemühten Redner zu tun hatten, die Situation nicht eskalieren zu lassen und den Johlern wenigstens ihre andere Haltung entgegensetzen wollten. Fragen an Herrn Drews gab es nicht, warum eigentlich?
Hat man Angst vor der Meinung der Bautzener Bürger?
Christine Seemann, Bautzen: Der Beitrag von Herrn Schilling in der SZ vom 12.2. ist eigentlich gut geschrieben. Was mir aber daran sauer aufstößt ist, dass Bürger, die frei heraus ihre Gedanken und Meinungen in dem Forum geäußert haben, gerügt werden. Ist es nicht so, dass man bei einer Meinung, die gefällt, klatscht oder anders herum mit Missfallensrufe sich äußert. Des Weiteren schlagen sie vor, eine weitere Diskussionsrunde zu veranstalten und die Öffentlichkeit außen vor zu lassen. Warum das? Hat man Angst vor der öffentlichen Meinung der Bautzener Bürger? Ich liebe meine Stadt. Bin hier aufgewachsen und alt geworden. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wenn sie von einer Person in den Schmutz gezogen wird.
Erschreckende und beschämende Verhaltensweisen
Roland Fleischer, Bautzen: Dieser Abend spiegelte das wider, was in dieser Stadt seit Jahren teils offen, teils verdeckt vorherrscht und in dieser Kirche jetzt offen ausgebrochen ist.
Man hört nicht zu, es wird gegrölt, persönliche Angriffe gehören zur Tagesordnung, der Wille zum Konsens fehlt!
Es war erschreckend und zugleich beschämend , solch Verhaltensweise erleben zu müssen. Der Dank gilt jenen, die versucht haben, die Veranstaltung zu versachlichen. Das war der kleinere Teil. Gelungen ist es nicht. Die anwesende Presse fand sich in ihrer Berichterstattung der letzten Jahre bestätigt. Leider!
Jesus Christus hätte einen großen Teil aus der Kirche verbannt. Das Format der Veranstaltung wurde übrigens vielfach diskutiert. Hellseherische Fähigkeiten wie von Herrn Schilling helfen da nicht weiter. Wer übrigens unterstellt, die Diskrepanz in der Bautzener Gesellschaft gäbe es erst, seit OB Ahrens diese Stadt führt, ist entweder naiv oder ignorant. Diese persönlichen Angriffe sind bei diesem ernsten Thema deplatziert.
Fakt ist, seit er OB ist, treten sie offen zutage, da er den Finger in die Wunde legt.
Festzustellen ist, bildungspolitisch ist noch viel zu tun. Solche Veranstaltungen und auch kleinere Formate können dabei helfen.
So wird der Riss zwischen Volk und Politik noch größer
Falk Habenicht, Dresden: Ich lese aus den Äußerungen von Herrn Schilling heraus: Ich (Schilling) stehe selbstverständlich auf der richtigen Seite und habe Recht, die vermeintlich andere Seite hat Unrecht und muss im Dialog von der vermeintlich falschen Meinung überzeugt werden. Was ist aber richtig und falsch? Das können wir nicht wissen, wir versuchen es nur. Ob etwas richtig oder falsch ist, entscheidet die Geschichte, d. h. die zweite oder dritte Generation nach uns! Es fehlt Herrn Schilling jegliches Gespür für die Menschen, „mit Ausbuhen, Schmährufen und höhnischem Gelächter“ wird die Stimmung in der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht, darauf sollte man als Politiker eigentlich achten und ein offenes Ohr haben.
Ein „konstruktiver Dialog“ entsteht offenbar nur, wenn man in die gleiche Richtung schaut. Schaut man nach rechts oder links oder gar nach hinten ist man wahlweise Reichsbürger, Nazi, Pegida-Sympathisant oder Rassist. Beim größten Arbeitgeber der Region kann man eben nicht einfach mit der Nazi-Keule draufschlagen, da muss man als Politiker feinfühliger sein oder das Thema eben ausblenden. Es kann nicht sein, was nicht sein darf, das heißt: Herr Drews schaut in die falsche Richtung, nein das gibt es nicht. In welcher Wolke Herr Schilling lebt, kommt gut am Ende des Artikels zum Ausdruck: Fortsetzung des Dialogs „ohne Öffentlichkeit“ und keine „Großveranstaltungen mit mehreren Hundert Personen und Dutzenden Reportern“, denn für was brauche ich (Schilling) denn das Volk und deren (falsche) Meinung! Diese Grundeinstellung vergrößert den Riss in der Gesellschaft zwischen Volk und Politik nur noch. Denn keine Herrschaft ohne Volk und kein Volk ohne Herrschaft!
Weitere Beiträge zum Thema:
Miteinander streiten – aber wie?
„Beschämend, wie sich ein großer Teil des Publikums verhielt“
Schreiben Sie uns
Die Sächsische Zeitung begleitet die Debatte zu dem Bürgerforum in der Maria-und-Martha-Kirche.
Die Gesprächsrunde unter dem Motto „Bautzen - wir müssen reden! Zurück zur Sachlichkeit“ hat bereits zahlreiche Reaktionen ausgelöst.