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„Behörden nutzen das Bettelverbot als Werkzeug“

Das Ordnungsamt verteilt Platzverweise gegen die Familien. Jetzt soll eine neue Ansprechpartnerin helfen.

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© René Meinig

Von Julia Vollmer

Wie ist die Situation?
Seit Februar gilt in Dresden ein Bettelverbot für Kinder unter 14 Jahren. Insgesamt wurden bisher 15 bettelnde Kinder festgestellt und in acht Fällen Platzverweise gegen die angetroffenen Eltern ausgesprochen.

Kommt der Platzverweis nicht einem Bettelverbot gleich?
De facto ja, denn nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen werden des Platzes verwiesen. „Es tritt das ein, was wir Linke erwartet haben. Die Ordnungsbehörden nutzen das Bettelverbot als Werkzeug, um gegen sichtbare Armut insgesamt vorzugehen“, so Linken-Stadtrat Tilo Kießling auf Anfrage. Auch Grünen-Stadträtin Tina Siebeneicher fordert: „Beim Platzverweis allein darf es nicht bleiben. Mittellose Kinder dürfen nicht in die Unsichtbarkeit verdrängt werden, sondern müssen Unterstützung erhalten.“

Was tun die freien Träger?
Die Treberhilfe hat nun zusammen mit dem Verein Romano Sumnal eine Mitarbeiterin eingestellt, die sich um die Familien kümmern soll. Renata Horvathova kommt selbst aus der Slowakei und ist eine Roma. Sie spricht neben Slowakisch auch Romanes, Deutsch, Polnisch und Russisch. Seit zehn Jahren lebt sie in Dresden.

Was sind ihre Aufgaben?
Die Frau soll überhaupt erst mal Kontakte zu den Familien und den Kindern herstellen. Bisher scheiterten die Behörden und die Polizei vor allem an der Sprachbarriere. Viele der Menschen, die beim Betteln erwischt wurden, öffneten sich den Ämtern aus Angst vor Repressalien überhaupt nicht. Renata Horvathova begleitet sie zu den Ämtern, besorgt ihnen, wenn möglich, Job und Wohnung.

Warum kommen die Familien nach Deutschland bzw. nach Dresden?
„Sie kommen, weil es in der Slowakei nichts gibt, keine Arbeit, keine Wohnungen“, sagt Renata Horvathova. Viele der Roma werden in ihrem Heimatland diskriminiert. „In vielen Stellenanzeigen steht extra: Wir stellen keine Roma ein.“ Auch die Beleidigung Zigeuner würden die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Slowakei hören. Das, was sie in Deutschland beim Betteln verdienen, sei trotzdem viel mehr als in ihrer Heimat. Wer keinen Job hat, bekommt eine Grundsicherung. „Das sind 60 Euro im Monat, 20 Euro beträgt das Kindergeld“, so Horvathova. Das Bettelverbot in Dresden würde die Familien nur aus dem Zentrum vertreiben, die Probleme seien trotzdem da.

Gibt es in anderen Städten Verbote?
Dresden folgt mit dem Verbot anderen Städten wie Essen und Berlin. In Essen ist das Kinder-Betteln seit 1980 verboten. Die Stadtverwaltung wertet es als Erfolg. Das Phänomen habe sich „stark rückläufig“ entwickelt. In Hamburg und München wird über ein generelles Bettelverbot in zentralen Bereichen diskutiert. In Wien ist das Kinder-Betteln seit 2008 verboten, erzählt Filmemacherin Ulli Gladik. 700 Euro Strafe oder eine Woche Haft drohen beim Verstoß. Sie habe mit dem Verbot keine guten Erfahrungen gemacht. Die Eltern würden dann ohne die Kleinen auf der Straße sitzen, die Kinder müssen in den schlechten Unterkünften unbeaufsichtigt zurückbleiben – acht Stunden und länger, täglich.

Was würde den Familien helfen?
Gjulner Sejdi, Vorsitzender des sächsischen Roma-Verbandes, verweist auf das Berliner Modell. Dort mieten freie Träger zentrale Wohnungen für die Familien aus Osteuropa an, dort können sich die Familien anmelden. Denn ohne Meldeadresse gibt es keine Schulpflicht, keine Chance auf Arbeit oder auf Sozialleistungen.

Wer bettelt da eigentlich?
Betteln ist kein Roma-Phänomen, sondern eines der Armut, stellt Ulli Gladik klar. Es sind in Dresden auch viele Menschen aus Bulgarien und Ungarn dabei. In der Stadt sind laut Verwaltung vor allem Familien aus der Slowakei unterwegs. Rund 40 Menschen zählen die Behörden.