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Behördenstreit um Abriss der Lederfabrik

Die Entscheidung um die Zukunft des Freitaler Gebäudes verzögert sich weiter – weil sich die Denkmalschützer uneins sind.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Tobias Winzer

Freital. Kann die ehemalige Lederfabrik in der Mitte Freitals abgerissen werden – ja oder nein? Die Beantwortung dieser Frage, die eigentlich für Ende April/Anfang Mai angekündigt war, wird noch längere Zeit brauchen. Wie das zuständige Landratsamt in Pirna am Freitag mitteilte, habe sich die eigene Denkmalschutzbehörde nicht mit dem Landesamt für Denkmalpflege auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Deswegen wird die Entscheidung nun an die nächsthöhere Behörde, an die Landesdirektion, weitergereicht.

Die Stadt Freital hatte im vergangenen November einen Antrag auf denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung gestellt und im Februar noch einmal Unterlagen nachgereicht. Die Entscheidung sollte die Denkmalbehörde des Landkreises gemeinsam mit dem Landesamt für Denkmalpflege treffen, weil es sich bei der Lederfabrik um ein Denkmal handelt. Vorgeschrieben ist in einem solchen Verfahren, dass sich beide Behörden auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen. Das ist bei der Lederfabrik nun nicht gelungen. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Erhalt des Gebäudes für die Stadt Freital als Eigentümer zumutbar wäre.

Wie das Landratsamt mitteilt, bestehe in zwei Punkten Einigkeit zwischen den beiden Denkmalbehörden. „Landratsamt und Landesamt sind sich einig über die besondere ortsentwicklungsgeschichtliche Bedeutung sowie den städtebaulichen Wert der Lederfabrik für Freital“, sagt der zuständige Beigeordnete im Landratsamt, Heiko Weigel. „Sie vertreten auch übereinstimmend die Auffassung, dass aufgrund schwerwiegender Schäden das Gebäude nicht in Gänze, sondern nur in seinen Außenwänden erhalten werden kann.“

Deutliche Signale aus dem Rathaus

Die Geschichte der Lederfabrik

1893: Die von den Brüdern Karl Oswald Sohre und Heinrich Reinhold Sohre gegründete Lederfabrik nimmt die Produktion auf. In der Nähe gibt es bereits seit 1842 eine Samtfabrik

1922: In Ostritz bei Görlitz hatte der Unternehmer Heinrich Berger eine Gerberei gegründet. Sohre und Berger schließen sich im Jahr 1922 zur „Lederfabrik Heinrich Berger & Co.“ zusammen. Das vergrößerte Unternehmen stellt in beiden Werken unter anderem Lederwaren für Züge her. Für den Zweiten Weltkrieg werden in der Fabrik auch Pistolentaschen und Luftwaffenausrüstung produziert.

1946: Das Werk blieb im Krieg unbeschädigt, sodass die Produktion nach dem Einmarsch der Roten Armee wieder aufgenommen werden kann. Mit dem Volksentscheid in Sachsen am 30. Juni 1946 wird das Unternehmen enteignet. Die beiden Werke werden 1950 in den VEB Lederwerk „Friedensgrenze“ Ostritz und den VEB Freitaler Lederfabrik getrennt.

1946: Die Lederfabrik wird in der DDR-Zeit Teil des Kombinates Lederwaren Schwerin, als Werk VII. Modernisierungen bleiben aus. Eine Kläranlage für die chromhaltigen Abwässer gibt es nicht. Zum Teil wird 1990 noch mit Maschinen aus der Zeit der Betriebsgründung gearbeitet. Zuletzt stellt man in der Fabrik Leder für Taschen, zum Beispiel für Schulranzen, her.

1991: Nach der Wende und Wiedervereinigung geht die Lederfabrik an die Treuhandanstalt, die die Produktion im Oktober 1991 einstellen lässt. Die Maschinen sind für die Verarbeitung von Schweinshäuten ausgelegt, nicht für Rindshäute. Für das minderwertigere Schweinsleder gibt es aber nach 1990 keinen Markt mehr. Eigentümer des Gebäudes wird die Nachfolgefirma des Kombinats, Lekom. Später übernimmt es die Treuhand-Liegenschafts-Gesellschaft.

1998: Die Einrichtung eines riesigen Factory-Outlet-Centers in der Lederfabrik diskutiert. Das Dresdner Unternehmen D.I.G. verhandelt nach eigener Aussage bereits mit zwei namhaften, professionellen Betreibergesellschaften und will zwölf Millionen Mark in die Industriebrache stecken, acht bis zehn Millionen könnten als Fördermittel von der EU fließen, heißt es. Das Projekt scheitert jedoch, so wie viele andere Ideen zur Nutzung des Hauses.

2013: Ende 2013 beschließt der Freitaler Stadtrat den Kauf der Lederfabrik – für 700000 Euro. Ein Großteil davon sind Fördermittel. In dem Gebäude soll eine Art Denkfabrik für junge Unternehmen entstehen.

2017: Der Freitaler Stadtrat beschließt den Abriss der Lederfabrik - es sei denn, der Freistaat kauft das Gebäude und richtet darin einen Behördenstandort ein. Das lehnt der Freistaat jedoch ab.

Ende 2017: Die Stadt stellt beim Landratsamt einen Antrag auf denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung.

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Streitpunkt ist nun aber die Frage, ob dieser teilweise Erhalt der Lederfabrik für die Stadt finanziell zu stemmen wäre. Das Landratsamt beurteile die wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Eigentümer negativ, so Weigel. „Die Erhaltung der Außenwände ist technisch möglich, allerdings mit erheblichem Herstellungs- und Sicherungsaufwand verbunden.“ Diesen Aufwand dem Eigentümer auf unbestimmte Zeit und ohne konkrete Investitionsaussicht aufzugeben, sei wirtschaftlich nicht zumutbar.

Das Landratsamt hat dabei wohl folgendes Problem im Kopf: Zwar ist es technisch möglich, dass beispielsweise nur die Fassade der Lederfabrik erhalten bleibt und der Rest des Gebäudes dahinter abgerissen wird. Allerdings müsste die Außenwand dann mit riesigen Stützen vor dem Umfallen gesichert werden. Solange unklar ist, wie es dann weitergeht, drohen der Stadt hohe jährliche Kosten.

Im Landesamt für Denkmalpflege sieht man das anders. Was genau die Behörde zu ihrer Einschätzung bewog, ist noch unklar. Eine entsprechende Anfrage wird erst am Montag beantwortet. Ebenfalls noch offen ist, wann nun mit einer Entscheidung zur Zukunft der Lederfabrik zu rechnen ist. Nach Angaben der Landesdirektion handele es sich um ein sehr komplexes Verfahren. „Derzeit ist keine seriöse Aussage möglich, wann die Landesdirektion Sachsen in der Sache entscheiden wird“, so ein Sprecher der Behörde.

Fest steht hingegen, was die Stadt mit der ehemaligen Lederfabrik vorhat. Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) hat immer wieder betont, dass er das Gebäude so schnell wie möglich abreißen lassen will. Er verweist in dem Zusammenhang auf umfangreiche Untersuchungen der Ruine im Jahr 2016 und 2017. Diese ergaben hohe Sanierungskosten im Vergleich zu einem deutlich günstigeren Abriss. Außerdem stecken in dem Gebäude Schadstoffe. Laut Rumberg könnten diese bei einer Nutzung des Hauses später zum Gesundheitsrisiko werden.

Wie die Rathausspitze am Freitag sagte, teile man die Auffassung der Denkmalschutzbehörde des Landratsamtes. „Wir sind fest entschlossen, den Stadtratsbeschluss für einen Abbruch des Gebäudes umzusetzen, solange sich keine konkret machbare und wirtschaftlich darstellbare Option findet“, so Oberbürgermeister Rumberg. Dies könne der Erwerb des Gebäudes seitens des Freistaates Sachsens und die Ansiedlung einer Landesbehörde sein, was sehr zu begrüßen wäre. „Wir hoffen auf eine sachgerechte und zeitnahe Entscheidung der Landesdirektion.“

Die bevorzugte Variante Rumbergs ist die, dass der Freistaat auf dem dann beräumten Lederfabrik-Grundstück das versprochene Haus der Bildung, ein Behördenstandort, errichtet. Wenn das nicht klappt, könnte man die Fläche für einen privaten Investor ausschreiben.