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Beim Christbaum steht die Technik Pate

Kerzen, Kugeln, Ständer – ein Freiberger Maschinenbau-Professor erklärt, wie viel Mechanik im Weihnachtsfest steckt.

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Von Matthias Kröger

Alle Jahre wieder … steht an der Uni die letzte Vorlesung vor Weihnachten an. Eine besondere Herausforderung, erwarten doch die Studenten kurz vor Heiligabend keine Alltagskost, sondern eine Präsentation, die dem Fest gerecht wird.

Kugeln hängen durch Kraft oder spezielle Form.
Kugeln hängen durch Kraft oder spezielle Form. © ronaldbonss.com
Mitunter braucht Matthias Kröger zur Erklärung die Hände. Vor Heiligabend reichen Praxisbeispiele.
Mitunter braucht Matthias Kröger zur Erklärung die Hände. Vor Heiligabend reichen Praxisbeispiele. © D,Mueller

Aber wie kommen Santa Claus und Technik zusammen, Konstruktionslehre und Christbaum, Maschinenelemente und Lichterglanz? Dabei liegt die Lösung näher, als man meint: Fast alle, Studenten inbegriffen, machen zu Weihnachten ähnliche Erfahrungen: Der Christbaum braucht für seinen glänzenden Auftritt einen stabilen Ständer, Kerzen, Kugeln und anderen Schmuck.

Schon beim Aufstellen sind „elementare Verbindungen“ im Einsatz – wenn auch manchmal verklemmt, wie bei älteren Ständern mit drei Schrauben. Viele Großeltern können Geschichten erzählen: Nach Weihnachten, der Baumstiel ist ausgetrocknet und geschrumpft, reicht ein Windzug und der Weihnachtsbaum liegt am Boden samt zerborstenen Kugeln.

Der Baum kopfüber unter der Decke

Moderne Konstruktionen beheben das Problem durch Wasserspeicher und eine Klemmvorrichtung mittels Drahtseil. Sie sorgt für schnelle Montage und gleichmäßiges Anpressen an allen Klemmen. Außerdem kompensiert das dehnbare Seil das Schrumpfen von Stamm und Anpresskraft. Aber auch mit besserer Verbindung sind dem Christbaumständer Grenzen gesetzt. Obwohl heutige Modelle breite Aufstandsflächen besitzen, wird es gefährlich, wenn Kleinkinder, Hunde oder Katzen an den weit auskragenden Ästen ziehen.

In Franken und Niederösterreich wurden die Tannenbäume früher, zumeist kopfüber, unter die Decke gehängt. In alten Fachwerkhäusern sind die entsprechenden Haken noch in der Decke zu finden. Wurde am Baum gezogen, fing dieser nur leicht an zu schaukeln und ging wieder in seine stabile Ausgangsstellung zurück statt umzufallen.

Besonders schön, aber leider in Vergessenheit geraten, sind Christbaumständer, die wie eine Spieluhr aufgezogen werden und Tanne, Fichte oder Kiefer dann langsam in Drehung versetzen. Solche Ständer waren um 1900 sehr beliebt. Premiumexemplare konnten dazu das ein oder andere Weihnachtslied mechanisch abspielen – zu bewundern im Deutschen Museum in München. Während es für den Audio-Genuss derweil bessere Lösungen gibt, ist es bei den meist allseits schön gewachsenen und geschmückten Bäumen doch schade, dass sich ihre modernen Halter nicht mehr drehen, zumal batteriebetriebene LED-Kerzen dies zulassen würden.

Auch das Befestigen von Kerzen, Kugeln und Engeln geht nicht ohne Verbindungselemente: Die meisten Engel werden per Faden direkt an den Ast gehängt. Der Konstrukteur spricht von „formschlüssiger Verbindung“. Das Aufhängen ist jedoch etwas mühselig, und besonders das Abschmücken gestaltet sich schwierig, wenn der Faden verknotet und zwischen den Tannennadeln verhakt ist.

Mit Kraft oder Form schlüssig

Weit angenehmer beim Schmücken beziehungsweise bei Montage und Demontage der Weihnachtskugeln, sind sogenannte kraftschlüssige Verbindungen. Kleine unscheinbare Teile, die mit zwei Fingern zusammengedrückt und direkt an den Ast geklemmt werden. Zum Abnehmen müssen diese einfach nur noch nach unten gezogen werden.

Noch einleuchtender wird jener Kraftschluss bei der Beleuchtung. Sowohl die Halterung echter als auch elektrischer Kerzen wird zumeist an den Ast geklemmt. Eine Feder bringt die Klemmkraft auf, und die Reibkraft verhindert ein Verrutschen oder Verdrehen. Auch formschlüssige Kerzenhalter lassen sich nach einigem Suchen finden: Sie bestehen aus S-förmigem Draht, an dessen Ende der Kerzenhalter mit Teller angebracht ist und am anderen Ende eine Kugel nach unten hängend für das Gegengewicht sorgt. Meist schön vergoldet werden diese einfach mit dem S-Bogen über den Ast gehängt und sind ein echter Hingucker. Allerdings kann die Kerze bei Fremdeinwirkung stark schaukeln.

Aber auch die für das Erzgebirge typischen Pyramiden bieten Angriffsfläche für den geneigten Maschinenbauprofessor: Die von Kerzen erwärmte, aufsteigende Luft sorgt für die Drehbewegung – die besonders reibmomentarme Lagerung eines Spitzenlagers vorausgesetzt. Sollte es dennoch Probleme geben und die Pyramide stehen bleiben, fehlt vielleicht ein Tropfen Öl in der Keramikschale, um die Reibung zu reduzieren. Oder die Spitze ist stumpf geworden, sodass die Reibkräfte über den entstandenen, wenn auch kleinen, Hebelarm zu einem Bremsmoment führen.

Neugier schafft Lösungen

Die alljährliche Montage der Pyramide hat aber noch andere Konstruktionstricks in petto: Jeder einzelne Flügel wird über eine aus Holz bestehende Kegelpressverbindung am Rotor befestigt. Diese Lösung wird nicht viel anders in vielen Maschinen eingesetzt – zum Beispiel als Morsekegel in Ständerbohrmaschinen.

Mit all diesen Beispielen gelingt es, die Erfahrung der Studenten beim Weihnachtsbaumschmücken direkt in den Lehrstoff der Maschinenelemente einzubinden und sie in der Vorlesung zu fesseln. In den ersten Semestern dienen neben dem Weihnachtsbaumschmuck auch Autos, Fahrräder und Haushaltsgeräte wie Mixer, Staubsauger oder Waschmaschine als Beispiele, um Konstruktionsprinzipien zu veranschaulichen. Der große Vorteil: Den Studenten müssen die Anforderungen nicht erst lang erklärt werden. Der Fokus kann schnell auf technische und konstruktive Lösungen gelegt werden.

Hierzu beginnt 2017 ein Projekt zur Verbesserung der Lehre durch Praxisbeispiele an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Ist die Neugierde erst geweckt, gibt es in unserer von Technik geprägten Welt überall die Möglichkeit, neue Konstruktionsideen zu entdecken oder bestehende Lösungen zu verbessern.

Unser Autor ist Professor für Maschinenelemente und Studiendekan Maschinenbau an der TU Bergakademie Freiberg. Die Fotos vom rotierenden Ständer und den Kugeln entstanden im Museum für Sächsische Volkskunst in Dresden. Die Weihnachtsausstellung läuft bis zum 29. Januar.