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Belarus: Blogger legt im TV "Geständnis" ab

Der inhaftierte Roman Protassewitsch lobt im Staatsfernsehen Machthaber Lukaschenko - wohl unter Zwang. Die Bundesregierung findet klare Worte.

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Nach der Videobotschaft wurde nun ein Fernsehinterview mit Roman Protassewitsch ausgestrahlt. Offensichtlich unter Zwang.
Nach der Videobotschaft wurde nun ein Fernsehinterview mit Roman Protassewitsch ausgestrahlt. Offensichtlich unter Zwang. © ONT channel/AP/dpa

Die Bundesregierung hat die erneute Vorführung des inhaftierten belarussischen Bloggers Roman Protassewitsch zu einem offenkundig erzwungenen Geständnis vor laufender Kamera "auf das Schärfste" verurteilt. "Da wird ein unliebsamer oppositioneller Journalist nach einer wohl unter falschen Vorwänden zustande gekommenen Zwangslandung zusammen mit seiner Lebensgefährtin aus einem Flugzeug verschleppt, wird hinter Gitter gebracht und wird dort so weit psychisch und möglicherweise auch physisch bearbeitet, dass er dieses vollkommen unwürdige und unglaubwürdige Geständnis-Interview gibt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin.

"Das ist eine Schande für den Sender, der es ausstrahlt und für die belarussische Führung, die nochmal ihre ganze Demokratieverachtung und, eigentlich muss man auch sagen, Menschenverachtung zeigt", sagte Seibert. Die Gedanken der Bundesregierung seien bei Protassewitsch und allen anderen Bürgern von Belarus, die für ihre Überzeugung und einen friedlichen Kampf um Bürgerrechte unmenschlich behandelt würden.

Tief eingeschnittene Handgelenke

Nach seiner Verhaftung infolge einer erzwungenen Landung hatte der belarussische Regierungskritiker Roman Protassewitsch im Staatsfernsehen ein langes "Geständnis" abgelegt. Der Sender ONT strahlte ein anderthalbstündiges Interview aus, in dem der 26 Jahre alte Blogger davon sprach, Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko organisiert zu haben. Zudem äußerte er auch noch Bewunderung für Lukaschenko. Die Opposition vermutet, dass Protassewitsch zu dem Auftritt genötigt wurde. Seine Mutter bezeichnete das Interview am Freitag als Ergebnis von Folter.

"Ich kann mir nicht einmal vorstellen, welchen Foltermethoden - sowohl psychischen als auch physischen - mein Sohn momentan ausgesetzt ist", sagte Natalia Protassewitsch der Deutschen Presse-Agentur. Die 46-Jährige verwies auf dunkle Stellen, die an seinen Handgelenken zu sehen waren. "Schauen Sie einfach, was für tief eingeschnittene Handgelenke er hat, was für Entzündungen da zu sehen sind." Die langen Ärmel seines Hemdes könnten weitere Misshandlungsspuren verdecken.

Tichanowskaja: "Das sind Worte einer Geisel"

Mit teils zitternder Stimme erhob der Blogger in dem Interview, das am Donnerstagabend ausgestrahlt wurde, auch Anschuldigungen gegen andere Regierungskritiker. Am Ende weinte der Mitbegründer des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta (Nechta). Ein Berater von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja sagte dazu: "Das sind Worte einer Geisel." Der Menschenrechtler Ales Beljazki sprach von "reiner Propaganda".

Protassewitsch war vor knapp zwei Wochen in Minsk an Bord eines Ryanair-Passagierflugzeugs festgenommen worden, das Machthaber Lukaschenko vom Kurs abbringen und dann zur Landung zwingen ließ. Ebenso wie seine russische Freundin Sofia Sapega sitzt er seitdem in Haft. Vergangene Woche war er schon einmal im Staatsfernsehen vorgeführt worden. Der Vorfall hat den Konflikt zwischen der ehemaligen Sowjetrepublik und dem Westen verschärft. Die EU und die USA verhängten seither neue Sanktionen gegen Belarus.

Anwältin darf Protassewitsch nicht sehen

Protassewitschs Mutter forderte, unabhängige Ärzte zu ihrem Sohn zu lassen. "Die sollten auch Blutanalysen machen, was man ihm spritzt." Bislang seien alle Anträge aber abgelehnt worden. Auch die Anwältin des Bloggers sei diese Woche nicht vorgelassen worden. Die Mutter zeigte sich überzeugt, dass der Machtapparat Druck auf Familie, Freunde und Mitstreiter ausüben wolle. Zu dem Interview sagte sie, Lukaschenkos Apparat ziele auf die schmerzhaftesten Stellen. "Eine größere Qual kann man als Mutter vermutlich nicht erleiden."

Protassewitschs Eltern hatten zuvor schon die Vermutung geäußert, dass ihr Sohn im Gefängnis misshandelt und zu Aussagen gezwungen werde. Die belarussische Justiz wirft dem Blogger vor, im vergangenen Jahr zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen zu haben. Nach der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl vom 9. August waren teils Hunderttausende gegen den immer wieder als "letzten Diktator Europas" kritisierten Lukaschenko auf die Straße gegangen. Inzwischen gibt es kaum noch Proteste. (dpa)