Von Roland Siegloff, Brüssel
Auf den ersten Blick bleibt nach der belgischen Parlamentswahl alles beim Alten. Auch der nächste Premierminister dürfte wieder Guy Verhofstadt heißen. Seine Liberalen können weiter gemeinsam mit den erstarkten Sozialisten regieren. Ihre Koalition kommt künftig ohne die Grünen aus, die manchmal unbequeme Forderungen stellten und nun fast in die Bedeutungslosigkeit absackten – stabile Verhältnisse also im Mehrsprachenland Belgien.
Doch das Wahlergebnis offenbart zugleich einen tiefgreifenden Wandel in der belgischen Gesellschaft. Vier Jahrzehnte lang hatten die Christdemokraten die politische Szene im katholischen Belgien beherrscht, bis Verhofstadts so genannte Regenbogenkoalition sie 1999 aus der Regierung drängte. Doch erst an diesem Sonntag atmete der liberale Premier auf: „Die Christdemokraten sind definitiv entthront“, stellte Verhofstadt fest.
Die beiden Parteien in christdemokratischer Tradition – der CD&V im nördlichen Teilstaat Flandern wie die cdH in der südbelgischen Wallonie – sind hinter Liberalen und Sozialisten auf Platz drei abgerutscht. Die Wähler wenden sich von den Würdenträgern alten Schlages ab.
Denn Belgien hat sich verändert. Zwar gibt es die provinzielle Gemütlichkeit noch, aber zugleich hat sich Belgien zum weltoffenen Land entwickelt. Nie zuvor standen bei belgischen Parlamentswahlen so viele eingebürgerte Einwanderer auf aussichtsreichen Listenplätzen wie in diesem Jahr.
Antwerpen, die zweitgrößte Stadt des Landes, präsentiert sich einerseits mit Stolz als traditionsreiche Handelsstadt. Andererseits ist die Seehafen-Metropole zum Modezentrum mit internationalem Ruf und einer lebendigen Kultur und Subkultur geworden. Doch auch jene, bei denen diese Offenheit dumpfe Ängste weckt, haben sich in Antwerpen früh zu Wort gemeldet: Die Stadt ist Hochburg des rechtsextremen und offen fremdenfeindlichen Vlaams Blok.
Die Rechtsextremen haben erneut Stimmen gewinnen können. Im niederländischsprachigen Flandern hat der separatistische Vlaams Blok sein Ergebnis zum zehnten Mal in Folge verbessert. Auch in der Wallonie legte die extreme Rechte zu: Der Front National übersprang ohne große Werbung und ohne bekanntes Führungspersonal die für Belgien neue Fünf-Prozent-Hürde.
Doch mit beliebten Kandidaten legten die Sozialisten in Flandern stärker zu. Ihr Vorsitzender Steve Stevaert, ein früherer Kneipenwirt, führte seine Partei auf Platz 2. Als Bürgermeister von Hasselt hatte er einst die Preise für Bus und Straßenbahn auf Null gesenkt. Von der künftigen Regierung verlangt Stevaert, sich um die Sorgen der Bürger – Arbeitslosigkeit, Sicherheit, soziale Sicherung – zu kümmern. (dpa)