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Benedikt XVI. besucht kranken Bruder

Der emeritierte Papst ist zu einem völlig überraschenden Besuch bei seinem Bruder in Regensburg eingetroffen. Es könnte ihr letztes Treffen sein.

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Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l) und sein Bruder Georg Ratzinger im Jahre 2017.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l) und sein Bruder Georg Ratzinger im Jahre 2017. © dpa

Von Britta Schultejans, Annette Reuther und Ute Wessels

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist zurückgekehrt in die Stadt, in der er eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens verbracht hat - wo ihm jetzt aber schwere Stunden bevorstehen könnten. Der 93-jährige Joseph Ratzinger reist am Donnerstag völlig überraschend nach Regensburg ans Krankenbett seines drei Jahre älteren Bruders Georg.

Dessen Gesundheitszustand hat sich wohl so rapide verschlechtert, dass der Papst schnell beschloss, in seine alte Heimat zurückzukehren. "Das war eine kurzfristige Entscheidung", sagt der Pressesprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck, der Deutschen Presse-Agentur. Es sei "ein Herzensanliegen" der beiden Brüder gewesen, sich noch einmal zu treffen. "Es ist möglicherweise das letzte Mal, dass sie sich noch einmal sehen können - zumindest auf dieser Welt."

Um 11.45 sei der Flieger mit Benedikt an Bord auf dem Münchner Flughafen gelandet. "Gegen 14 Uhr war er dann bei seinem Bruder", sagt Neck. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer habe ihn "herzlich willkommen" geheißen und ihn auf der Weiterfahrt nach Regensburg begleitet, wo der Papst emeritus nun im Priesterseminar des Bistums Regensburg wohnt. Ein Auto mit vermummten Personenschützern und zwei Polizeibusse stehen am Donnerstagnachmittag davor.

Die Brüder 2004 in Regensburg beim 80. Geburtstag von Georg Ratzinger (l).
Die Brüder 2004 in Regensburg beim 80. Geburtstag von Georg Ratzinger (l). © dpa

Die Wohnung seines Bruders befindet sich in unmittelbarer Nähe des Seminars. Der emeritierte Papst habe gestrahlt, als er nach dem etwa 20- bis 30-minütigen Besuch aus dem Haus seines Bruders gekommen sei, sagt Bistumssprecher Neck. Er gehe davon aus, dass er ihn am Abend noch einmal besuchen werde. Wie lange Benedikt in Regensburg bleibt, hänge vom Gesundheitszustand seines Bruder ab.

Joseph Ratzinger und sein Bruder Georg, der viele Jahre lang Domkapellmeister am Regensburger Dom und damit Chef der Regensburger Domspatzen war, stehen sich nicht nur nah. "Georg und Joseph sind unzertrennlich", schreibt der Autor Peter Seewald in seiner jüngst erschienenen Biografie "Benedikt XVI. - Ein Leben". "Wir gehörten halt einfach zusammen", zitiert der Autor und Ratzinger-Vertraute Seewald den jüngeren Ratzinger-Bruder darin.

Die Beiden ähneln sich nicht nur durch das schlohweiße Haar und den gebückten Gang: Beide wurden am 29. Juni 1951 im Freisinger Dom von Kardinal Michael Faulhaber zu Priestern geweiht. Im Traunsteiner Knabenseminar, das sie zuvor besucht hatten, hieß Joseph mit Spitznamen "Bücherratz", Georg war der "Orgelratz".

Als eine der glücklichsten Zeiten in seinem Leben bewertet Joseph Ratzingers Biograf und Vertrauter Seewald die Zeit zwischen 1969 und 1977, als er dort Professor für Dogmatik war: "Regensburg war bayerisch. Regensburg war Heimat. Joseph würde in Ruhe an seinem theologischen Werk arbeiten können. Er würde für sich und seine Schwester ein Haus bauen. Die Familie war wieder zusammen und Georg hätte nach den fünf schweren Jahren als musikalischer Leiter der Domspatzen endlich Unterstützung zur Seite."

Als Georg am 19. April 2005 vor dem Fernseher saß und hörte, wie nach dem "Habemus Papam" der Name "Joseph Ratzinger" über den Petersplatz schallte, soll er kreidebleich in seinem Stuhl zusammengesackt sein, weil ihm klar wurde, dass es von diesem Moment an kaum noch ein Privatleben mit seinem Bruder geben würde. Doch der Kontakt blieb eng, die Brüder telefonierten mehrmals die Woche.

Knapp acht Jahre nach jenem Schockmoment vor dem Fernseher, als Benedikt als erster Papst der Neuzeit zurücktrat, war Georg es, der dies mit dem vielzitierten Satz "Das Alter drückt" erklärte.

Die Brüder konnten sich seitdem wieder ohne protokollarischen Zwang treffen. "Als Papa emeritus organisierte er für den erblindeten Bruder eine Haushälterin, die er persönlich bei einem Vorstellungsgespräch in den Vatikanischen Gärten kennenlernen wollte", schreibt Seewald.

Normalerweise verbrachte Georg stets zusammen mit seinem Bruder dessen Geburtstag im Vatikan. Mit bayerischem Bier, Weißwürsten und Brezen. In diesem Jahr allerdings fiel der Besuch aus - im April war höchste Corona-Alarmstufe in Italien und Deutschland. Ein Reise war schon alleine deshalb unmöglich.

Dass die beiden Brüder immer mehr abbauten, ist kein Geheimnis. Georg hatte 2018 der Deutschen Presse-Agentur gesagt, er bete jeden Tag "um eine gute Todesstunde für meinen Bruder und mich". Humorvoll fügte er hinzu: "Wie wir halt sind, wir alten Dackel."

Auch Benedikt äußerte sich immer wieder zu einem bevorstehende Ende. "Während meine physischen Kräfte langsam schwinden, pilgere ich innerlich nach Hause", schrieb er vor zwei Jahren in einem Brief an eine italienische Zeitung.

Doch auch wenn die körperlichen Kräfte nachlassen: Immer wieder dringen Äußerungen von Benedikt aus dem Vatikan - und richten Skandale an. Nicht zuletzt sein Privatsekretär Georg Gänswein gilt da als Strippenzieher, der Benedikts Vermächtnis auch unter dessen Nachfolger Franziskus weiterleben lassen will. Gänswein ist mittlerweile auch nicht mehr als Präfekt des Päpstlichen Hauses für Franziskus aktiv.

Der Kurienerzbischof ist nun auch bei Benedikts womöglich letzten Besuch bei seinem Bruder dabei. Wie ernst es ist, zeigt die Tatsache, dass Benedikt seit mehr als sieben Jahren nicht mal den Vatikan verlassen hat. Nur mal zu einem Ausflug in die Sommerresidenz in den Albaner Bergen bei Rom. In Deutschland war er zuletzt als Papst 2011. Die jetzige Reise wird ihn nicht nur physisch sondern auch psychisch fordern. Öffentliche Auftritte in Regensburg soll es daher auch gar nicht geben. Das Bistum bittet: "Alle Menschen, die ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen wollen, sind herzlich eingeladen, ein stilles Gebet für die beiden Brüder zu sprechen. Vergelt's Gott." (dpa)