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Berühmtes Bild soll nach Großschweidnitz

Die Tante des Malers Gerhard Richter ist der NS-Euthanasie zum Opfer gefallen. Daran wird in der Gedenkstätte erinnert.

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© Archifoto: Robert Michael

Von Anja Beutler

Wie mögen sich die dunklen Augen dieses Mädchens auf dem Bild einst in Großschweidnitz umgeblickt haben? Marianne Schönfelder war leibhaftig hier, als „Patientin“ der Heil- und Pflegeanstalt, die ihr am 16. Februar 1945 den Tod brachte. Nun kommt sie wieder zurück. Dieses Mal aber als Berühmtheit auf einem Bild – und als Mahnung an die schrecklichen Dinge, die im Zusammenhang mit dem NS-Krankenmord stehen. Ihr berühmter Neffe, der Maler Gerhard Richter, hat 1965 nach einem Foto sein Werk „Tante Marianne“ geschaffen. Darauf ist er als Baby mit seiner Teenager-Tante seltsam verwaschen zu sehen – es war die Art des heute 85-Jährigen, sich mit ihrem Schicksal und den Nazi-Verbrechen auseinander zu setzen.

Dieser Tage nun hilft Richter mit, dass dieses berühmte Bild bald in der Großschweidnitzer Gedenkstätte zu sehen sein wird. Im Original wird es natürlich nicht hier hängen – das millionenschwere Gemälde ist verkauft und nicht mehr in Deutschland. Aber die Städtischen Kunstsammlungen besitzen eine Fotofassung von dem Gemälde und das wollten sie als Leihgabe nach Großschweidnitz geben.

Gerhard Richter persönlich hat nun aber in dieser Woche einen ganz neuen Vorschlag gemacht: Bei einem Besuch von Vertretern der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – unter deren Dach auch das Gerhard Richter Archiv gehört – erklärte der 85-Jährige in Köln, dass er dieses Vorhaben gern unterstütze. Er halte es aber für besser, wenn eine weitere, in den Ausmaßen auf die Großschweidnitzer Gedenkstätte abgestimmte Fotofassung angefertigt werde, die dort dauerhaft ihren Platz finde, berichtet der hiesige Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer (CDU), der ebenfalls bei dem Besuch dabei war.

Wenn also die Bauarbeiten in den kommenden Jahren an der Gedenkstätte abgeschlossen sein werden, wird wohl auch Tante Marianne auf ganz besondere Weise ihren Platz zwischen all den anderen Schicksalen finden. Einen ersten Eindruck von dem Bild können sich alle Interessierten an diesem Montag machen. Dann nämlich kommt Sozialministerin Barbara Klepsch zu einem offiziellen Termin und „Tante Marianne“ begleitet sie in der Dresdener Fotofassung für diesen Tag. Eigentlich kommt die Christdemokratin aber, um einen wichtigen Meilenstein der Forschungsarbeit für die Gedenkstätte zu würdigen: Die Großschweidnitzer Opferdatenbank ist nach über zwei Jahren Forschungsarbeit nun fertiggestellt. Sieben Mitarbeiter haben über 5 800 Einträge von früheren Patienten recherchiert, die durch die Nationalsozialisten in die Psychiatrie verbracht wurden, schlimme Misshandlungen erleben mussten und zu Tode gekommen sind. „Die Datenbank ist für uns eine wichtige Etappe“, sagt Maria Fiebrandt vom Verein Gedenkstätte Großschweidnitz.

Die Aussicht auf ein so prominentes Bild in der Gedenkstätte und die Unterstützung von Gerhard Richter empfindet sie wie alle anderen rund 30 Mitglieder des Vereins als eine besondere Auszeichnung. Das Schicksal der Marianne Schönfelder ist zwar nur eines unter Tausenden. „Aber es steht in gewisser Weise exemplarisch für Großschweidnitz“, sagt Maria Fiebrandt. Denn die Tante von Gerhard Richter war wie viele keine Langzeit-Patientin, sie hatte eine „Anstalts-Karriere“ hinter sich. Sie wurde am 30. Dezember 1917 in Dresden als Tochter des Kaufmanns Alfred Schönfelder und seiner Ehefrau Dora geboten und erkrankte im Jugendalter mutmaßlich an Schizophrenie. Mit 21 wurde sie in die Landesanstalt Arnsdorf eingewiesen, wo man sie zwangssterilisierte. Später brachte man sie zur Behandlung nach Wiesengrund, heute in Tschechien gelegen, und dann schließlich nach Großschweidnitz, wo über 5 000 Menschen vor allem an Überdosierung von Medikamenten, systematische Unterernährung und unzureichende Pflege den Tod fanden. Marianne Schönfelder wurde in einem Massengrab bestattet.

Von ihrer Erkrankung zeigt das Foto mit Gerhard Richter freilich nichts. Es ist 1932, im Geburtsjahr von Richter, entstanden. Marianne Schönfelder war damals 14 Jahre alt. Richter selbst wuchs in Reichenau und Waltersdorf in der Oberlausitz auf. 1948 beendete er die höhere Handelsschule in Zittau mit der Mittleren Reife und wurde dort von 1949 bis 1951 zum Schriften- sowie Bühnen- und Werbemaler ausgebildet. An die Zeit in Waltersdorf erinnere er sich noch sehr gut, es seien glückliche Jahre gewesen, erzählte er seinen Dresdner und Oberlausitzer Besuchern an diesem Donnerstag.

Die Vorstellung der Opferdatenbank und des Bildes findet am Montag, um 15 Uhr in der Gedenkstätte statt. Interessenten sind willkommen.