Von Alexander Schneider
Harry N. ist schon ein Täter von der besonders dreisten Sorte. Die Bilder der Überwachungskameras zeigen, wie der 56-Jährige ein Bild von der Wand nimmt, es auf seine Tasche legt, es einpackt und erst viele Minuten später das Gebäude verlässt – so als wäre nichts gewesen. Der Tatort war nicht irgendein Gebäude, sondern das Amtsgericht Dresden.
Auch das Bild war nicht irgendein Gemälde, sondern eine unverkäufliche Federzeichung namens „Chummehorn, auch gut“ des Leipziger Künstlers Robert Schmiedel, der sein Werk im Amtsgericht präsentierte. Der dunkle Holzrahmen des 22 x 32 Zentimeter großen Bildes war der einzige historisch wertvolle der gesamten Ausstellung. Wusste Harry N. das? Warum hat er nur ein Bild gestohlen?
Und schließlich ist auch Harry N. nicht irgendein Gauner. Er hat seit Jahrzehnten Erfahrung mit dem Strafgesetzbuch. Nach der Tat Anfang April spazierte er direkt vor den Wachtmeistern an der Pforte mit wippendem grauen Pferdeschwanz aus dem Haus. So, als gehöre er irgendwie dazu.
Die Polizei kam dem Täter dank der Überwachungskamera auf die Spur. Anfang Juni durchsuchten die Beamten die Wohnung, in der N. lebte. Schmiedels Bild fand sich dort nicht – aber ein anderes, das Anfang Mai aus der Auferstehungskirche in Plauen entwendet worden war. N. sagte, er habe die Schmiedel-Zeichnung samt Rahmen am Elbe-Flohmarkt für 30 Euro verramscht. Kann man ihm glauben?
Inzwischen wurde bekannt, dass die Polizei erneut die Wohnung durchsucht hat, in der schon das Bild aus der Plauener Kirche entdeckt worden war. Es sollen weitere verdächtige Gegenstände sichergestellt worden sein, Diebesbeute. Nach SZ-Informationen soll es sich dabei um mehrere Bilder handeln, zum Teil auch um recht wertvolle Kunst. Die Ermittler machen jedoch mit Verweis auf laufende Ermittlungen keine näheren Angaben.
Prozess geschwänzt – Haftbefehl
Der Mittfünfziger N. ist regelmäßiger Gast auf den Anklagebänken dieser und der früheren Republik. Er soll es auf mehr als 40 Vorstrafen in seinem Strafregister gebracht haben. Die älteste bekannte war einmal vom Kreisgericht Guben ausgesprochen worden, lange vor der friedlichen Revolution. Der jüngste Prozess war am 1. Juli geplant, doch Harry N. hatte es vorgezogen, den Termin im Amtsgericht Dresden nicht wahrzunehmen. Richter Thomas Hassel erließ daher einen Sitzungshaftbefehl. Dieser dient dazu, die Hauptverhandlung zu sichern. Nein, es geht in dem aktuellen Verfahren weder um die Schmiedel-Zeichnung noch um das Ölgemälde aus der Kirche. N. soll auch alte Kameratechnik aus einem Haus gestohlen haben.
Nach nur einer Woche war Harry N. wieder in staatlicher Obhut. Seit vergangenem Donnerstag wartet er im Dresdner Gefängnis auf seinen Prozess. Der jedoch dauert nun etwas länger. Erst Mitte August ist die Hauptverhandlung geplant. Auch Richter müssen mal Urlaub machen.