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Bitte stehen lassen!

Das Hochhaus am Pirnaischen Platz hat eine Chance verdient, findet das Netzwerk „Ostmodern“. Und sagt auch, warum.

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© Christian Juppe

Centrum-Warenhaus, Fresswürfel, Robotron – die Liste verschwundener DDR-Architektur ist lang. Jetzt wird darüber gestritten, ob das Hochhaus am Pirnaischen Platz abgerissen oder saniert werden sollte. Das Netzwerk „Ostmodern“ will die letzten DDR-Relikte in der Innenstadt retten. Im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung sagen die Mitglieder Matthias Hahndorf und Marco Dziallas sowie „Werkstatt Baukultur Dresden“-Mitbegründer Martin Neubacher, weshalb sie keine nostalgischen Gefühle hegen, warum die Robotron-Kantine eine Chance verdient hat und was Berlin besser macht als Dresden.

Flugdach, Gemeinschaftsterrasse, Verzierungen an der Fassade: Das Hochhaus am Pirnaischen Platz 1968.
Flugdach, Gemeinschaftsterrasse, Verzierungen an der Fassade: Das Hochhaus am Pirnaischen Platz 1968. © Sammlung Holger Naumann
Die Bauten der Nachkriegsmoderne haben verkannte Qualitäten, sagen Marco Dziallas, Martin Neubacher und Matthias Hahndorf (v.l.) vom Architektur-Netzwerk „Ostmodern“ sowie der „Werkstatt Baukultur Dresden“.
Die Bauten der Nachkriegsmoderne haben verkannte Qualitäten, sagen Marco Dziallas, Martin Neubacher und Matthias Hahndorf (v.l.) vom Architektur-Netzwerk „Ostmodern“ sowie der „Werkstatt Baukultur Dresden“. © René Meinig

Herr Neubacher, das Hochhaus am Pirnaischen Platz: abreißen oder stehen lassen?

Martin Neubacher: Ganz klar, stehen lassen. Wenn sich Häuser in einem schlechten Zustand befinden, ist oft das Bedürfnis da, sich von ihnen zu trennen. Aber es gibt viele Beispiele dafür, dass ähnliche Wohnhochhäuser der Nachkriegsmoderne gut saniert werden konnten. Da muss man nur mal rechts und links des Pirnaischen Platzes schauen.

Aber es gibt Dresdner, die öffentlich den Abriss fordern, zum Beispiel die Initiative Stadtbild Dresden.

Neubacher: Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Eine private Initiative ruft dazu auf, das Haus abzureißen, ohne mit dem Eigentümer in Kontakt zu treten. Ich finde das anmaßend, auch den Mietern gegenüber. Mit vergleichbaren Argumenten, wie Stadtbild sie anbringt, wurden in den 1970er- und 80er-Jahren nicht nur in Dresden Gründerzeithäuser abgerissen.

Wären Abriss und Neubau am Ende nicht vielleicht sogar günstiger?

Neubacher: Das ist nur selten so. Darüber hinaus ist das Hochhaus bau- und stadtgeschichtlich wertvoll. In den 60er-Jahren ist in der DDR an den Internationalen Stil angeknüpft worden. Wegweisend waren etwa Bauten des Architekten Le Corbusier, die heute wertgeschätzt werden und in diesem Fall auch Teil des Welterbes sind.

Für die von uns, die nicht Architektur studiert haben: Wo am Hochhaus sehe ich das architektonisch Wertvolle?

Matthias Hahndorf: Man erkennt dies zum Beispiel an der Aufständerung des Gebäudes mit V-Stützen, was man als Le Corbusier-Zitat begreifen kann. Das betrifft auch das Dachgeschoss mit dem Flugdach, das für eine gemeinschaftliche Nutzung vorgesehen war. Die Hälfte des Flugdaches ist nun wegen mangelnder Pflege abgerissen worden. Die Ideen, welche die Erbauer hatten, sind brach gefallen.

Marco Dziallas: Wenn man sich vorstellt, dass das Haus irgendwann einmal schick saniert ist, oben noch eine Sky-Bar hat mit Blick auf die Altstadt, dann sind die Gemüter vielleicht besänftigt.

Wo hat Dresden schon einmal zu schnell die Abrissbirne angesetzt? Was hätte aus DDR-Zeiten noch erhalten werden können?

Hahndorf: Es ist viel verschwunden, wie die charmante Webergasse oder das Centrum-Warenhaus. Die Prager Straße ist allgemein ein großes Thema. Das Rundkino ist dort das einzige Gebäudedenkmal, aber komplett zugebaut. Dieser Umgang ist kritikwürdig. Und es geht weiter. Wir reden jetzt über den Neustädter Markt.

Auch das Schicksal vom alten Robotron-Betriebsgelände scheint besiegelt zu sein. Atrium I und Rechenzentrum sind schon gefallen. Jetzt ist der Abriss des blauen Bürohauses an der St. Petersburger Straße im Gespräch. Hat Sie das überrascht?

Dziallas: Ja, das Haus ist voll ausgelastet. In allen bisherigen Bebauungsplänen wurde davon ausgegangen, dass das Gebäude erhalten bleibt. Wenn es wirklich abgerissen wird, würde fast nichts mehr übrig bleiben von dem – man muss schon fast sagen – Industriedenkmal „Robotron“. Zumindest bei der Betriebsgaststätte ist erst einmal die Bremse gezogen worden. Diese war früher fast so etwas wie der kleine Kulturpalast, denn es gab ein betriebseigenes Ensemble aus Tänzern, Musikern, Akrobaten, Jongleuren, Zauberern und Puppenspielern oder auch das Kabarett „Die Lachkarte“, in dem Wolfgang Stumph seine ersten Schauspielerfahrungen machte.

Für die Kantine gibt es zwei Interessenten, das Kunsthaus und das Future Research Lab. Was wäre Ihnen lieber – Kunst oder Wissenschaft?

Hahndorf: Das sind für mich keine gegenläufigen Konzepte. Bei der einen Initiative handelt es sich um Vertreter der Forschung, die Wissenschaft gern ins Stadtzentrum bringen und ein offenes Forschungslabor einrichten möchten. Innovation und Avantgarde, das passt gut zusammen, finde ich. Das sind brauchbare Ideen für die Fortentwicklung bestehender Architektur. Jetzt geht es darum, wie man so etwas finanziert bekommt.

Auch bei der Kantine offenbart sich die Schönheit nicht auf den ersten Blick. Warum sollte sie nicht weichen, um den Blüherpark zu erweitern?

Dziallas: Die zentrale Betriebsgaststätte weist viele gestalterische Qualitäten auf. Es ist ein Bau, der aus getypten Bauelementen besteht, aber individuell für den Standort entworfen wurde. Die umlaufende Betonbrüstung wurde vom Künstler Friedrich Kracht gestaltet. Und es gibt viele weitere künstlerische Details wie etwa die beiden Formsteinwände von Eberhard Wolf in den Speisesälen.

Gibt es Städte, die mehr Wert darauf legen, DDR-Architektur zu erhalten?

Dziallas: Es kommt immer auch auf die Denkmalbehörden an. In Berlin gibt es stärkere Bestrebungen diesbezüglich. Dort wird der Erhalt der Baukunst aus dieser Zeit auch als touristisches Potenzial gesehen. In Sachsen wird mit diesem Erbe dagegen noch zu nachlässig umgegangen.

Hahndorf: Auch aus meiner Erfahrung in zwölf Jahren „Ostmodern“ haben es Bauwerke der Nachkriegsmoderne in Dresden nach wie vor schwer, auf die Denkmalliste zu kommen.

Ist denn jedes DDR-Gebäude auch ein Denkmal? Wo ist die Grenze zwischen Baukultur und Nostalgie?

Hahndorf: Das hat nur selten etwas mit Nostalgie zu tun. Die Bewertung obliegt in letzter Instanz dem Landesdenkmalamt. Für uns ist es manchmal nur wenig nachvollziehbar, nach welchen Kriterien entschieden wird. Das Pinguin-Café zum Beispiel kam schnell auf die Liste, als über einen Abriss gesprochen wurde. Kurze Zeit später stand der Pavillon plötzlich wieder nicht mehr unter Schutz. Öffentliche Begründungen gab es keine.

Die Fragen stellte Sandro Rahrisch.