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Blamage für Sachsens Justiz

Ein Angeklagter im Tschetschenen-Prozess sitzt seit 20 Monaten in U-Haft. Zu lange, sagt das Bundesverfassungsgericht.

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© Symbolbild/dpa/Felix Kästle

Von Karin Schlottmann

Wenn die Justiz dauerhaft überlastet ist, sollen nicht die Angeklagten die Leidtragenden sein. Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, die Gerichte rechtzeitig und so gut mit Personal auszustatten, dass ein rechtsstaatliches Verfahren möglich ist. In dem Prozess wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und schwerer räuberischer Erpressung, der am 6. Dezember vorigen Jahres begonnen hat, ist die sächsische Justiz dieser verfassungsrechtlichen Pflicht nicht nachgekommen. Mit deutlich kritischen Worten hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe der Verfassungsbeschwerde eines der Angeklagten stattgegeben. Das Oberlandesgericht Dresden muss nun erneut entscheiden, ob der Mann weiter in Untersuchungshaft bleibt oder wegen überlanger Verfahrensdauer auf freien Fuß gesetzt wird.

Witalij R. sitzt seit Anfang November 2016 in Untersuchungshaft. Er wurde im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen eine tschetschenische Schutzgeld-Erpresserbande mit vier weiteren Beschuldigten vor dem Landgericht Dresden angeklagt. Am 6. Dezember 2017 hat der Prozess begonnen, das Gericht hat Prozesstermine bis Januar nächsten Jahres angesetzt.

Andrej Klein, der Verteidiger des Angeklagten, hatte beim Oberlandesgericht Dresden die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Er kritisierte, dass sich das Gericht bei der Terminfestsetzung zu viel Zeit gelassen habe. Das Verfahren hätte eher beginnen und zügiger fortgesetzt werden können. Mit Blick auf die geringe Straferwartung sitze Witalij R. zu lange in Untersuchungshaft. Sein Mandant, ein Spätaussiedler mit deutscher Staatsangehörigkeit, sei zwar auch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt worden, gelte aber nur als Helfer, so Klein.

Das Oberlandesgericht wies seinen Antrag zurück und auch der Verfassungsgerichtshof in Leipzig sah keine Veranlassung, einzuschreiten. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte dagegen in seiner am Dienstag veröffentlichten Entscheidung, dass das Landgericht erst zwei Monate nach Erhebung der Anklage für dieses Verfahren eine neue Strafkammer einrichtete. Die Überlastung der Strafrichter sei lange bekannt gewesen, mehrfach hatte der Vorsitzende der 3. Großen Strafkammer mit Überlastungsanzeigen darauf aufmerksam gemacht. Nach Auffassung der Karlsruher Richter genügt es zudem nicht, nur einmal pro Woche zu verhandeln.

Beim Oberlandesgericht muss nun in den nächsten Tagen ein anderer Senat über die Untersuchungshaft des Angeklagten entscheiden. Wenn das OLG den Haftbefehl erwartungsgemäß aufhebt, dürften auch die übrigen Angeklagten bald aus der U-Haft entlassen werden. Etwas anderes gilt jedoch für die Hauptangeklagten in dem parallel laufenden Strafverfahren ebenfalls wegen Schutzgeld-Erpressung. Dort geht es unter anderem auch um einen Mordversuch in Dresden. Die Aufhebung der Haftbefehle steht wegen der höheren Strafandrohung dort nicht zur Diskussion.

Die insgesamt vier sogenannten Tschetschenen-Verfahren stellen das Landgericht Dresden vor eine große Herausforderung. Die Sicherheitsvorkehrungen sind immens, die Beweislage schwierig. Die Gruppenmitglieder sind nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in größere, überregionale Strukturen der osteuropäischen Mafia eingebunden und schotten sich stark nach außen ab. Ein Zeuge musste während seiner Aussage von der Polizei beschützt werden, seine Mutter erhielt Morddrohungen.

Für die sächsische Justiz ist die Karlsruher Entscheidung eine schwere Blamage. Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. Einerseits ist das Landgericht Dresden verglichen mit den anderen sächsischen Gerichten personell gut ausgestattet. Andererseits ist das Gericht mit Mammutverfahren wie gegen die Infinus-Gruppe oder die Freie Kameradschaft Dresden besonders stark belastet. Und bei der Personalberechnung durch das Justizministerium spielen Umfang und Komplexität eines Verfahrens keine Rolle. Die von Karlsruhe kritisierte Kammer verhandele vier bis fünf Prozesse gleichzeitig, sagte Gerichtspräsident Martin Uebele. Sie soll vorerst keine neuen Haftsachen verhandeln.