Frances Scholz
Mit dem Sommer kommt die Liebe – vor allem bei den Rehen. Jetzt beginnt bei den Tieren die Paarungszeit. „Die sogenannte Blattzeit dauert bis Mitte August“, sagt Lothar Jentschel, Vorsitzender des Kreisjagdverbandes Bautzen. Er rät Autofahrern zu mehr Wachsamkeit im Sommer. „Es besteht eine erhöhte Unfallgefahr, denn die Tiere sind wie ferngesteuert. Die Hormone spielen verrückt und sie sind blind vor Liebe“, sagt er. Die Ricke, das weibliche Reh, lockt den Bock mit Fiep-Lauten. Außerdem sondert die Ricke während der Brunft Duftstoffe ab. Darauf reagieren die Böcke. Sie treiben dann sowohl Rivalen als auch die paarungsbereiten Ricken vor sich her. „Das sind zum Teil richtige Revierkämpfe. Deswegen müssen Autofahrer darauf gefasst sein, dass plötzlich mehrere Tiere auf der Straße stehen“, sagt Lothar Jentschel. Vor allem nach einem Gewitter und bei schwülem Wetter drehen die Tiere auf. „Das hängt mit den Hormonen zusammen. Bei so einem Klima spielen sie verrückt“, sagt der Jagdpächter.
Tiere haben keine Deckung mehr
Dazu komme, dass momentan viele Getreidefelder abgeerntet werden. Sie bieten den Rehen eigentlich Schutz. „Doch plötzlich sind die Felder weg und die Tiere haben keine Deckung mehr. Sie versuchen in Wäldern Schutz zu finden, und rennen einfach über die Straßen. Wildunfälle sind deshalb nicht nur im Herbst ein großes Thema, sondern auch im Sommer“, erklärt der Vorsitzende des Kreisjagdverbandes. Vor allem sollten Autofahrer nicht nur in den Morgen- und Abendstunden aufmerksam sein, sondern auch tagsüber. „Denn die Tiere sind, anders als in den Herbstmonaten, auch am Tag sehr aktiv.“
Das zeigen auch die Unfallzahlen der Polizei. So gab es im Landkreis Bautzen im vergangenen Jahr von Juli bis Oktober 585 Unfälle mit Wild. Im Juli waren es 128 und im August 139 Wildunfälle. Dabei wurde eine Person schwer verletzt und drei leicht verletzt. Nur im Oktober war die Unfallzahl noch höher als in den Sommermonaten. Sie lag bei 196. „Etwa zwei von drei Wildunfällen geschahen mit Rehwild“, sagt Polizeisprecher Thomas Knaup.
Um die erhöhte Unfallgefahr im Sommer weiß auch der ADAC. „Ist Wild am Straßenrand zu sehen, sollte man bremsen und vorsichtig fahren“, sagt Katharina Lucà vom ADAC. Wichtig sei es, darauf zu achten, dass die Tiere meist in Herden unterwegs sind. Es können also immer noch weitere Tiere folgen. Steht ein Tier bereits auf der Straße, sollte sofort gebremst und dabei das Lenkrad gut festgehalten werden. „Auch Hupen und Abblenden kann das Tier von der Fahrbahn vertreiben.“
Keine Ausweichbewegungen machen
Für einen Anhaltevorgang aus einer Geschwindigkeit mit Tempo 100 auf freier Strecke benötigt ein durchschnittlicher Pkw im günstigsten Fall mindestens 80 Meter. „Dieser Wert entspricht in etwa der Entfernung zwischen zwei Leitpfosten am Wegesrand“, sagt Polizeisprecher Thomas Knaup. Feuchte Fahrbahn, eine längere Reaktionszeit oder nicht ausreichende Bremskraft verlängern diese Strecke erheblich.
Sollte sich eine Kollision nicht mehr vermeiden lassen, hilft nur eins: Lenkrad festhalten, bremsen und auf das Tier zuhalten. „Keinesfalls sollte man versuchen, mit plötzlichen Bewegungen auszuweichen“, sagt Katharina Lucà. Und auch Jagdpächter Lothar Jentschel rät dazu. „Hat man das Tier dann erwischt, sollte man nicht aus Tierliebe an es herantreten. Gerade Böcke können mit ihren Hörnern Verletzungen zufügen“, sagt er. Lothar Jentschel empfiehlt nach einem Wildunfall, die Polizei zu rufen. „Sie kümmert sich um alles und informiert auch den jeweiligen Jagdpächter, der sich dem Tier annimmt.“
Spuren des Unfalls fotografieren
Wichtig ist, dass man das Wild nicht mitnimmt. „Dann handelt es sich um Wilderei und das ist verboten“, erklärt Katharina Lucà vom ADAC. Außerdem kann es hilfreich sein, Fotos zu machen. „Gerade wenn das Tier nach dem Zusammenstoß noch weglaufen konnte, sollte man Spuren wie Haarbüschel oder Blut am Fahrzeug fotografieren.“ Das kann später der Versicherung als Beweis dienen. „Ein Wildschaden läuft meist über die Teilkasko-Versicherung“, sagt Katharina Lucà. Darin wird für gewöhnlich nur Haarwild abgedeckt, also zum Beispiel Wildschweine, Rehe, Füchse und Hasen. „Es gibt aber auch Versicherungen, die zahlen auch bei Unfällen mit Vögeln. Es empfiehlt sich daher zu prüfen, wofür die Versicherung aufkommt.“
Für die Jagdpächter wie Lothar Jentschel gibt es also in den kommenden Monaten wieder viel zu tun. „Denn ist die Blattzeit der Rehe geschafft, beginnen die Brunftzeit des Rotwildes und die Maisernte“, sagt er.