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Blobels Spuren

In Görlitz und Jänkendorf erinnern Häuser und Bäume an den Medizin-Nobelpreisträger, der nach dem Krieg hier kurz verweilte. 2004 kehrte er nochmal zurück.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Sebastian Beutler

Jürgen Wenske wunderte sich schon Ende des Jahres ein bisschen. Zu Weihnachten schrieb der Görlitzer Arzt Günter Blobel immer einen Gruß per E-Mail nach New York. Stets vergingen nur wenige Tage bis der Medizin-Nobelpreisträger antwortete. Doch dieses Mal blieb der Gegengruß aus. „Da dachte ich mir schon, dass es ihm nicht so gut ging“, sagte der gleichaltrige Wenske gestern gegenüber der SZ. Als nun am Montag die Todesnachricht kam, erhielt er die traurige Bestätigung für seine Vermutung. Nun bleiben Jürgen Wenske nur die Mails, die zwischen ihnen beiden über den Atlantik wechselten. Seit 1999 hielten sie Kontakt, nachdem der Görlitzer dem aus Schlesien stammenden Blobel zum Nobelpreis gratuliert hatte. Daraus entstand ein regelmäßiger Briefkontakt, der 2004 seinen Höhepunkt erfuhr: Damals kam Günter Blobel nach Görlitz und Jänkendorf.

Der Eintrag von Günter Blobel im Goldenen Buch der Stadt Görlitz aus dem Jahr 2004.
Der Eintrag von Günter Blobel im Goldenen Buch der Stadt Görlitz aus dem Jahr 2004. © Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c
So pflanzte Günter Blobel (im Hintergrund) die Eiche in Jänkendorf vor knapp 14 Jahren.
So pflanzte Günter Blobel (im Hintergrund) die Eiche in Jänkendorf vor knapp 14 Jahren. © Svarovsky

Für Blobel war die Grenzregion immer mit einer prägenden Zeit seiner Flucht verbunden. Geboren im Mai 1936 im niederschlesischen Waltersdorf, dem heutige Niegoslawice, musste Blobels Familie Ende Januar 1945 Schlesien vor der heranrückenden Front verlassen. Mit dabei: der neunjährige Günter. Bis nach Mittelsachsen kamen die Blobels, ehe sie drei Wochen nach dem Krieg versuchten, zurück nach Niederschlesien zu gelangen. Doch blieb die siebenköpfige Familie, darunter die Kinder im Alter von zwei bis 13 Jahren, an der Neiße hängen. In Jänkendorf suchten sie eine Bleibe und fanden sie im teilweise ausgebombten Bauernhof von Verwandten des Vaters, bei der Familie Hänsch. Sie seien herzlich aufgenommen worden, berichtete Blobel vor wenigen Jahren. „Auch wenn die Zeit nur kurz war, werde ich Jänkendorf nie vergessen“. Tatsächlich verließ die Familie nach vier Wochen den Ort und zog schließlich Ende Juni mit einem zweirädigen Karren zurück nach Mittelsachsen, in ein neues Leben.

Aufgeschrieben hat diese Geschichte Jürgen Starovsky, der in Jänkendorf eine Tresorfirma betreibt, Mitbegründer und einige Jahre auch Vorsitzender des Heimatvereins Jänkendorf/Ullersdorf war. Er wurde auf Blobel durch einen Artikel Wenskes über die Nobelpreisauszeichnung aufmerksam. Die beiden kamen in Kontakt, und so erfuhren sie beide ein paar Jahre später von dem Wunsch Blobels, einen Dresden-Besuch mit einem Abstecher nach Görlitz zu verbinden. Tatsächlich kam er am 10. Mai 2004, trug sich in das Goldene Buch der Stadt Görlitz ein, besuchte das neue Hotel „Börse“ auf dem Untermarkt und besichtigte die Stadthalle. Außerdem wurde ein Gebäude der Tüv-Schulen am Hochschul-Campus nach ihm benannt. Schulleiter Stephan Scholz kann sich noch gut daran erinnern. „Es sollte seine Heimatverbundenheit deutlich machen“, erklärt er der SZ. Zumal damals die Tüv-Schulen auch in der Berufsausbildung aktiv waren und Ergo- sowie Physiotherapeuten, Medizinische Dokumentations- und Rettungsassistenten ausbildete. „Und Jürgen Wenske war als Honorarlehrkraft bei uns tätig.“ Der Name blieb auch erhalten, als sich der Tüv von der Berufsausbildung weitgehend zurückzog und sich auf die Neißegrundschule konzentrierte. Nur die Ausstellung über Blobel gibt es heute nicht mehr.

Anschließend ging es damals nach Jänkendorf. Jürgen Starovsky erzählt: „Ich habe ihn ins Auto geladen, und dann sind wir hierher gefahren.“ Im Park wurde eine Blobel-Eiche gesetzt, dazu ein Gedenkstein, den Starovsky einige Zeit später noch mit einer ausführlichen Erklärung versehen hat. Davor setzte er Krokusse, die blühend das Zeichen des Nobelpreises symbolisieren. „Der Kontakt war seitdem nie abgerissen“, berichtet der Unternehmer. Blobel sei herzlich gewesen, ohne große Distanz. Nur zuletzt spürten alle eine wachsende Entfremdung zu Sachsen. Blobel drang auf den originalgetreuen Wiederaufbau der Universitätskirche in Leipzig, war der Auslöser für die Aberkennung des Unesco-Welterbetitels für Dresden und eckte auch mit seinen Plänen für Neubauten auf dem Dresdner Neumarkt an. „Er war halt von dem Schlage, etwas durchzusetzen“, beschreibt ihn Jürgen Wenske. Und Waldhufens Bürgermeister Horst Brückner sagt: „So ein Mann kommt nicht alle Tage“.

Die Reise vor 14 Jahren blieb die einzige von Blobel nach Görlitz und Jänkendorf. Seine Verwandten wie Großcousine Annelies Niemz sind mittlerweile verstorben. Oder die Spuren verlieren sich wie von der Fleischerei Blobel in der Görlitzer Südstadt oder der Tischlerei Blobel in der Lunitz in der Görlitzer Nikolaivorstadt. Tischler Siegfried Blobel konnte auf gemeinsame Urahnen im 18. Jahrhundert zurückblicken.

Bleiben aber werden die Blobel-Eiche in Jänkendorf und das Blobel-Haus in Görlitz. Und damit die Erinnerung an den vorerst letzten von zwölf Nobelpreisträgern aus Schlesien. Wie wichtig ihm die Heimat war, kommt nun auch in den Traueranzeigen zum Ausdruck. Da heißt es: Geboren in Waltersdorf/Schlesien.