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EU billigt neues Brexit-Abkommen

Zwei Wochen vor dem Brexit haben sich EU und die britische Regierung geeinigt. Premier Johnson muss nun zuhause gegen eine kleine Partei kämpfen.

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Boris Johnson (l), Premierminister von Großbritannien, und Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, sind begeistert vom in letzter Minute erzielten Kompromiss.
Boris Johnson (l), Premierminister von Großbritannien, und Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, sind begeistert vom in letzter Minute erzielten Kompromiss. © Francisco Seco/AP/dpa

Brüssel/London. Die Zitterpartie um den Brexit geht trotz eines neuen Abkommens zwischen London und Brüssel in die nächste Runde. Die 27 bleibenden EU-Staaten billigten den neuen Deal am Donnerstag beim EU-Gipfel. Doch kam sofort Widerstand aus dem britischen Unterhaus, das am Samstag zustimmen müsste. Premierminister Boris Johnson mahnte die Abgeordneten dringend zu einem Ja und nannte das neue Abkommen "großartig". Auch Kanzlerin Angela Merkel lobte den Kompromiss, der den Weg zu einem sanften Brexit in zwei Wochen ebnen soll.

Der Durchbruch war unmittelbar vor dem EU-Gipfel gelungen, zu dem Merkel, Johnson und die übrigen 26 Staats- und Regierungschefs nach Brüssel kamen. Johnson wandte sich dort noch einmal an seine Kollegen und warb für den Deal. Eine Reihe von Teilnehmern fragten den Premier nach Angaben eines Diplomaten nach der innenpolitischen Situation. Von Seiten der 27 bleibenden EU-Staaten gab es aber keine entscheidenden Vorbehalte. Sie versprachen, sich für ein pünktliches Inkrafttreten am 1. November einzusetzen.

"Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal", schrieb EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf Twitter. "Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Großbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden." Auch das EU-Parlament könnte sich rasch mit der Ratifizierung befassen.

Ganz anders waren die Reaktionen in London. Nicht nur die Labour-Opposition attackierte die Vereinbarung, sondern auch Johnsons parlamentarischer Partner, die nordirische Protestantenpartei DUP. Sie werde im Unterhaus nicht zustimmen, kündigte die DUP an. Die vereinbarte Lösung sei dem wirtschaftlichen Wohl Nordirlands nicht zuträglich und untergrabe die Einheit des Vereinigten Königreichs.

Zum Schwur kommen könnte es bei einer Sondersitzung des Parlaments am Samstag. Johnson hat im Unterhaus ohnehin keine Mehrheit und kann nur auf Unterstützung aus der Opposition hoffen. "Ich hoffe sehr, dass meine Abgeordneten-Kollegen in Westminster jetzt einig werden, um den Brexit zu vollziehen, um diesen hervorragenden Deal über die Ziellinie zu bringen und den Brexit ohne weitere Verzögerung zu liefern", sagte Johnson an Junckers Seite in Brüssel.

Der britische Premier will sein Land unbedingt zu Halloween, am 31. Oktober, aus der Staatengemeinschaft führen. Lange hatte er versichert, Großbritannien werde auch ohne Deal aussteigen. Ein britisches Gesetz verpflichtet ihn aber, bei der EU um Aufschub zu bitten, falls bis Samstag kein Abkommen vom Parlament gebilligt ist. In dem Fall dürften die EU-Staaten dies auch gewähren.

In Brüssel beharrte Johnson auf einem pünktlichen Austritt. Juncker sprang ihm bei und sagte: "Wir haben einen Deal. Und dieser Deal bedeutet, dass es keine Notwendigkeit für irgendeine Verlängerung gibt." Auch EU-Unterhändler Michel Barnier hält die zwei Wochen bis zum Termin für ausreichend für die Ratifizierung. Er appellierte an das britische Unterhaus, Verantwortung zu übernehmen.

Streitpunkt war bis zuletzt die ursprünglich vereinbarte Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Derzeit gibt es keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel. Das wollen Dublin und Brüssel erhalten, um den zerbrechlichen Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet nicht zu gefährden.

Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards; Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs; es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden; und die nordirische Volksvertretung kann vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten soll.

Der vom Brexit besonders betroffene EU-Staat Irland trägt dies mit. "Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt", schrieb Regierungschef Leo Varadkar auf Twitter. Bundeskanzlerin Merkel nannte die Unterstützung Varadkars ein "ganz wichtiges Zeichen" und die Einigung vom Donnerstag "eine gute Nachricht".

Boris Johnson läuft die Zeit davon - bis Ende des Monats will er Großbritannien aus der EU führen. Doch dazu braucht er einen Deal; einen No-Deal-Brexit hatte das Unterhaus per Gesetz verboten.
Boris Johnson läuft die Zeit davon - bis Ende des Monats will er Großbritannien aus der EU führen. Doch dazu braucht er einen Deal; einen No-Deal-Brexit hatte das Unterhaus per Gesetz verboten. © PA Wire

Geändert wurde auch die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien, wie Barnier erläuterte. Darin gebe Großbritannien "solide Garantien", dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis gewesen, sagte Barnier.

Labour-Chef Jeremy Corbyn sieht trotzdem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern nach dem EU-Austritt in Gefahr und spricht von einem "Ausverkauf". Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei erklärte: "Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als (seine Vorgängerin) Theresa May."

Die Briten hatten vor gut drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. (dpa)

Das Brexit-Abkommen - mehr als die Irland-Frage

Was bedeutet der Vertrag für Bürger und Unternehmen?

Zentral ist die vereinbarte Übergangsphase: Nach dem Austritt soll sich bis mindestens Ende 2020 an den äußeren Bedingen erstmal nichts ändern. Großbritannien bleibt im EU-Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion, alle EU-Regeln gelten weiter, es gibt keine Zollkontrollen oder Einfuhrbeschränkungen. Da Großbritannien nach dem Austritt offiziell Drittstaat ist, darf es in Brüssel nicht mehr mitbestimmen. Neue EU-Regeln muss es trotzdem akzeptieren. In der Übergangsphase soll die dauerhafte Beziehung zwischen EU und Großbritannien geklärt werden. Die Frist kann laut Vertrag einmal verlängert werden. 

Was bedeutet der Vertrag für EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU?

Der Vertrag sichert zu, dass die mehr als drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und eine Million Briten auf dem Festland auch nach der Übergangsphase so weiterleben können wie bisher. Das betrifft unter anderem ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, auf Ansprüche an die Sozialkassen und auf Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Das Aufenthaltsrecht bleibt wie gehabt: Wer sich selbst finanzieren kann, darf bis zu fünf Jahre bleiben und danach ein dauerhaftes Bleiberecht beanspruchen. Die Rechte erlöschen nicht, wenn man zum Ende der Übergangsphase gerade nicht am Wohnort ist. 

Was bedeutet der Vertrag für Menschen in Irland und Nordirland?

Die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland soll offen bleiben, es soll also keine Schlagbäume oder Kontrollen eingeführt werden. Nach der Vereinbarung vom Donnerstag sollen dafür in Nordirland EU-Warenstandards weiter gelten. Zollkontrollen sollen mit eine neuen, komplexen Zollpartnerschaft vermieden werden. 

Was bedeutet der Vertrag für die Steuerzahler?

Großbritannien sagt im Vertrag zu, für finanzielle Pflichten aus der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft einzustehen. Dies betrifft die Entscheidung von 2013 über den gemeinsamen EU-Haushalt bis Ende 2020: London zahlt also bis dahin weiter Beiträge. Es geht aber auch um langfristige Lasten, etwa den britischen Anteil an Pensionszahlungen für EU-Beamte. Die Summe steht nicht im Vertrag, sondern nur "eine faire Berechnungsmethode". Geschätzt geht es um etwa 45 Milliarden Euro. Käme der Vertrag nicht zustande, müssten EU-Steuerzahler einspringen.

Was bedeutet der Vertrag für Warenhersteller?

Waren mit einer Produktzulassung dürfen auch nach Ende der Übergangsphase verkauft werden, ohne dass sie ein besonderes Label brauchen. Das gilt zum Beispiel für Spielsachen, Kleidung und Kosmetik, aber auch für Medikamente und Medizinprodukte. Ausgenommen sind lebende Tiere und Tierprodukte. Markenrechte sollen auf beiden Seiten unangetastet bleiben. 

Was bedeutet der Vertrag für bayerisches Bier?

Wie Parmaschinken, Champagner oder Fetakäse soll auch bayerisches Bier nach der Übergangsphase in Großbritannien seinen nach EU-Recht besonderen Status als geschützte Ursprungsbezeichnung behalten. Das betrifft mehr als 3.000 Produkte, die als regionale Besonderheit vermarket werden und dafür bestimmte Bedingungen erfüllen müssen. Walisisches Lamm und andere geschützte britische Produkte behalten ihren Schutz in der EU.

Was bedeutet der Vertrag für Gauner und Kriminelle?

Wer zum Ende der Übergangsphase per britischem Haftbefehl gesucht und in der EU geschnappt wird, sollte sich nicht zu sicher fühlen. Der Austrittsvertrag sorgt vor, dass solche Verdächtige gegenseitig ausgeliefert werden. (dpa)

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