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Bringt Unesco-Titel Görlitz etwas?

Orgelmusik und Orgelbau in Deutschland sind zum immateriellen Kulturerbe erhoben worden. Nicht aber die Orgeln.

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© Archiv/Pawel Sosnowski

Von Ines Eifler

Orgeln in Görlitz, das ist eine Geschichte, die glücklich und traurig zugleich machen kann. Der Bau der Sonnenorgel und das jahrzehntelange Engagement dafür sind wohl einzigartig und haben der Stadt Görlitz einen Anziehungspunkt für Tausende Touristen verschafft, der sich sehen und hören lassen kann. Ungewöhnlich ist das Schicksal der hochromantischen Sauer-Orgel in der geschlossenen Stadthalle, die – gut verpackt und gegen Baustaub geschützt – ihren 100. Geburtstag im Jahr 2010 verschlafen hat. Aber wirklich traurig kann man werden, wenn Kirchenmusikdirektor Reinhard Seeliger erzählt, wie viele größere Orgeln die Stadt einmal hatte, wie viele davon verloren gingen oder „verhunzt“ wurden und wie wenige klangschöne bis heute übrig geblieben sind: neben denen der Peterskirche und der Stadthalle die in der Frauenkirche, in St. Jakobus und der Lutherkirche.

Anfang Dezember wurden die Orgelmusik und der Orgelbau in Deutschland in die Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte, dass die Kultur des Orgelbaus und der Orgelmusik in Deutschland weltweit ihresgleichen suche. Durch die Aufnahme in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes werde die Bedeutung dieses über Jahrhunderte gewachsenen Erbes gebührend gewürdigt.

Der evangelische Görlitzer Kirchenmusiker Reinhard Seeliger und der katholische Diözesankirchenmusikdirektor Thomas Seyda sind ganz ihrer Meinung. „Es freut mich, dass die Unesco diese Entscheidung getroffen hat“, sagt Reinhard Seeliger. Thomas Seyda freut sich über die Wertschätzung der Arbeit der Kirchenmusiker, die damit einhergehe. „Es zeigt, dass der kulturelle Beitrag der Kirchenmusiker wahrgenommen und deren Leistung geschätzt wird.“

Daran, dass ein deutschlandweiter Unesco-Titel für ein immaterielles Kulturgut Görlitz und den Orgeln der Stadt nützlich sein könnte, glauben die beiden aber nicht. „Wir haben zwar mit unseren drei größten Orgeln, der Sonnenorgel, der Orgel der Stadthalle und der Orgel in der Jakobuskirche, ein Pfund, mit dem wir wuchern und für Görlitz werben können“, sagt Thomas Seyda. „Aber als Orgelstadt etablieren könnten wir uns damit eher nicht.“ So sieht das auch Eva Wittig von der Europastadt GmbH. Besonders die Sonnenorgel in der größten Görlitzer Kirche mitten in der Altstadt sei ein echter Publikumsmagnet. „Sie ist ganz klar der Star.“ Ein Besuch des Orgelpunkts 12 in der Peterskirche gehöre zum Pflichtprogramm für jeden Gast der Stadt. Aber dass der deutschlandweite Unesco-Titel auf lokaler Ebene etwas bringen könne, glaubt Eva Wittig nicht. „Er wird sicher keine direkten Auswirkungen auf Görlitz haben.“ Die Deutsche Zentrale für Tourismus hingegen könnte ihn für die internationale Werbung nutzen, um an Orgelmusik Interessierte nach Deutschland zu locken.

Für Reinhard Seeliger ist die Würdigung der Orgelmusik und des Orgelbaus als immaterielles Kulturgut eine Sache, die nicht zu Ende gedacht ist, weil sich der Titel gerade nicht auf das Materielle, nämlich die Instrumente bezieht. „Doch ohne Orgeln gibt es auch keine Orgelmusik.“ Zwar müsse die Kirchenmusik dringend gefördert werden. Kaum eine Gemeinde könne sich heute noch einen eigenen Kirchenmusiker leisten. Die Evangelische Kreuzkirchengemeinde zum Beispiel habe nach Kantor Wolfram Wagner keinen mehr beschäftigt. „Aber wirklich wichtig wäre es, die Orgeln zu schützen, zu erhalten und verlorene Instrumente wieder aufzubauen.“ Dabei denkt Seeliger etwa an Instrumente des Orgelbauers Friedrich Ladegast aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Solche seien beispielsweise im Merseburger Dom und im Dom von Schwerin oder auch in der Evangelischen Kirche von Reichenbach gut erhalten. In Görlitz gab es Ladegast-Orgeln im Hospital auf der heutigen Krölstraße, vermutlich im Augustum und in der Dreifaltigkeitskirche. Mehrfach umgebaut, habe Letztere aber einen furchtbaren Klang. Auch mehrere sehr klangschöne hochromantische Orgeln aus der Zeit um 1910 habe es in Görlitz neben der Stadthallenorgel gegeben: in St. Jakobus, der Lutherkirche, der Frauenkirche, in Heilig Kreuz, der Synagoge, der Nikolaikirche und der Evangelischen Kreuzkirche. Nahezu alle habe die Firma Schlag & Söhne aus Schweidnitz gebaut, die Kreuzkirche hatte wie die Stadthalle eine Sauer-Orgel erbaut. „Fast alle diese Orgeln wurden mit Stumpf und Stiel ausgerottet“, sagt Seeliger, „als andere Geschmäcker modern wurden oder das Geld knapp war.“ Einzig die Orgel aus der Synagoge sei erhalten. Sie erklinge seit 1938 in St. Bonifatius östlich der Neiße.

„Mein großer Wunsch wäre“, sagt Reinhard Seeliger, „dass wir zum einen im Zuge der Umgestaltung der Dreifaltigkeitskirche die frühere Ladegast-Orgel rekonstruieren könnten und zum anderen die Sauer-Orgel in der Kreuzkirche “. Das würde die Görlitzer Orgellandschaft reicher machen. Und was macht die Orgel der Stadthalle? „Klingt noch immer wunderbar. Wenn die Stadthalle wieder eröffnet, werden wir um ihre Orgel ordentlich Betrieb machen.“