Merken

Brücks bebildern das Internet

30000 Ansichtskarten sind jetzt im Online-Lexikon Wikipedia abrufbar. Die Motive halten Überraschungen bereit.

Teilen
Folgen
© Claudia Hübschmann

Von Peter Anderson

Meißen. Wie geht das zusammen? Ein riesiges Erntefuhrwerk mit geschätzt über 20 vorgespannten Pferden ist auf der eingescannten Ansichtskarte zu sehen. Fünf verwegene Gestalten, teils mit breitkrempigen Hüten, hat der Fotograf auf der angehängten Maschine verteilt. Die Bildunterschrift erklärt, dass es sich um ein kombiniertes Ernte-Gerät im Einsatz bei Santa Ana in Kalifornien handele.

Alte Ansichten

Schleppverband. Von der Knorre enstand 1898 diese Aufnahme mit regem Schiffsverkehr auf der Elbe.
Schleppverband. Von der Knorre enstand 1898 diese Aufnahme mit regem Schiffsverkehr auf der Elbe.
Burgblick. 1913 scheint ein recht trockenes Jahr gewesen zu sein, zumindest der Ansichtskarte nach.
Burgblick. 1913 scheint ein recht trockenes Jahr gewesen zu sein, zumindest der Ansichtskarte nach.
Wasserkur. Jux-Postkarte aus Karlsbad mit Illustration zur Wirkung der Wasserkur.
Wasserkur. Jux-Postkarte aus Karlsbad mit Illustration zur Wirkung der Wasserkur.

Die Karte mit der fortlaufenden Nummer 5 739 stammt aus dem Meißner Traditionsverlag Brück & Sohn. Seit einigen Monaten ist sie jetzt über das Online-Lexikon Wikipedia abrufbar. Dem Beispiel der Erntemaschine von Santa Ana folgend, wurde mittlerweile der gesamte Brück-Bestand von rund 30 000 zwischen 1897 und 1990 entstandenen Ansichtskarten schrittweise hochgeladen, verschlagwortet und geografisch eingeordnet. Tausende Lexikoneinträge erhielten auf diese Weise oft erstmalig eine historische Aufnahme als Illustration.

„Das ist für uns auch ein Weg, das Erbe des Verlags zu bewahren und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen“, sagt Annette Brück, die das Unternehmen zusammen mit ihrem Mann in mittlerweile siebenter Generation führt. Nächstes Jahr können Brück & Sohn das 225. Jubiläum ihrer Unternehmensgründung feiern.

Das Ansichtskarten-Archiv des Meißner Verlages liegt dabei bereits mehrere Jahre auch in eingescannter Form vor. Über Tabellen können Kunden auf der Internetseite der Firma nach einem sie interessierenden Motiv suchen. Die Spannbreite ist kaum einzugrenzen. So findet sich eine imposante Aufnahme vom Hamburger Hof in Cölln aus dem Jahr 1897 neben einer Panorama-Ansicht der marokkanischen Stadt Tanger und einem Foto aus dem voll besetzten Waschsaal der Fürstenschule Grimma von 1923. „Als die Ansichtskarte ab Ende des 19. Jahrhunderts große Mode wurde, hatte unser Verlag mit der Lichtdruckmaschine eine sehr effektive und gute Technologie zu bieten, um Serien herzustellen“, sagt Helmut Brück. Wahrscheinlich über ausgereiste Familienmitglieder kamen im Laufe der Zeit Aufträge aus der ganzen Welt nach Meißen. Für die Vereinigten Staaten ist diese These mittlerweile belegt. Fotos aus bis zu 15 Ländern umfasst das Firmenarchiv, davon allein 700 Aufnahmen aus den USA.

Dass dieser Schatz jetzt für die Allgemeinheit gehoben werden konnte, ist einem Zufall zu verdanken. Der Dresdner Wikipedianer Stephan Braun ist gleichzeitig der Enkel eines früheren Fotografen von Brück & Sohn. „Er hat uns das Projekt 2015 vorgestellt“, erinnert sich Helmut Brück.

Anfangs sei er skeptisch gewesen. Wie sollte zum Beispiel mit dem Urheberrecht verfahren werden? Schnell allerdings habe sich seine Meinung geändert. Der Enthusiasmus von Stephan Braun und seinem Mit-Wikipedianer Stefan Kühn steckte die Familie an. Man einigte sich darauf, die Karten in einer Größe von 1 000 Pixeln ins Netz zu transferieren.

Mittlerweile hat die Aktion eine eigene Dynamik gewonnen. In den letzten 30 Tagen seien 1 127 Änderungen von Wikipedianern an den Bildern vorgenommen worden, informiert Stefan Kühn. Dabei wurden die Bilder meist noch feiner in den Kategorienbaum einsortiert oder mit genaueren Ortsangaben versehen. „Das ist eine durchaus internationale Arbeit. So konnten gerade in den letzten Tagen viele Bilder aus Karlsbad und Marienbad besser zugeordnet werden“, so Kühn.

Sein Kollege Stephan Braun verweist darauf, dass es mithilfe des Brück-Schatzes möglich wird, Gebäude mitunter erstmals im Internet zu präsentieren, die aufgrund von Krieg oder Zerfall nurmehr als Ruinen existieren. Selbst für Völkerkundler bietet sich Forschungsstoff, zum Beispiel was es mit dem abenteuerlichen Erntegerät in Santa Ana auf sich hat.