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Bundestag stimmt für Griechen-Hilfe

Es ist vollbracht: Der Bundestag billigt mit großer Mehrheit weitere Milliardenhilfen für Athen. Dann begann das Warten: Wie viele „Rebellen“ aus der Union haben Merkel die Gefolgschaft verweigert?

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© dpa

Berlin. Nach kontroverser Debatte hat der Bundestag dem neuen Griechenland-Hilfsprogramm zugestimmt. Damit macht Deutschland als wichtigstes der 19 Euro-Länder den Weg frei für weitere Athener Finanzhilfen in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro aus dem europäischen Rettungsschirm ESM. Ebenfalls am Mittwoch wollten die Niederlande als letztes Land entscheiden. Anschließend geben die Euro-Finanzminister die erste Kreditrate von 26 Milliarden Euro frei.

In der Sondersitzung des Bundestages stimmten 453 Abgeordnete für das Hilfspaket, 113 waren dagegen. 18 Parlamentarier enthielten sich in der namentlicher Abstimmung. 47 Abgeordnete blieben der Abstimmung fern, weil sie im Urlaub waren oder aus anderen Gründen fehlten.

Wie viele Abweichler es in der Unionsfraktion von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gab, blieb zunächst offen. Die Veröffentlichung der Namenslisten wurde erst gegen 13.00 Uhr erwartet. Im Lager der Regierungsparteien CDU und CSU wurde mit etwa 60 Nein-Stimmen gerechnet.

Fragen und Antworten zum Hilfspaket

Der Bundestag hat dem dritten Hilfspaket für Griechenland zugestimmt. Aber was genau sieht das Programm eigentlich vor? Welche Risiken birgt es für den deutschen Steuerzahler? Und ist Griechenlands Austritt aus der Eurozone („Grexit“) damit vom Tisch? Das Wichtigste im Überblick.

Wieviel Geld bekommt Griechenland und was muss Athen leisten?

Insgesamt hat das Rettungspaket für Griechenland ein Volumen von 86 Milliarden Euro. Eine erste Auszahlung soll 26 Milliarden Euro schwer sein. Die Zeit drängt, schon am Donnerstag muss Athen fällige Schulden in Milliardenhöhe an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen. Aus eigenen Mitteln wäre dies für Griechenland kaum zu stemmen. Im Gegenzug zu der Finanzspritze verpflichtet sich das Land zu weitreichenden Reform- und Sparmaßnahmen. Unter anderem muss die Regierung den Staatshaushalt sanieren, das Finanzsystem von faulen Krediten bereinigen, Staatseigentum privatisieren, das Renteneintrittsalter erhöhen, die Verwaltung modernisieren und Steuerhinterziehung stärker bekämpfen.

Droht der „Grexit“ immer noch?

Die Gefahr scheint vorerst gebannt. Für EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ist aufgrund des dritten Hilfspakets klar: „Griechenland wird unabänderlich Mitglied der Eurozone bleiben.“ Sogar Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schlägt inzwischen gemäßigtere Töne an. Schäuble hatte sich in den vergangenen Wochen für einen vorübergehenden „Grexit“ ausgesprochen. Dafür hatte der Finanzminister viel Kritik geerntet. Auf die Frage, ob ein „Grexit“ durch das neue Hilfspaket vom Tisch sei, sagte er nun: „Griechenland muss die Wahl treffen.“ Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hat den Austritt seines Landes aus dem Euro als finanziellen „Selbstmord“ bezeichnet. Insofern lassen sich Schäubles Worte als Warnung an Athen verstehen, die zugesagten Reformen auch wirklich umzusetzen.

Was kommt auf den deutschen Steuerzahler zu?

Das dritte Hilfsprogramm wird aus dem Rettungsschirm ESM finanziert. Der Finanzierungsanteil Deutschlands am ESM beträgt knapp 27 Prozent. Deutschland haftet demnach für das neue Hilfspaket mit rund 23,2 Milliarden Euro. Das bedeutet aber nicht, dass der deutsche Steuerzahler diese Summe tatsächlich zahlen muss. Dies würde nur für den Fall gelten, dass alle Gläubiger irgendwann auf sämtliche Forderungen aus dem ESM verzichten müssen. Bisher haftet Deutschland für Risiken aus den ersten beiden Griechenland-Paketen sowie für Forderungen aus dem europäischen Zentralbankensystem und aus Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit einem Volumen von schätzungsweise 85 Milliarden Euro. Zusammen mit dem dritten Hilfspaket ergeben sich also gut 108 Milliarden Euro.

Kann Griechenland seine Schulden jemals zurückzahlen?

Die griechische Staatsverschuldung liegt derzeit bei gut 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und es könnte noch schlimmer kommen: Der IWF erwartet, dass sich der Schuldenberg innerhalb der nächsten zwei Jahre der 200-Prozent-Marke annähern wird. Dabei geht er davon aus, dass bereits bei einer Staatsverschuldung von 110 Prozent der Wirtschaftsleistung fraglich ist, ob Griechenland auf Dauer zahlungsfähig bleiben kann. Der IWF hat daher einen Schuldenschnitt für das Land gefordert. Die Bundesregierung hält davon aber nichts. Die Debatte um einen Schuldenschnitt sei inzwischen beendet, hieß es am Montag aus Berlin. Bei Schuldenerleichterungen gebe es allerdings Spielraum.

Schuldenschnitt oder Schuldenerleichterung?

Ein Schuldenschnitt bedeutet den vollständigen Erlass zumindest eines Teils der bestehenden Schulden. Diese werden dann von den Gläubigern komplett abgeschrieben und vom Schuldner nicht mehr zurückgezahlt. Nach den europäischen Verträgen ist ein solcher Schuldenschnitt aufgrund einer sogenannten „No-Bailout“-Klausel eigentlich ausgeschlossen. Im Unterschied zum Schuldenschnitt geht es bei Schuldenerleichterungen, wie sie die Bundesregierung in Erwägung zieht, um Verlängerungen der Rückzahlungsfristen und um Verringerungen der Zinsen. Niedrigere Zinsen wirken ähnlich wie ein Schuldenschnitt, weil sie die Forderungen der Gläubiger über die Zeit tatsächlich verringern. Verlängerungen der Kreditlaufzeiten dagegen verringern den Schuldenberg nicht, verschieben aber den Zahltag weiter nach hinten. (dpa)

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Mit den neuen Hilfen soll erreicht werden, dass Athen alte Schulden bedienen kann, gleichzeitig aber auch Luft für Investitionen bekommt. Griechenland muss bis zum Donnerstag knapp 3,4 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen. Erst im Herbst wird sich zeigen, ob der Internationale Währungsfonds (IWF), der eine massive Umschuldung fordert, dauerhaft bei der Griechenland-Rettung an Bord bleibt.

In der fast dreistündigen Bundestagsdebatte hatte die Bundesregierung für Unterstützung des neuen dreijährigen Hilfsprogramms geworben. „Es wäre unverantwortlich, die Chance für einen neuen Anfang in Griechenland jetzt nicht zu nutzen“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in einer Regierungserklärung.

Unionsfraktionschef Volker Kauder räumte ein, dass es „schwierige Diskussionen auch gerade in meiner Fraktion“ gebe. Kauder hatte Abweichlern in der Sommerpause mit der Abberufung aus wichtigen Bundestagsausschüssen gedroht und war dafür massiv kritisiert worden. Jetzt aber würden die Bürger die Politik nicht am Thema Griechenland, sondern an der Bewältigung der Flüchtlingskrise messen.

Beim letzten Griechenland-Votum im Bundestag hatten vor einem Monat 60 Unionspolitiker der Kanzlerin die Gefolgschaft verweigert. Merkel selbst sprach in der Debatte nicht. Die Kanzlerin flog nach der Abstimmung am Mittwoch mit dem halben Kabinett nach Brasilien ab.

Schäuble sagte, die Entscheidung falle auch ihm nicht leicht. „Natürlich gibt es keine Garantie, dass das alles funktionieren wird. Und Zweifel sind immer erlaubt.“ Einen Schuldenschnitt schloss Schäuble abermals aus. Für die Bundesregierung sei unabdingbar, dass der IWF mit seiner Expertise weiter mitmache. Das dritte Programm startet ohne finanzielle Beteiligung des IWF.

Die Linksfraktion wollte größtenteils Nein zu den Hilfen sagen, obwohl ihre Schwesterpartei Syriza in Athen regiert. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warf der Linken Scheinheiligkeit vor. „Wenn sie heute mit Nein stimmen, fallen sie ihrer Schwesterpartei Syriza in Griechenland in den Rücken.“ Linksfraktionschef Gregor Gysi betonte, das Nein richte sich gegen die verheerende Krisenpolitik der schwarz-roten Koalition.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf Merkel vor, dem Zusammenhalt in Europa zu schaden. Die Regierung habe „populistisch und uneuropäisch“ gehandelt, auch antideutsche Klischees bedient. Die Grünen wollten bei den Hilfen dennoch mitziehen - das sei jedoch ein „Ja zu Europa“, kein Ja zur Bundesregierung.

In Athen wurde mit großem Interesse auf Berlin geschaut. Das staatliche Fernsehen (ERT1) und einige Nachrichtenportale übertrugen am Mittwochmorgen große Teile der Bundestagsdebatte live und mit griechischer Simultanübersetzung. (dpa)