Dresden
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Bunter Blick in die Leber

Was genau in dem Organ passiert, war 70 Jahre lang wenig erforscht. Ein neues Modell kommt jetzt aus Dresden. 

Von Jana Mundus
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So farbenfroh sieht es in der Leber aus. Zumindest in der Darstellung, die nun in Dresden entwickelt wurde. Blutgefäße sind zum Beispiel rosa dargestellt, Gallenkanäle grün.
So farbenfroh sieht es in der Leber aus. Zumindest in der Darstellung, die nun in Dresden entwickelt wurde. Blutgefäße sind zum Beispiel rosa dargestellt, Gallenkanäle grün. © MPI-CBG

Es ist ein ganz neuer Blick auf die Leber. Auf die Struktur, die das Organ ausmacht. Und er war mehr als überfällig. Schon 1949 legte Hans Elias den Grundstein für die strukturelle Analyse des Lebergewebes von Säugetieren. Er entwickelte ein Modell der Lederläppchen, der kleinen Bausteine des Lebergewebes. Bis heute wird es in Lehrbüchern verwendet. Dresdner Wissenschaftler zeichnen mit modernsten Methoden nun ein ganz neues Bild.

Die Leber ist das größte Stoffwechselorgan des menschlichen Körpers mit einer komplexen Gewebearchitektur. Diese ist unerlässlich für die Entgiftung des Blutes und den Stoffwechsel. Das Blut fließt über Blutgefäße zu den Leberzellen, den sogenannten Hepatozyten, die Nährstoffe aufnehmen und umwandeln und Galle produzieren, die dann in den Darm gelangt. Wie jedoch beeinflussen sich Zellen untereinander und wie organisieren sie sich, um ein funktionierendes Gewebe zu bilden? Um das zu verstehen, muss man die dreidimensionale Struktur kennen. Die Architektur von Geweben und deren Einfluss auf die Funktion des Gewebes sind heute noch wenig verstanden. Ein interdisziplinäres Team aus Biologen, Physikern und Mathematikern des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme und der TU Dresden wollte deshalb ein neues Modell entwickeln, das erklären kann, wie Zellen kollektiv Lebergewebe und damit ein gesundes Organ bilden.

Von Hand hatte der Anatom Hans Elias sein Modell der grundlegenden Struktur des Leberläppchens gezeichnet. Seitdem waren nur sehr wenige Fortschritte gemacht worden. Um dieses Problem zu lösen, rekonstruierten die Dresdner Forscher computergestützt die dreidimensionale Geometrie des Gewebes aus mikroskopischen Aufnahmen der Mausleber und analysierten es ganz genau. Obwohl Lebergewebe eher ungeordnet erscheint, fanden die Forscher überraschenderweise heraus, dass die Leberzellen in ihrer Anordnung Flüssigkristallen ähneln, die unter anderem in elektronischen Displays verwendet werden. Flüssigkristalle sind weniger strukturiert als Kristalle, aber organisierter als Moleküle in einer Flüssigkeit.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Leberzellen und die kleinsten Blutgefäße im Körper in beide Richtungen miteinander kommunizieren: Die Blutgefäße geben den Leberzellen Anweisungen und die Leberzellen senden Signale an die Blutgefäße zurück, um die Flüssigkristall-Anordnung herzustellen und zu erhalten. „Diese beidseitige Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil der Selbstorganisation des Lebergewebes“, sagt Hernán Morales-Navarrete, Postdoktorand am MPI-CBG. Eine solche Architektur verleihe dem Gewebe Funktion und Widerstandsfähigkeit gegenüber lokalen Schäden.

Marino Zerial, Direktor am MPI-CBG, der auch dem Zentrum für Systembiologie Dresden angehört, fasst zusammen: „Wir haben neue Prinzipien der Struktur und Organisation von Lebergewebe entdeckt.“ Nur wenn bekannt ist, wie Lebergewebe gebildet und daraus ein funktionierendes Organ entsteht, können Mediziner Anomalien und Fehlfunktionen beim Menschen besser erkennen. „Unsere Studie bietet auch eine allgemeine Grundlage, um die Interaktion von Zellen und ihre Organisation in Gewebe besser zu verstehen.“