Die "Aida" in Chemnitz will einfach zu viel

Von Jens Daniel Schubert
Das letzte Wort ist: „Friede.“ Es klingt geradezu beschwörend durchs Chemnitzer Opernhaus. Mit Verdis „Aida“ steht auch hier wieder ganz große Oper auf dem Spielplan, mit Chor, Extrachor, Ballett und Komparserie auf der Bühne und einem groß besetzten Orchester im Graben. Gefeierte Premiere war am Samstag.
Amneris singt diesen letzten Friedenswunsch am Grab ihres Geliebten. Sie selbst hat ihn aus Eifersucht dahin manövriert. Es ist die späte Reue einer mit Haut und Haaren Liebenden. Nadine Weissmann spielt und singt diese Herrschertochter, die mit allen Mitteln um den geliebten Mann kämpft und dabei lieben und besitzen verwechselt, mit ergreifender Urgewalt. Das Ziel ihrer Begierde ist Radamès, der kraftvolle Kriegsherr. Er liebt von Beginn an nur Aida, ihre Sklavin. Hector Sandoval gibt seiner Figur strahlende und berührende Tenortöne und eine rollengerecht gespielte Hilflosigkeit.
Eindringliche Gestaltung
Es dauert sehr lange, bis der verblendete Mann erkennt, dass er die Geliebte nicht erobern kann, wenn er gegen ihr Volk in den Krieg zieht. Aida dagegen begreift sehr schnell das Dilemma, in dem sie steckt. Vater und Brüder ebenso liebend wie den Feldherren, dessen Aufgabe ist, sie zu vernichten. Tatiana Larina hat die Partie, die sie eigentlich erst in einer nächsten Aufführungsserie singen sollte, innerhalb von Stunden übernommen und zur Premiere eindringlich gestaltet.
Das gesamte Solistenensemble, Chor und Chorgäste sowie die Robert-Schumann-Philharmonie musizieren unter Guillermo Garcia Calvo einen hochdramatischen, in seiner Bandbreite begeisternden Verdi, der noch lange nachklingt.
Einschläge von Granaten, einquartierte Soldaten
Szenisch stand die Premiere unter weniger gutem Stern. Das Inszenierungsteam Barbe & Doucet hatte Konzept, Dramaturgie, Bühne und Kostüme entworfen, sich aber bereits zu Probenbeginn mit der Theaterleitung geeinigt, sich aus dem Projekt zurückzuziehen. In dieser Situation einen Theatermacher zu finden, der über genügend Erfahrung und handwerkliches Geschick verfügt, das Stück zur Premiere zu bringen, und dabei bescheiden genug ist, sich in den Dienst eines fremden Konzeptes, in bereits im Bau befindlichen Bildern mit angefertigten Kostümen und bis in Details festgeschriebenen Anlagen zu stellen, ist ein Kunststück. Ingolf Huhn, erfahrener Opernregisseur und über viele Jahre Intendant verschiedener Theater der Region, fand sich dazu bereit.
Das Konzept des Abends ist zunächst frappierend. Man zaubert kein kunstvolles Ägypten auf die Bühne, sondern greift die hochdramatische Uraufführungssituation auf. In einer Pariser Villa des Jahres 1870 sitzt man auf gepackten Koffern, um nach Kairo zu reisen. Aber Ensemble und Dekorationen sind blockiert. Es ist Krieg. Die Deutschen stehen vor Paris. Durch die Fenster sieht man die Einschläge von Granaten. Einquartierte Soldaten mischen sich unter die bunte Gesellschaft von Hausbewohnern rund um den Ägyptologen und „Aida-Erfinder“ Auguste Mariette und den Darstellern der Oper, deren zivile Kleidung des Jahres 1870 unter den historisierenden Kostümen sichtbar ist.
Gefesselt im Konventionellen
Die Handlung der Oper entwickelt sich scheinbar aus dieser Situation. Aufwändig geführte Statisten, allen voran zwei Kinder aus der Opernballettschule der Theater Chemnitz, halten anfangs die Doppelbödigkeit von Opern- und „Realhandlung“ aufrecht. Das ist beängstigend und bedrückend, wenn man die Bilder des realen Krieges in der Ukraine mitdenkt, etwa das Theater von Mariupol. Aber es geht nicht auf. Irgendwann überwiegt der Aufwand, Subtexte und Parallelhandlungen zu organisieren die eigentlichen Regieaufgaben, den handelnden Opernfiguren szenische Angebote zur sinnlichen Umsetzung ihrer Geschichten, Gefühle und Beziehungen zu geben.
Letztendlich schafft Huhn weder das eine noch das andere. Die erfundene Rahmenhandlung behindert das Spiel mehr, als dass sie neue Einsichten befördert. Das Spiel der Opernakteure wie auch die Ballette von Henrick Victorin bleiben im Konventionellen gefesselt. Die Fantasie für sinnliche, theatralische Lösungen versiegt. So stehen Aida und Radamès, im Grab gefangen, dem Tode geweiht, aber vereint, an der Rampe und singen. Hinter ihnen ein abstrakt bemalter Vorhang, durch den man Amneris sehen kann. Sie wünscht nicht nur dem Geliebten Frieden.
Wieder am 30.4., 6., 14. und 27.5.; Kartentelefon: 0371 4000430