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Ein fast perfektes Verbrechen?

Seit Dezember steht eine 67-Jährige in Chemnitz vor Gericht. Sie soll 2003 ihren Mann ermordet haben, bestreitet das aber. Nun soll ein Urteil fallen.

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Blick auf das Chemnitzer Landgericht.
Blick auf das Chemnitzer Landgericht. © Hendrik Schmidt /dpa

Von Andreas Hummel

Chemnitz. Wenn die 67-Jährige vor dem Landgericht Chemnitz ihre Stimme erhebt, dann müssen alle im Saal die Ohren spitzen. Leise spricht die Angeklagte mit weißem Haar, manchmal zittern ihre Hände. Sie beteuert ihre Unschuld, sieht sich selbst als Opfer. Doch Zeugen schildern eine Frau mit zwei Gesichtern. Und der Vorwurf wiegt schwer. Heimtückisch und aus Habgier soll sie ihren Ehemann im Mai 2003 ermordet haben. Rund 17 Jahre lang blieb die Tat unbemerkt, hätte als perfektes Verbrechen gelten können. Doch dann brachte ein Bluff die Mordermittlungen ins Rollen. Nun will das Schwurgericht am Montag über Schuld oder Unschuld entscheiden.

DER TOD: In der Nacht zum 20. Mai 2003 stirbt hinter der Idylle eines Einfamilienhauses in Chemnitz ein 49 Jahre alter Ingenieur. Sie habe ihrem alkoholkranken Mann offenbart, dass sie sich scheiden lassen wolle, sagt die Ehefrau fast 18 Jahre später vor Gericht. Dann sei sie ins Bett gegangen. Am Morgen habe sie sich zunächst gewundert, dass Licht brennt und das Radio spielt - und dann ihren Mann leblos auf dem Boden gefunden. "Ich dachte, er ist betrunken und schläft. Ich wollte ihn wachrütteln." Doch "Hansi", wie er von Freunden und Familie genannt wird, ist tot. Bei der Obduktion wird ein erheblicher Alkoholpegel festgestellt. Der Fall wird zu den Akten gelegt, die Ermittler gehen von einem Unfall oder Suizid aus.

DER BLUFF: Schon damals hat mancher Zweifel, doch Mordermittlungen kommen erst 17 Jahre später ins Rollen. Eine Tochter der Angeklagten sorgt sich nach eigener Aussage um das Leben ihres Stiefvaters. Sie spricht von psychischer Gewalt und Beleidigungen ihrer Mutter gegen ihn - und traut ihr zu, ihm etwas anzutun. Unter einem Vorwand verwickelt sie die Mutter an deren Geburtstag Anfang Mai 2020 in ein Gespräch unter vier Augen. Ihr Ex-Partner und Vater des gemeinsamen Kindes nehme Drogen, erzählt sie und erbittet sich Rat bei der Seniorin, die sich wohl öfter mit Blanko-Privatrezepten nach Bedarf Medikamente beschafft. Dabei fragt sie auch nach den Todesumständen ihres Vaters. Die Mutter plaudert freimütig - was sie nicht weiß: Die Tochter nimmt das Gespräch mit dem Handy in der Hosentasche auf.

DER MITSCHNITT: 29 Minuten und 13 Sekunden dauert die Aufnahme. Im Gerichtssaal ist es mucksmäuschenstill, als sie abgespielt wird. Zu sehen ist auf dem verwackelten Video nicht viel: Mal ein paar Möbel, mal der Kratzbaum einer Katze, später der Garten. Doch was zu hören ist, hat es in sich. Nicht nur, dass die Angeklagte fachsimpelt, wie die Tochter ihren Ex-Partner ohne Spuren zu hinterlassen umbringen könnte. Detailreich spricht sie auch über den Tod ihres Mannes. Wie sie ihm ein Schlafmittel ins Pfefferminzeis gemischt habe. Wie es ihn nach einer halben Stunde am Schreibtisch "zusammengedreht" habe. Und wie sie ihm Cognac und Desinfektionsmittel zu trinken gegeben habe. "Er hat noch selber geschluckt", berichtet sie in dem Gespräch. Und dass bei der Obduktion keine Fremdeinwirkung gefunden wurde.

DER VORWURF: Für die Anklage ist der Fall klar: Mord. Und zwar heimtückisch und aus Habgier. Laut Staatsanwalt Stephan Butzkies hat sie nicht nur die Wehrlosigkeit ihres Ehemannes ausgenutzt. Sie hat auch befürchtet, ihn im Falle der Trennung auszahlen zu müssen. Die Lebensversicherung will sie genutzt haben, um die Kreditlast auf dem Haus zu verringern. Noch im selben Jahr zog dort ihr neuer Partner ein, den sie aber erst als Witwe kennengelernt haben will.

IHRE VERSION: "Einen Mord habe ich nicht begangen", beteuert die 67-jährige Deutsche am fünften Prozesstag. Doch warum dann das Geständnis im Vier-Augen-Gespräch mit der Tochter? Sie habe ihr nicht die Wahrheit sagen wollen, damit sie nicht die Achtung vor ihrem Vater verliere, ringt die Seniorin um eine Erklärung: "Deswegen habe ich versucht es so zu erzählen, als war ich es." Was ihr Mann intus hatte, habe sie durch die damalige Obduktion gewusst. Und sie äußert ein Motiv, warum ihre Tochter sie in eine Falle gelockt und angezeigt habe: Die 38-Jährige wolle sie aus dem Weg räumen, um an das von ihr und ihrem Ehemann bewohnte Haus zu gelangen.

Doch so zufällig wie von der Angeklagten dargestellt sind manche Details aus dem Gespräch offensichtlich nicht. Ein Sachverständiger klärt das Gericht kurze Zeit später auf, dass das ins Eis gemischte Schlafmittel Minzöl enthalte. Daher sei Pfefferminzeis naheliegend, um den Geschmack zu übertünchen, so der Leipziger Toxikologe.

DIE ANGEKLAGTE: Dem Gericht wird von Zeugen eine Frau mit zwei Gesichtern geschildert. Sie sei eine "sehr ruhige, angepasste Frau", sagt etwa der Psychologe der Justizvollzugsanstalt, wo die 67-Jährige in Untersuchungshaft sitzt. Sie zeichne viel, sei hilfsbereit und freundlich Mitgefangenen gegenüber. Bei einigen früheren Freunden, Kollegen und Familienangehörigen klingt das ganz anders: Sie beschreiben die gelernte Sekretärin als intrigant, rabiat und falsch.

Ihre erstgeborene Tochter erzählt etwa vor Gericht, sie sei als Kind systematisch eingeschüchtert, bedroht und misshandelt worden. Über ihre Mutter sagt die 49-Jährige: "Sie ist eine sehr manipulative, sehr böse Frau." Die Psychologin hat vor vielen Jahren den Kontakt abgebrochen. Ein Wiedersehen gab es Ende Januar vor Gericht: Die Tochter als Zeugin, - schräg gegenüber ihre Mutter unter Mordverdacht. (dpa)