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Christen durften nicht aktiv Widerstand leisten

Die Sonderausstellung über Paul Schneider führt auch zu dem bekannten Theologen und Nazigegner Dietrich Bonhoeffer.

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© Kristin Richter

Von Erich Busse

Großenhain. Die Nachricht vom Tod Paul Schneiders 1933, des Predigers von Buchenwald, gelangte nach London. Dort erfuhr Dietrich Bonhoeffer von Schneider und bezeichnete ihn als Märtyrer. Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer stehen für das Grundproblem der evangelischen Kirche vergangener Jahrzehnte. Paul Schneider hat nie Gewalt ausgeübt, nie zu Gewalt aufgerufen, hat keine Juden, Kommunisten oder entflohene KZ-Häftlinge versteckt. Er hat sich „nur“ konsequent dagegen gewehrt, dass der NS-Staat sich an die Stelle Gottes setzt, dass der Staat in die Kirche hineinregiert. Das brachte ihm schließlich die Ermordung in Buchenwald ein. Bonhoeffer war klarsichtiger als viele andere. Er hatte schon 1933 gesehen, dass die Nazis Deutschland in Tod und Verderben führen werden. Deshalb hat er sich dem aktiven Widerstand angeschlossen. Auch er hat keine Attentate verübt, keine Menschen ermordet, aber er beteiligte sich am Widerstand, der sich gegen Hitler formierte. Schließlich stand er auf einer Liste von circa 100 Personen, die Hitler unbedingt tot wissen wollte, bevor er Selbstmord verübte. So wurde Bonhoeffer am 9. April 1945, also wenige Tage vor dem absoluten Ende der Hitlerherrschaft, umgebracht.

Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer © Kristin Richter

Die Trümmer in Deutschland rauchten noch nach dem mit deutscher Gründlichkeit verlorenen Krieg, da veröffentlichte die evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg eine Kanzelabkündigung. Anlass war der erste Jahrestag des Attentates auf Hitler in der Wolfsschanze am 20. Juli 1944. In dieser Verlautbarung der evangelischen Kirche finden wir kein Wort, dass Deutschland den Krieg begonnen hat. Kein Wort zur Ermordungsindustrie der Konzentrationslager. Kein Wort zum Mord an anderen Völkern. Aber eine kompromisslose Verurteilung des Attentates auf Hitler.

Gleichzeitig wurde Paul Schneider als Märtyrer benannt. Andere, wie Dietrich Bonhoeffer, wurden nicht genannt. Paul Schneider war durch diese Kanzelabkündigung zum Märtyrer ernannt worden. Ich versuche, mir vorzustellen, was Paul Schneider gesagt hätte zu dieser Vereinnahmung durch die, die ihn verraten und ausgeliefert und zu den Verbrechen Hitlers geschwiegen haben. Dietrich Bonhoeffer und alle anderen, die Mut und Charakter gezeigt hatten, die Widerständler des 20. Juli, alle Deserteure und viele, viele andere, durften noch Jahrzehnte nach dem Krieg ungestraft als Vaterlandsverräter und Mörder bezeichnet werden. Wenig bekannt ist, dass Dietrich Bonhoeffer auch von der bekennenden Kirche verraten wurde. Er stand nicht auf den Fürbittenlisten für die Verhafteten der bekennenden Kirche, weil er aktiv Widerstand, weil er „politischen“ Widerstand geleistet hatte. Nach damals herrschender Theologie durfte, ja musste ein Christ auf Befehl von Kaisern und Königen in Kriegen morden, aber er durfte nicht aktiven Widerstand leisten, nicht den Wehrdienst verweigern. Wir sind heute glücklich, dass es die bekennende Kirche überhaupt gegeben hat. Aber auch sie hatte sich noch nicht vollständig die Jahrhunderte herrschende Theologie des blinden Obrigkeitsgehorsams verworfen.

Die bekennende Kirche war nicht geschlossen und nicht prinzipiell gegen den NS-Staat. Sie bemühte sich, dem Staat gegenüber loyal zu sein. Sie wehrte sich „nur“ dagegen, dass der NS-Staat die Kirche „gleichschalten“ wollte. Bonhoeffer forderte bedingungsloses Eintreten für alle Juden, nicht nur für die getauften Juden, aber dieser Forderung schlossen sich nur Teile der bekennenden Kirche. Nach 1945 blieben in der Kirche und in der alten Bundesrepublik viele, die allermeisten Staatsbeamten, die Polizisten, Richter, Lehrer usw. auf ihren Posten und versuchten nach Kräften, die Aufklärung der Verbrechen der Nazizeit und ihren eigenen Anteil daran zu verhindern. Sie alle strickten eifrig an einer neuen „Dolchstoßlegende“: „Wir waren alle gegen Hitler. Aber Widerstand war nicht möglich, das hätte das Leben gekostet.“ In dieses Bild passten natürlich nicht Leute, die aktiven Widerstand geleistet hatten. Deshalb mussten sie totgeschwiegen werden, oder wie in der Kanzelabkündigung vom 20. Juli 1945 faktisch zu Verbrechern erklärt werden. Nur die allerwenigsten Pfarrer und Kirchenbeamten hatten juristische oder disziplinarische Schwierigkeiten. Viele von diesen Kirchen-Beamten führten, diesmal im Stillen, ihren Krieg gegen die bekennende Kirche weiter. Auch in der DDR hatten nur sehr wenige Kirchenbeamte Schwierigkeiten wegen stramm-deutscher und dunkelbrauner Vergangenheit.

Die Ausstellung läuft noch bis 5. Mai täglich.