Coole Type
Von Ingolf Reinsch
Karl Louis Lehmann kommt auf dem Quad zum Interviewtermin. Der Töpfermeister, der in wenigen Tagen 73 wird, ist fit. Nicht nur auf dem Quad. Fürs Sportabzeichen schwamm er erst kürzlich 400 Meter im Steinigtwolmsdorfer Bad.
Klar, dass er auch dort mit dem Quad vorfuhr. Auf dem sportlichen Gefährt ist er oft unterwegs. Nicht nur in Neukirch und der näheren Umgebung. Im Sommer fuhr er mit seinem Quad in mehreren Tagesetappen zum Stadtfest nach Bönnigheim, Neukirchs Partnerstadt in Baden-Württemberg. Hin und zurück 1 347 Kilometer, vornehmlich auf Nebenstraßen. Karl Louis Lehmann erzählt es mit einer Ruhe, als wäre so eine Tour das Selbstverständlichste von der Welt. Er ist kein Aufschneider, sondern einer, der immer bodenständig war und es geblieben ist. Der die Freiheiten des Ruhestandes genießt, solange es die Gesundheit erlaubt, und der trotzdem mit dem Betrieb, den er 30 Jahre lang mit seiner Frau Renate führte, noch immer eng verbunden ist.
Verantwortung an die Söhne abgegeben
Zum 1. Januar 1969 hatte er die Töpferei, die 1834 gegründet wurde, übernommen. Auf den Tag genau 1999 übergab er den Betrieb seinen Söhnen. Damals war Karl Louis Lehmann noch keine 60 – und er wollte weiter arbeiten. Aber er wollte auch Verantwortung abgeben, damit die nächste, die sechste Töpfergeneration in der Familie ihre Chance bekommt. „Wie sollen es die jungen Leute sonst lernen, einen Betrieb zu leiten und ihre Ideen umzusetzen, wenn die Alten bis 65 an ihrem Stuhl festhalten? “, fragt der Handwerksmeister. Seinen beiden Söhnen Karl Louis Junior und Edgar spricht er bei der Geschäftsführung nicht rein. Aber er ist da, wenn Hilfe gebraucht wird. Der Senior ist oft in der Firma, schaut den Gesellen bei der Arbeit über die Schulter, stellt gelegentlich noch selbst kleine Keramikteile her, und wird auch in diesem Dezember mit dem Transporter wieder quer durch Deutschland fahren, um Ware zu jenen Weihnachtsmärkten zu bringen, auf denen die Töpferei Lehmann mit einem Stand vertreten ist. Nebenbei, sagt Karl Louis Lehmann schmunzelnd, sei er im Haus noch der „Museumsdirektor“. Heißt: Er betreut einen gediegen eingerichteten Raum in der Töpferei, der mit Keramik aus mehreren Jahrzehnten, Fotos, Meisterbriefen und anderen historischen Zeugnissen die Geschichte des Familienbetriebes und der Neukircher Töpferinnung dokumentiert. Dort steht auch ein Schreibtisch, an den sich der Senior gern zurückzieht, wenn er mal in Ruhe etwas aufschreiben möchte. An diesem Tisch entstand zum Beispiel die Festschrift für das diesjährige Töpferfest. Sie erinnert darin an die Gründung der Sächsischen Landesinnung des Töpfer- und Keramikerhandwerkes vor 25 Jahren, deren Obermeister er viele Jahre gewesen ist. Im „Museum“ schreibt er gelegentlich auch Kurzgeschichten, die auf Selbsterlebtem aufbauen. Ein erstes Heft mit zwölf Geschichten unter dem Titel „Lehmannsgarn“ gibt es schon. Ein weiteres Heft erscheint in den nächsten Tagen. Dabei sitzt dem Noch-72-Jährigen auch hier der Schalk im Nacken. Er veröffentlicht seine Geschichten unter Charl Lui Lemong (französisch mit Nasallaut auszusprechen), seinem Spitznamen aus Ausbildungszeiten.
Wichtige Fragen werden in der Familienrunde besprochen
Programm des Töpferfestes
Die Familie und deren lange Tradition bedeuten dem Töpfermeister alles. Zu den Lehmann’schen Traditionen gehört es, dass der erstgeborene Sohn den Doppelnamen Karl Louis bekommt. Im Wohnzimmer steht ein großer Tisch. „Dort werden alle wichtigen Fragen besprochen“, sagt der Altmeister. Ist die Runde komplett, sitzen er, seine Frau, die drei Söhne und Schwiegertöchter sowie sieben Enkel – sechs Jungen und ein Mädchen – am Tisch. Darunter sind sechs lebende Töpfermeister: Renate und Karl Louis Lehmann, ihre drei Söhne Karl Louis, Edgar und Hans sowie dessen Frau Cornelia, die in Burkau eine Töpferei besitzt. „Das dürfte weltweit einzigartig sein“, vermutet der Senior.
Im Sommer 1989 gehörte Karl Louis Lehmann zu den Organisatoren des ersten Neukircher Töpferfestes, dem einzigen, das zu DDR-Zeiten stattfand. Seit 1991 organisiert die Töpferei Lehmann das Fest privat. Mittendrin wie in jedem Jahr auch diesmal der Altmeister. „Ich habe Spaß am Organisieren“, begründet Karl Louis Lehmann sein Engagement. Er ist stolz auf seine Zunft, die sich ab Freitag in Neukirch präsentiert. Es ist die Liebe zur Keramik, die immer wieder aufs Neue motiviert, sagt er. Die eigene Liebe und die vieler Kunden, darunter auch junger Leute, die wieder zunehmend auf Töpferware setzen.