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Streit über Gutscheine bei Reiseabsagen

Wird die Reise wegen der Corona-Krise abgesagt, ist die Erstattung des Preises fällig. Ob auch ein Gutschein reicht, ist zwischen Berlin und Brüssel strittig.

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Eine Restaurant-Terrasse im spanischen Port d’Andratx bleibt während der Coronavirus-Krise auf der Insel Mallorca für die Öffentlichkeit geschlossen.
Eine Restaurant-Terrasse im spanischen Port d’Andratx bleibt während der Coronavirus-Krise auf der Insel Mallorca für die Öffentlichkeit geschlossen. © Clara Margais/dpa

Berlin. Zwischen Berlin und Brüssel ist offener Streit über die von der Bundesregierung angestrebte verpflichtende Gutscheinlösung bei Reiseabsagen in der Corona-Krise ausgebrochen. Die EU-Kommission hat diesen Überlegungen eine Absage erteilt, denn sie will eine Einschränkung der Verbraucherrechte nicht zulassen. 

Der zuständige Kommissar für Justiz und Verbraucherschutz, Didier Reynders, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er sei sich der Krise für den Tourismussektor in Europa bewusst. Doch Entscheidungen der Mitgliedstaaten müssten mit EU-Recht übereinstimmen, betonte der Belgier. Danach hätten Verbraucher die Wahl, ob sie einen Gutschein akzeptierten oder eine Erstattung bevorzugten.

Zu Reynders Äußerungen hieß es in Berlin recht schmallippig: "Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die erste Einschätzung der Kommission zu der vorgeschlagenen Gutscheinlösung zur Kenntnis genommen." Ein Ministeriumssprecher sagte dem "Handelsblatt", die Bundesregierung werde sich auf europäischer Ebene weiter für eine europarechtskonforme Gutscheinlösung einsetzen, die auch die Interessen der Verbraucher angemessen berücksichtige.

Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, mahnte dabei Tempo an. Der CDU-Politiker sagte der Deutschen Presse-Agentur: "In Berlin war uns eine enge Abstimmung mit Brüssel wichtig. Allerdings wird der wirtschaftliche Druck von Tag zu Tag größer. Andere EU Länder waren da nicht so zurückhaltend und haben zwischenzeitlich den obligatorischen Gutschein gesetzlich eingeführt. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Lösung kommen können."

Der Wirtschafts-Staatssekretär fügte hinzu, eine Gutscheinlösung sei ein gutes Instrument, um die Struktur der Veranstalter und Reisebüros zu erhalten. "Die Summe der jetzt fälligen Rückerstattungen ist enorm und es entsteht ein Liquiditätsengpass, der die ganze Branche wie eine Lawine erfassen wird. Gerade kleine und mittlere Firmen sind in ihrer Existenz gefährdet." Die Kunden könnten sich aber darauf verlassen: "Wenn es einen gesetzlichen Gutschein gibt, dann mit einer garantierten Absicherung."

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Bei abgesagten Reisen sollen die Verbraucher nach dem Willen der Bundesregierung Gutscheine statt einer sofortigen Rückzahlung bekommen. Die Gutscheine sollen bis Ende 2021 befristet sein. Hat der Kunde seinen Gutschein bis dahin nicht eingelöst, muss der Veranstalter ihm den Wert erstatten.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen lehnt dies ebenso wie Brüssel ab. "Zwangsgutscheine machen den Verbrauchern Angst, denn sie haben sich auf geltende Verbraucherrechte verlassen", sagte die Leiterin des Teams Mobilität und Reisen, Marion Jungbluth, dem "Handelsblatt". Die Regierung sollte sich für andere Maßnahmen öffnen. "Es liegen von mehreren Verbänden konstruktive Lösungen für einen Reisesicherungsfonds vor", erläuterte die Expertin.

Pleitewelle in der Tourismusbranche befürchtet

Der Deutsche Reiseverband (DRV) befürchtet eine Pleitewelle in der Tourismusbranche. 60 Prozent der Reisebüros und Reiseveranstalter sehen sich unmittelbar von der Insolvenz bedroht, wie aus einer Umfrage des Verbandes unter seinen Mitgliedern hervorgeht, die der "Bild am Sonntag" vorlag. Jedes fünfte Unternehmen musste demnach bereits Mitarbeiter entlassen, 80 Prozent der Unternehmen mussten staatliche Hilfen beantragen.

Die Mehrheit der rund 11.000 Reisebüros und 2.300 Reiseveranstalter werde die Krise nicht überleben, "wenn die Bundesregierung nicht bald einen Schutzschirm über die Branche spannt", warnte DRV-Präsident Norbert Fiebig. Schon jetzt seien mehr als 4,8 Milliarden Euro Umsatzausfälle zu beklagen, bisherige Soforthilfen reichten nicht.

Auch der DRV hatte mit Blick auf die Gutscheinregelung bereits beklagt, zwölf EU-Mitgliedstaaten hätten dazu bereits nationale Regelungen beschlossen oder auf den Weg gebracht. "Wenn viele Länder ihre jeweiligen Reiseindustrien durch nationale Gesetze schützen und andere nicht, können wir in Europa nicht mehr von fairen und vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen sprechen", sagte Fiebig.

Kritik kam dazu auch aus der SPD. "EU-Kommission und Europäisches
Parlament müssen sich mal überlegen, was gewonnen ist, wenn 27 Mitgliedstaaten ihre eigenen Regelungen machen und dabei gegen Europarecht verstoßen", sagte SPD-Fraktionsvize Eva Högl dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir wollen keinen nationalen Alleingang, sondern eine europarechtskonforme Regelung", betonte sie. In dieser Woche werde man darüber beraten, wie das gehen könne. "Gegebenenfalls müssen wir die Wahlmöglichkeit lassen, aber Gutscheine attraktiver machen", so die SPD-Politikerin.

Eigentlich ist bei abgesagten Pauschalreisen eine Erstattung spätestens nach 14 Tagen Pflicht, viele Veranstalter warteten zuletzt jedoch erst einmal ab. Inzwischen aber haben etwa Alltours und Schauinsland-Reisen mit der Rückzahlung begonnen. Man wolle die Geduld und das Verständnis der Kunden nicht länger auf die Probe stellen, begründete etwa Schauinsland-Reisen die Entscheidung. Andere Veranstalter wie Tui und DER Touristik lassen den Kunden die Wahl zwischen Gutschein plus Bonus oder Rückzahlung. (dpa)