In diesem Jahr wird vieles anders. Zum ersten Mal fällt das öffentliche Dresdner Gedenken an den 13. Februar 1945 fast so aus wie in anderen Städten, die ihre Erinnerungen an den Bombenkrieg wachhalten: stiller. Größere Kundgebungen sind nicht erlaubt. Auch die Menschenkette findet virtuell statt. Eine Gelegenheit, mal eine Atempause einzulegen und sich in aller – relativer – Ruhe Gedanken ums Gedenken zu machen.
Worauf wohl die meisten verzichten könnten, ist der laute und hartnäckige Missbrauch des historischen Ereignisses durch Relativierer jeglicher Färbung, hauptsächlich von rechtsextremer Seite. Oder der ewige Konflikt zwischen Anhängern der Verklärung Dresdens als ausschließlich unschuldige „Opferstadt“ und deren Verdammung als ausnahmslos schuldige „Täterstadt“. Die Debatten und Medienberichte darüber lassen gelegentlich den Eindruck entstehen, die Gedenkkultur wäre vor allem dadurch gekennzeichnet und rein negativ aufgeladen. Das aber ist ein Zerrbild. Wer es einmal beiseiteschiebt, kann das mühelos erkennen.
Lebendig, vielfältig, offen
Tatsächlich zeichnet sich die Dresdner Erinnerungskultur vor allem durch deren Lebendigkeit, Vielfalt und Offenheit aus. Zwar sind die anhaltenden Diskussionen um ein wie auch immer „richtiges Gedenken“ oft kontrovers und für manche schmerzhaft. Nicht zuletzt, weil das Thema in höchstem Maße emotional aufgeladen ist. Es kann aber nicht überblenden. dass sich gerade in den vergangenen 20 Jahren nach langen Anlaufschwierigkeiten sowie einer seltsam beharrlichen Hilf-, Rat- und Tatenlosigkeit im Rathaus in Dresden eine Landschaft zivilgesellschaftlicher Akteure entwickelt hat, die ihresgleichen sucht. Schließlich verändern sich im Laufe der Generationen unsere Blicke auf die Vergangenheit stetig, damit auch die Formen des Gedenkens. Die werden zunehmend durch die Bürger mitbestimmt. Die Stadt fördert das inzwischen nach Kräften anstatt alles „von oben“ vorzugeben, wie es nach 1945 über 40 Jahre lang der Fall gewesen war.
Das hat dazu geführt, dass die Formen des Erinnerns so vielfältig sind wie an kaum einem anderen Ort mit ähnlichem Schicksal, von Lesungen über Filme, Diskussionen, Musik, Theater, Kunst, Performances, internationale Gedenk-Kooperationen. Die Erinnerung an die Toten der Luftangriffe wird weiterhin wachgehalten. Obendrein ist Dresden zu einem modernen Gedenk-, Mahn- und Lernort geworden, an dem es ebenso um die unzähligen Opfer des Nationalsozialismus in anderen Städten und Ländern geht, sogar um die Opfer militärischer Aggressionen weltweit. Und: um unser Miteinander.
Der Missbrauch der Erinnerung wird schwächer
Das ist nur folgerichtig. Angesichts des Wiedererstarkens von Nationalismus und Chauvinismus, dem Ausgrenzen von Minderheiten und Andersdenkenden innerhalb der Gesellschaften kann das Vermächtnis des 13. Februar heute erst recht nicht mehr allein im Wachhalten der Erinnerung an Opfer und Täter bestehen. Entsprechend heißt es im Aufruf Dresdens 2021: „Lassen Sie uns gemeinsam eintreten für den Erhalt unserer Demokratie und ein offenes solidarisches Miteinander aller Menschen in dieser Stadt.“
Ja, es gibt ihn weiterhin, den Missbrauch der Erinnerung durch Relativierer, Verklärer und Verdammer. Aber er findet öffentlich stets nur um den 13. Februar statt und wird ansonsten schwächer, während der Gegenwind zunimmt. Auch das bewirkt die lebendige, kontroverse, sich stetig wandelnde Gedenkkultur mit ihren offenen Blicken und ihrem Hinwirken auf die Gegenwart, auf die Zukunft, auf Versöhnung, nicht nur am 13. Februar. Sie ist „ein Ausdruck von Kreativität, vermittelt Kontinuität und Identität, prägt das gesellschaftliche Zusammenleben und leistet einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung.“ Das Gedenken wird „von menschlichem Wissen und Können getragen, von Generation zu Generation weitervermittelt und stetig neu geschaffen und verändert“.
Diese Zitate geben übrigens die Definition des Immateriellen Unesco-Kulturerbes in Deutschland wieder. Es mag für Gedenk-Schwarzseher irritierend klingen, aber: Die hiesige Gedenkkultur erfüllt alle Voraussetzungen dafür. Da könnte in der coronabedingten Zwangsruhepause doch glatt eine kühne, aber keinesfalls verwegene Idee reifen: Bewerben wir uns um den Titel. Es brauchte „nur“ noch den Willen und den Mut dazu.