Am Anfang war die Straße noch schwarz. Sonst wäre er nicht hier rauf gefahren, sagt Stanislav. Aber dann wurde die Straße weiß. Und dann zu Eis. Stanislav wollte eine Kehre machen und rückwärts zu dem einsamen Haus rangieren, die Restmülltonne leeren. Doch das Heck wollte nicht mit, wollte abwärts, in den Graben. Nun steckt der Laster fest, mit bedenklicher Schlagseite. Stanislav spuckt in den Schnee. "Scheiße."
Als das Sammelfahrzeug der Firma Alba am Hang über Schmiedeberg havariert, sitzt Patrick Maresch, Kraftfahrer beim Abschleppdienst Pötzsch, in seiner Butze in Dippoldiswalde und nippt an der Kaffeetasse. Der Vormittag war völlig entspannt. Kein einziger Auftrag. Dabei ist "Pötzsch-Wetter", also Winter. Jedenfalls ein bisschen. Aber es ist auch Lockdown. Wegen Corona sind viel weniger Autos unterwegs, sagt Maresch. "Und das merken wir."

Panne und Pötzsch - seit den 1960ern gehört das zusammen. Ursprünglich entlang der Fernverkehrsstraße 170 aktiv, operiert der Abschleppdienst heute in den Mitten und Höhen der gesamten Weißeritzregion, auch auf der Achse Freiberg-Dresden und auf der Autobahn A 4. Sechs Leute sind im Einsatz oder in Bereitschaft, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.
Die Kaffeemaschine auf dem Armaturenbrett
Zu diesen Leuten gehört auch Patrick Maresch, 31 Jahre alt, gelernter Trucker. Früher belieferte er deutschlandweit Großhändler mit Lebensmitteln. Dann wechselte er in die Abschleppbranche. Eine Zeit lang sammelte er falsch geparkte Autos ein. Die Schimpftiraden ihrer Besitzer konnte er irgendwann nicht mehr hören. So wechselte er zu Pötzsch. Seitdem ist er viel entspannter. Sagt seine Freundin. Er findet das auch. Das Gewissen rumort nicht mehr. "Jetzt komme ich als Helfer."

Es ist fast Mittag, als der Notruf vom Müllauto aus Schmiedeberg eintrifft. Patrick klettert in den Abschleppwagen für Lkws. Ein MAN, rund dreißig Tonnen schwer, fast 500 PS stark, mit Doppelseilwinde und Kaffeemaschine. Ja, wenn es dicke kommt, muss man schon mal den ganzen Tag in diesem Auto zubringen, und die halbe Nacht. Patrick denkt an den umgekippten Holzlaster letzten Sommer auf der A 4. Da wurde auch mittags ausgerückt. Einsatzende: früh um drei.
Auf der Suche nach dem Pannenfahrzeug
In Schmiedeberg ist kein Havarist zu sehen. Unklare Adressen sind das täglich Brot der Pannenhelfer. "Viele Leute wissen gar nicht, wo sie überhaupt sind", sagt Fahrer Maresch. Da steht Polizei am Straßenrand. Es geht aber nicht um das Müllauto, sondern um einen Golf, der ins Gelände einer Tischlerei gerast ist und dabei die Telefon- und Internetversorgung von halb Schmiedeberg gekappt hat. Der nächste Auftrag für Pötzsch. Die Leute im verwüsteten Grundstück wissen aber auch, wo der erste feststeckt: die Straße runter, dann links hoch, zur Anewand.

Der Begriff steht im Erzgebirge für einen abgelegenen Ort. Und da, zwischen Wald und Wiese, steht Stanislav, und neben ihm sein Fahrzeug, schief wie die Titanic, dem Bächlein im Graben zugeneigt. Patrick Maresch erkundet die Lage. Sie ist verzwickt. Das gut gefüllte Müllauto wiegt bestimmt seine zwanzig Tonnen. "Das ist eine Hausnummer." Er könnte es nach vorne ziehen. Dann würde das Heck aber weiter absacken, das ganze Fahrzeug womöglich umstürzten. Man müsste von hinten ran. Aber da ist kein Durchkommen. Die Alba-Titanic blockiert den Weg.
Fast vierzig Jahre im Abschleppgeschäft
Ein Kollege kommt. Lkw-Bergungen macht man mindestens zu zweit. Viele Augen werden gebraucht, viele Ideen. Die meisten hat der Chef. Der wird jetzt angerufen. Kurz darauf steht Axel Fröhlich, ganz in Orange, mit neongrüner Bommelmütze, auf der Matte. Er ist seit 1982 im Geschäft. Erste Regel: Ruhe bewahren. Die zweite: Sich was einfallen lassen. Was er sieht und was ihm die Erfahrung sagt, müssen dafür reichen. Es bleiben viele Unbekannte. Und das Vertrauen auf das Glück. "Wir gehen ein relativ hohes Risiko ein."

Inzwischen hat der firmeneigene Winterdienst 150 Kilo Tausalz auf die Straße gebracht. Patrick Maresch kann seinen Schlepper bis an den Havaristen heran steuern. Der Plan: Mit der Seilwinde via Umlenkrolle seitlich am Müllauto ziehen, während Stanislav behutsam Gas gibt und den Wagen nach vorn aus dem Graben bugsiert. Aber wie bindet man ein Müllauto an?
Der Ankerpunkt droht umzustürzen
Axel Fröhlich streicht um das Fahrzeug herum, auf der Suche nach dem rettenden Rezept. An den Achsen ziehen? Bringt nichts. Die Räder haben sich hinter der Böschung verkantet. Eine Bauchbinde um die Trommel mit dem Müll legen? Fällt auch aus. Der Drehmechanismus könnte zerstört werden. Der Rahmen um den Einfüllschacht sieht aber ganz stabil aus. Fröhlichs Züge hellen sich auf. "So könnt's was werden", sagt er. "Also los!"

Fix ist ein breiter Gurt um das Fahrzeugheck gelegt, die Umlenkrolle an einer Fichte festgemacht, das Seil ausgezogen und eingehakt. Stanislav ist im Führerhaus und Patrick Maresch an der Fernbedienung seiner Winde. Er lässt sie anrucken, während Axel Fröhlich, wie ein Dirigent, dem Fahrer Zeichen gibt, wohin er fahren und lenken soll. Schon scheint sich der Wagen aus seiner Gefangenschaft zu lösen. Da knackt es bei der Umlenkrolle. Schnee stiebt hernieder. Die Fichte droht nachzugeben.
Eine Fichte hält die andere
Es ist der Moment der Entscheidung: Weitermachen oder abbrechen? Was, wenn der Baum umstürzt, und das Auto dazu? Da hat einer die Idee: Die erste Fichte mittels Spanngurt an einer zweiten festzurren. So wird es gemacht. Ein neuer Anlauf. Wieder Schneedusche, wieder Knacken. Aber der Baum hält. Wenig später steht Stanislavs Müllauto auf sicherem Grund. Axel Fröhlich schraubt die Kanne mit dem Kaffee auf. "Den haben wir uns jetzt verdient."

Die ganze Aktion wegen einer kleinen Mülltonne. Es wird eine teure Mülltonne. Auf anderthalb Tausend Euro mindestens schätzt Axel Fröhlich die Bergungskosten. Netto. Patrick Maresch trinkt seinen Kaffee schnell. Er hat schon den nächsten Kunden, ein Bäckerauto, das mit kaputter Kupplung bei Altenberg fest liegt. Schneefall hat eingesetzt, diesmal direkt aus den Wolken. Maresch hat heute noch Nachtbereitschaft. "Und wenn ich das so sehe, wird es eine lange Nacht."